Thüringen

Zwischen Schock und Zuversicht

Spontan demonstrieren Erfurter gegen die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD. Foto: dpa

Am Ende ging dann doch alles ganz schnell: Gerade einmal 24 Stunden war Thomas Kemmerich im Amt, als er seinen Rücktritt als Thüringer Ministerpräsident ankündigte. Zu groß war der Druck geworden. Am Tag zuvor hatte sich der FDP-Mann mit den Stimmen von CDU und AfD im Thüringer Landtag zum Regierungschef wählen lassen.

Die Wahl löste ein politisches Beben aus, von Dammbruch war die Rede, von einer Zäsur in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands. Die Wahl Kemmerichs mit den Stimmen einer extrem rechten Partei, deren Vorsitzender als Faschist bezeichnet werden darf, hat in der jüdischen Gemeinde Thüringens für Unruhe gesorgt.

War das jetzt der Höhepunkt, oder wird die AfD in Zukunft noch stärker werden?

Schockiert sei er gewesen, sagt Landesrabbiner Alexander Nachama. »Viele unserer Mitglieder waren entsetzt. Und natürlich fragen wir uns, wie es jetzt weitergehen wird. War das jetzt der Höhepunkt, oder wird die AfD noch stärker werden?«

Tabubruch Auch der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, zeigt sich besorgt über die Entwicklung, die am Mittwoch vergangener Woche in diesem Tabubruch gipfelte und sich doch schon seit Langem abgezeichnet hatte. »Es ist eine Niederlage der Demokraten«, stellt er enttäuscht fest. Schramm legt jedoch Wert darauf, zu betonen, dass es längst nicht nur die politischen Erfolge der AfD seien, die in der Gemeinde manche Ängste hervorriefen.

Es sei vielmehr ein allgemeines Stimmungsbild, das in diesen Tagen nur umso stärker sichtbar werde. Der Angriff auf die Synagoge in Halle zu Jom Kippur, die Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Belgien, Dänemark, Frankreich, zuletzt selbst in den USA, all das hinterlasse Spuren auch in seiner Gemeinde. Hinzu kämen, so Schramm, die politischen Entwicklungen, der Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien in vielen Ländern, eine immer größere Bereitschaft zu antisemitischen Äußerungen und Übergriffen.

Von Seiten der Politik habe es seit Jahren breite Unterstützung gegeben, sagt Reinhard Schramm.

Gut 700 Mitglieder zählt die Jüdische Landesgemeinde Thüringen. Der Großteil von ihnen lebt in der Landeshauptstadt Erfurt, etwa 100 in Jena, in Nordhausen noch einmal 30, und einige finden sich versprengt in kleineren Städten.

Von Seiten der Politik habe es seit Jahren breite Unterstützung gegeben, sagt Schramm. »Sie haben unsere Anliegen ernst genommen.« Schramm lobt hier ausdrücklich die Linkspartei unter Bodo Ramelow, der sich auch persönlich schon seit 25 Jahren mit großem Engagement für den jüdisch-christlichen Dialog und die Belange der jüdischen Gemeinde einsetze.

Das ist in der Linkspartei, in der es in anderen Landesverbänden nach wie vor israelfeindliche und auch antisemitische Einstellungen gibt, keine Selbstverständlichkeit. Im Konsens der demokratischen Parteien, über die Parteigrenzen hinweg, so Schramm, habe die Thüringer Politik in der Vergangenheit aber immer klare Positionen vertreten.

So etwa bei der Verabschiedung einer Resolution gegen Antisemitismus im Landtag oder der Positionierung gegen die BDS-Bewegung. Umso mehr schmerze es, wenn sich nun Teile der CDU und FDP so offen für eine Kooperation mit der AfD zeigten. Einer Partei, die mit ihrem thüringischen Ausleger unter Björn Höcke mit unverhohlenen Bezügen zum Nationalsozialismus kokettiert.

Gemeindevorsitzender Schramm sieht hier vor allem die CDU in der Verantwortung, die sich auf der einen Seite nicht deutlich genug von der AfD abgrenze, gleichzeitig aber kategorisch eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschließe.

Die Thüringer Politik hat in der Vergangenheit immer klare Positionen vertreten.

Mit den Jüdisch-Israelischen Kulturtagen, dem Achava-Festival, vor allem aber mit dem Yiddish Summer Weimar erfährt der Freistaat Jahr für Jahr international auf ganz andere Weise Aufmerksamkeit als in diesen Tagen. Vor 20 Jahren hat Alan Bern den Yiddish Summer ins Leben gerufen, der weit mehr als ein jüdisches Kulturfestival ist. Die Vision des Yiddish Summer sei immer gewesen, jüdische und explizit jiddische Sprache und Kultur zu vermitteln, etwas, das eng mit der deutschen und europäischen Geschichte verknüpft sei, wie Bern sagt.

Knotenpunkt »Wir sind eine Art Knotenpunkt, hier in Weimar laufen so viele Fäden zusammen, hier treffen sich die Leute«, freut sich Bern über das, was in den zurückliegenden Jahren aufgebaut werden konnte. Etwas, wovon Thüringen, ein Land, das großen Wert auf seine kulturellen Traditionen legt, profitiert.

Als es vor zwei Jahren zu massiver Kritik einer Journalistin am Yiddish Summer und an Alan Bern persönlich kam, gab es eine breite Solidarisierung. Eine Erfahrung, die Alan Bern sehr bestärkt hat. »Weimar ist wirklich ein guter Ort für uns. Wir fühlen uns hier absolut zugehörig und geschätzt mit dem, was wir auf die Beine gestellt haben.«

An diesem gesellschaftlichen und politischen Rückhalt werden so schnell auch nicht die Wahlerfolge der AfD rütteln können – die freilich klar zu erkennen gibt, an welcher Art von Kulturpolitik ihr gelegen ist. Aber dass sich insgesamt das gesellschaftliche Klima aufheizt, geht auch an Alan Bern nicht spurlos vorbei. So ist seine unermüdliche Arbeit ein Beitrag für eben jene offene Gesellschaft, die den Rechtspopulisten ein Dorn im Auge ist.

»Wir fühlen uns hier absolut zugehörig und geschätzt«, sagt Alan Bern.

Als er am vergangenen Mittwoch auf dem Heimweg war, sei er an der Erfurter Staatskanzlei vorbeigekommen und habe die vielen Demonstranten gesehen, erzählt Rabbiner Alexander Nachama. Sie hatten sich hier spontan aus Protest gegen die Wahl Kemmerichs versammelt. Das habe ihm Mut gemacht.

Überhaupt sei es wichtig, am Ball zu bleiben und mit kleinen Schritten Vorurteile abzubauen und auf Veränderungen hinzuwirken. So lädt die Gemeinde immer wieder Schulklassen ein, die Synagoge in Erfurt zu besuchen, in der unmittelbaren Begegnung über jüdisches Leben heute zu sprechen. »Uns geht es darum, gerade jungen Menschen, die ja auch mal Wähler sein werden, ein besseres Bild vom Judentum zu vermitteln.«

Protest Man müsse, fordert auch Schramm, deutlich mehr tun, eine Front der Demokraten aufbauen. Die spontanen Demonstrationen nach den turbulenten Ereignissen im Landtag seien ein gutes, ein ermutigendes Zeichen. Vielleicht, so überlegt er, ist die Straße gerade einen Schritt weiter als die Politik. Ein Hauptproblem sieht der Gemeindevorsitzende heute im israelbezogenen Antisemitismus. Doch Israel sei eine »Lebensversicherung« für Juden auf der Welt. Und das gelte heute angesichts der erschreckenden Zunahme von Antisemitismus erst recht.

Immerhin registriert er ein allmähliches Umdenken in der Politik und ein wachsendes Verständnis in der Gesellschaft. Das mache ihm Hoffnung. »Wir können uns als Juden nicht allein gegen den Antisemitismus stellen. Wir sind nur dann geschützt, wenn uns die Gesellschaft schützt.«

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