Franken hat eine lange Tradition im Weinanbau und im Bierbrauen. Weit weniger bekannt ist die fast 1000-jährige Geschichte der Juden in Franken. Da sie immer wieder aus den Städten vertrieben wurden, entwickelte sich ein starkes Landjudentum. Synagogen, Mikwen, Zimmer, die zur Laubhütte umgebaut wurden, sind zu entdecken. Mehr als 100 Friedhöfe liegen auf Wiesen und Hügeln und schauen auf beschauliche Dörfer und Städtchen mit mittelalterlichem Flair.
In Würzburg, der Stadt, in der so vieles an den Fürstbischof und Judenhasser Julius Echter erinnert, lebt Karlheinz Müller. Er führt durch Shalom Europa, das jüdische Gemeinde- und Kulturzentrum in der Valentin-Becker-Straße. Das Museum ist mehr ein Lernhaus, es bildet alle jüdischen Lebensbereiche ab, von der Wiege bis zur Bahre.
Es widmet sich auch den fränkischen Besonderheiten im jüdischen Brauchtum. So wurde das Glas bei einer Hochzeit nicht zertreten, sondern gegen den Chuppa-Stein geworfen, der sich an der Außenwand der Synagoge befand. Einige sehr seltene Mappot, Torawimpel, sind zu sehen. Und immer wieder gibt es Hinweise auf die »Berches«, wie die Challot in dieser Region genannt werden.
Traditionsfamilie Seit 450 Jahren lebt die Familie des Zentralratspräsidenten Josef Schuster in der Stadt, von ihr stammen viele der Bilder, Leihgaben und Schenkungen. Heute hat die Gemeinde 900 Mitglieder. Im Depot des Museums haben Müller und seine Mitstreiter die »Judensteine« sicher untergebracht. Sie wurden 1987 beim Abriss eines Klosters entdeckt. 1456 Exponate gaben die alten Mauern preis, die aus der Zeit vor Ausbruch des Schwarzen Todes stammen, der Pest, die hier zwischen 1142 und 1346 immer wieder wütete.
Auch hier hatte Julius Echter seine Hände im Spiel. Der allmächtige Fürstbischof ließ im 16. Jahrhundert kurzerhand das Juliusspital auf dem Gelände des jüdischen Friedhofs errichten, schon damals ein unerhörter Rechtsbruch. Erst gab er den Friedhof zur Plünderung frei, dann verbaute er rund 72 Tonnen Grabsteine in der Basis des Neubaus, andere verschwanden hinter Klostermauern.
Die Synagoge des Gemeindezentrums wartet mit einer Küchenuhr an der Wand und einem Wecker auf. Mit einem Augenzwinkern meint Müller: »Früher wurde darauf geachtet, dass nicht zu lange gesungen wurde. Anhand der Uhren konnte man sicher sein, dass weder Kantor noch Rabbi die Zeit vergaßen.«
In der Schönbornstraße vor dem Kaufhof sind die Stolpersteine für die Familie Ruschkewitz verlegt. Hier eröffnete sie ihr Kaufhaus, das 1935 genau wie ihre Filialen der Billigkette Wohlwert vom Arisierungsprofiteur Josef Neckermann übernommen wurde. Der hatte ein Jahr darauf in Würzburg seine erste Million gemacht, wie er selbst in den Lebenserinnerungen schrieb.
Die Marienkirche ist über einer Synagoge erbaut. Im Kiliansdom sind die Säulen Boz und Jachim zu sehen, direkt am Eingang grüßt eine drei Meter hohe Menora.
In Bamberg lockt der Rosengarten der Neuen Residenz. Zwischen »Gelbem Engel« und »Papa Meilland« verbreiten die Rosen ihren Duft. Schaut man hinunter auf ein Dächermeer in Rot, sieht der Betrachter ein Stadtensemble als Weltkulturerbe. Teil der Kultur ist hier das Rauchbier, das im August seinen Weg auch nach Israel gefunden hat. Die traditionelle Schlenkerla-Brauerei hat Koscher-Zertifikate für ihre Spezialitäten-Biere bekommen.
tafeln Am spektakulär in die Regnitz hineingebauten Alten Rathaus fallen zwei Tafeln auf: »Im Weltkrieg 1939–1945 fielen aus der Stadt Bamberg 1992 getreue deutsche Soldaten an den Fronten Europas und Afrikas. Durch Bombenangriff gaben ihr Leben für die Heimat 242 Männer, Frauen und Kinder. Vermisst bleiben 1642 Brüder und Schwestern. Wir gedenken ihrer in unauslöschlicher Dankbarkeit.«
Eine zweite Tafel von 1986 ist den Bamberger Opfern des Nationalsozialismus gewidmet. Verglichen mit der Fabulierkunst der 50er-Jahre haben die Stadtväter in den 80ern nur dürre Worte übrig. Hier werden die Juden zu Mitbürgern gemacht, dort, wie auf der Tafel für Leonie Kupfer zu lesen, sind sie verharmlosend »umgekommen«, obwohl die Wohltäterin im Konzentrationslager grausam ermordet wurde.
Die Wechselschau »Jüdisches in Bamberg«, die in der Villa Dessauer gezeigt wurde, ist dauerhaft in das Historische Museum umgezogen. Leiterin Regina Hanemann ist sichtlich stolz auf die Entscheidung, die jüdische Lebenswelt als Teil des Ganzen einzubringen. Alle Exponate der Judaica-Sammlung wie das bewegende Tagebuch der jungen Erika Löbl oder originelle Chanukkiot in Form eines feuerroten Lastwagens haben einen Bezug zur Region Franken, was dem neuen Museumsbereich einen steten Besucherstrom beschert. Links und rechts stehen am Fürstenportal des Bamberger Doms die strenge Ecclesia und die sinnenfrohe Synagoga.
Buttenheim ist ein Dörfchen wie aus dem Bilderbuch, das ein kleines, feines Kulturgut sein eigen nennt: das Levi-Strauss-Museum im Geburtshaus des Vaters der Blue Jeans. Bis vor 32 Jahren war weithin unbekannt, dass er als Loeb Strauss in der Marktstraße 33 mit Vater Hirsch und Mutter Rebekka sowie sechs Geschwistern lebte und von dort auszog, sein Glück zu machen. Heute ist Museumschefin Tanja Roppelt stolz auf internationale 10.000 bis 15.000 Besucher pro Jahr. »Sogar die Familie Levi Strauss war schon hier. Wir arbeiten mit dem Historiker des Konzerns zusammen. Die deutsche Niederlassung ist einer unserer Förderer.«
Im Triumphzug hielt die Jeans 1945 mit den amerikanischen Soldaten Einzug in Europa, seit 1979 gibt es Levi’s in Deutschland. Übrigens: Auch in Buttenheim gibt es noch einen Synagogenbau, der jedoch als Lagerraum einer Brauerei genutzt wird.
Fränkisches Jerusalem wird Fürth genannt. Über Jahrhunderte waren die Juden hier sehr gut integriert. Hier lebte der Dichter und Mäzen Alfred Nathan, führten die Brüder Kurz ihre »Vereinigten Blattgoldfabriken«, gründete der Hopfenhändler Wolf Wilhelm Mailaender seine Brauerei »Bergbräu«. Die Verlegerfamilie Ullstein begann hier mit einem Papiergroßhandel, Kommerzienrat Heinrich Berolzheimer legte den Grundstein zu seiner weltumspannenden Bleistiftproduktion. Gabriel Hirsch Fränkel wurde zum Hoffaktor ernannt und stiftete die »Gabriel-Schul«.
Im Haus des Jüdischen Museums Franken lebten seit 1702 fast immer fromme jüdische Familien. Die mit Grundwasser gefüllte Mikwe im Keller stammt aus der Erbauungszeit, eine Sukka mit raffinierter Dachkonstruktion und barocke Stuckdecken lassen seine Geschichte lebendig werden. In unmittelbarer Nachbarschaft soll sich unter einer Kneipe eine weitere Mikwe befinden. Allerdings gilt der Wirt als übellaunig. Doch scheint der Name der Wirtschaft Programm. »Duckla« heißt sie, fränkisch für Dauche, Ducke, also: Mikwe. In einem der Räume lässt sich die Kassettendecke öffnen – eine Sukka der Extraklasse.
Holekrasch Überall zeigt sich der frische, engagierte Blick des Museumsteams rund um Daniela Eisenstein und Verena Erbersdobler: So führt der Weg zur Mikwe an Badeschlappen und Handtuch vorbei. Die Ausstellung stellt Fragen: »Wie riecht Schabbat?«, oder »Was ist ein Holekrasch?« (Frz. Haut la crèche, hoch die Wiege, ein fränkischer Brauch bei der Namensgebung für Mädchen). Ein Museum: jung, mutig, zum Mitmachen. Weitere Dependancen: Schnaittach, Schwabach und die Krautheimer Krippe.
Nürnberg erscheint da fast wie ein Gegenentwurf. Die Stadt der Reichsparteitage und des Julius Streicher. Aber auch die Stadt mit der Straße der Menschenrechte, die der israelische Künstler Dani Karavan geschaffen hat. Wo jeder in memoriam den Gerichtssaal betreten kann, in dem den Nazi-Größen der Prozess gemacht wurde.
Wo das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände jedem vor Augen führt, welch leere Versprechen die NS-Architektur den Menschen machte: Hinter dem Gigantismus war nichts vollendet, Gänge führten nirgendwohin. Das Gebäude ist ein Dokument des Scheiterns. Aber es zeigt auch, wie Propaganda funktioniert, und den elementaren Zusammenhang mit Gewalt. Ihr fiel Leo Katzenberger zum Opfer. Dem Schuhhändler wurde »Rassenschande« vorgeworfen, er wurde hingerichtet. Heute ist eine Straße nach ihm benannt, eine Tafel gedenkt seiner. Die Richter des NS-Sondergerichts, Rothaug, Ferber und Hoffmann, wurden nach dem Krieg nur sehr milde oder gar nicht bestraft.
In die Frauenkirche hat sich ein Davidstern verirrt. Oder doch nicht? Der Tabernakel hat die Form von Torarollen. Zufall? Die Überraschung wartet in der Königstraße, unter einer mondänen Modeboutique: Neun Meter unter der Fußgängerzone wurde 1976 eine vollkommen intakte Mikwe entdeckt.
Weitere Informationen:
www.museum.bamberg.de/historisches-museum-bamberg
www.levi-strauss-museum.de
www.juedisches-museum.org
www.baukunst-nuernberg.de