Seit nunmehr einem halben Jahr stehen jüdische Kultureinrichtungen aufgrund der Pandemie vor ungeahnten Schwierigkeiten. Wie können Ausstellungen, Lesungen und Filmvorführungen stattfinden, wie kann jüdische Geschichte vermittelt werden, wenn das Publikum nicht mehr physisch anwesend sein darf?
Die Jüdische Allgemeine fragte beim Centrum Judaicum, dem Jüdischen Museum Berlin und dem Anne Frank Zentrum nach, wie sie diese Krise bewältigen.
Centrum Judaicum »Eigentlich wollten wir dieses Jahr ein Jubiläum begehen«, sagt Anja Siegemund, Direktorin der Neuen Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. »Das Centrum Judaicum wurde 1995 als Museum eröffnet, also vor 25 Jahren.« Doch eine größere Feier sei nicht möglich gewesen, und auch anderes, was vor Ort geplant war, konnte nicht durchgeführt werden. »Manches haben wir verschoben, manches landete im Papierkorb«, so die Historikerin.
Dafür sei das Online-Programm ausgeweitet worden: »Auf der Webseite des Centrums befinden sich seit diesem Jahr ein digitaler Rundgang durchs Haus und durch die Ausstellungen und Veranstaltungen der letzten 25 Jahre, ein Interview mit unserem Gründungsdirektor Hermann Simon, einige Texte von Teammitgliedern sowie auch ein Text darüber, wie wir uns sehen und was uns ausmacht«, erklärt die Direktorin.
Einnahmen sind weggebrochen, auch wegen fehlender Touristen.
Finanziell sei die Schließung des Hauses an der Oranienburger Straße allerdings nur sehr schwer zu verkraften. »Wir mussten einen extremen Sparkurs fahren, haben auch das Museum nach dem ersten Lockdown erst später wiedereröffnet als eigentlich möglich, da die Ausgaben die möglichen Einnahmen überstiegen hätten«, sagt Anja Siegemund. Außerdem sei eine frei gewordene Stelle in der Verwaltung erst einmal nicht neu besetzt worden, »was aber eine sehr große Arbeitslast für das Team bedeutete«.
Die 53-Jährige hofft, dass das Museum bald wieder öffnen kann – und dass es ihm nicht so ergeht wie der goldenen Kuppel: »Wir haben sie in diesem Sommer nicht öffnen können, zum einen aus Sparzwang, zum anderen, da die nötigen Abstandsregelungen dort schwer durchführbar sind. Aus beiden Gründen muss sie leider – nach jetzigem Stand – auch nächstes Jahr geschlossen bleiben.«
In den vergangenen Monaten seien gute Hygienekonzepte erarbeitet und mehrfach angepasst worden. »Da war zuletzt sehr viel Flexibilität gefragt«, sagt Siegemund. »Immer wieder gerade festgelegte Dinge nochmal neu zu justieren – das hat für Frustration gesorgt. Doch dies ist die gesamtgesellschaftliche und globale Situation, mit der wir zurechtkommen müssen und es daher auch tun.«
Anne Frank Zentrum Auch das Anne Frank Zentrum hat aufgrund der Pandemie große finanzielle Einbußen verzeichnet. »Unsere Wanderausstellungen wurden ab März für 2020 abgesagt oder auf 2021 verschoben«, sagt Dina Blauhorn, Leiterin Kommunikation.
Zudem sei die ständige Ausstellung Alles über Anne auch während der Öffnungsphase weniger besucht worden. Ein Grund dafür sei der Rückgang der Touristen gewesen. Auch Schulklassen hätten das pädagogische Programm kaum nutzen können, da die Besucherzahl auf 15 Personen begrenzt war. »Schulklassen sind aber meist größer«, sagt Blauhorn.
Gerade weil die Arbeit des Anne Frank Zentrums aber sehr stark auf den dialogischen Austausch in Präsenz ausgelegt sei, seien seit März schnell zahlreiche digitale Angebote zur historisch-politischen Bildung und Antisemitismusprävention entwickelt worden. »Wir haben durch Corona einen Digitalisierungsschub erfahren«, so Dina Blauhorn.
Kürzlich habe beispielsweise ein Fachtag zur Prävention von Antisemitismus im Strafvollzug digital stattgefunden. »Wir haben außerdem eine digitale Ausstellungsbegleitung durch die Berliner Ausstellung entwickelt, die von Lehrkräften für ihre Schülerinnen und Schüler gebucht werden kann«, berichtet sie.
Das Programm wurde kurzerhand ins Netz verlegt – und kam gut an.
Ein Novum sei zudem ein Filmscreening auf YouTube mit anschließendem Filmgespräch via »Zoom« gewesen. »Tatsächlich hatten wir die Filmreihe ursprünglich als Präsenzveranstaltung im Kino geplant, mit der Möglichkeit, im Vorfeld unsere Ausstellung zu besuchen«, so Blauhorn. Aufgrund des zweiten Lockdowns sei das Programm kurzerhand ins Netz verlagert worden. Auch wenn eine digitale Veranstaltung mit einer Präsenzveranstaltung nicht zu vergleichen sei, habe die Premiere gut funktioniert. »Es haben sich auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugeschaltet, die nicht aus Berlin waren.«
Energie Besucherrückgänge, die Entwicklung von Hygienekonzepten und wochenlange Schließungen sind auch im Jüdischen Museum Berlin an der Tagesordnung. »Neben all den Einschränkungen, die der Shutdown mit sich bringt, spüre ich aber auch die positive Energie der Kolleginnen und Kollegen, trotz der vielen Absagen und kurzfristigen Änderungen motiviert zu bleiben und mit Freude auch unter diesen Umständen weiterzuarbeiten«, sagt Direktorin Hetty Berg. Corona sei allerdings kein guter Zeitpunkt, um vor Ort Pläne zu schmieden. Viel Energie fließe deshalb jetzt in den Ausbau des Online-Angebots.
»Seit der coronabedingten Schließzeit testen wir verschiedene digitale Veranstaltungs- und Vermittlungsformate beziehungsweise passen bestehende Formate an.«
VORLESEVIDEOS Auf der Webseite des Jüdischen Museums Berlin gibt es nun allerhand zu entdecken: Neben zahlreichen Angeboten zu den Ausstellungen finden sich vielfältige Online-Features zu jüdischen Themen, Online-Publikationen und Online-Sammlungen. Es gibt Vorlesevideos für Kinder, digitalisierte Bücher aus der Museumsbibliothek, Zeitzeugengespräche und Mitschnitte von Ringvorlesungen.
Im Moment ist kein guter Zeitpunkt, um Pläne zu schmieden.
Sorgenfrei ist Hetty Berg dennoch nicht. »Die Pandemie lenkt die Aufmerksamkeit auf eine tieferliegende Frage«, gibt sie zu bedenken: »Wie kann das Museum ein sicherer Raum sein, in dem physische Begegnungen und Gespräche möglich sind, die draußen, in einer zunehmend von Ausgrenzung und Aggressivität geprägten Welt, immer häufiger scheitern?«
Dass das Museum zuerst und vor allem ein Ort physischen Zusammentreffens ist – mit Objekten, mit anderen Besuchern, mit der Vergangenheit und Gegenwart, mit unterschiedlichen Kulturen und Öffentlichkeiten –, diese Prämisse ihrer Arbeit sei heute nicht mehr selbstverständlich.