Zwei Minuten lang erzeugen Musiker mit Posaunen, Trompeten und Saxophon einen bebenden Ton. Es ist 11 Uhr am Kölner Dom. Der Sirenenton ist gedacht als eine »Aufforderung, die Gegenwart zu verändern«.
Die in Berlin lebende Künstlerin Yael Bartana hatte sich, inspiriert durch den israelischen Gedenktag Jom Haschoa, eine demonstrative Unterbrechung des Kölner Alltags gewünscht. »Zwei Minuten Stillstand«, so der programmatische Name der »kollektiven Performance«, sollte an vielen Orten der Stadt spielen – abseits der Hauptveranstaltung auf dem Roncalliplatz auch in der Keupstraße im Stadtteil Mülheim – 2004 überregional bekannt geworden durch das Nagelbombenattentat.
Kettenreaktion Das Team um Bartana sieht den Holocaust »als Anfang einer langfristigen globalen Kettenreaktion«, deren Konsequenzen »von der Gründung des Staates Israel, Flucht und Vertreibung in Europa und im Nahen Osten bis hin zu den NSU-Morden« reichten. Es will eine »breite Debatte, wie aktives Erinnern heute und zukünftig aussehen soll.«
Nebst Teilen der Stadtverwaltung, der Universität und einigen Schulen beteiligte sich auch der 1. FC Köln an der Aktion. FC-Präsident Werner Spinner sieht den Verein grundsätzlich zwar lieber »politisch neutral«, wollte in diesem Fall aber Flagge »gegen das Verdrängen des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte und zugleich für ein friedliches Zusammenleben in der Gegenwart« zeigen.
Die Kölner Verkehrsbetriebe, die ursprünglich in die Planung einbezogen waren, hielten ihre Fahrzeuge hingegen nicht an. Dies wäre zu risikoreich gewesen, kommentierte der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters.
von unten An Bartanas Projekt gefiele ihm die Eigeninitiative der Mitwirkenden. »Entscheidend sei, dass es nicht von oben angeordnet sei, sondern aus dem eigenen Willen der Bürgerinnen und Bürger kommt«, sagte Roters der Jüdischen Allgemeinen.
Kritiklos verlief das Ereignis jedoch nicht. Einige Anwesende, die sich zum Teil in Israelfahnen gehüllt hatten, empörten sich über »die Instrumentalisierung des wichtigsten israelischen Gedenktages für die Opfer der Schoa«. Belegt sehen sie das unter anderem in dem von den Initiatoren einbezogene Gedenken an »die palästinensische Nakba«, der »angeblichen Vertreibung der Palästinenser aus dem damaligen britischen Mandatsgebiet«. Ähnlich argumentiert auch die Synagogen-Gemeinde Köln. Vorstandsmitglied Ebi Lehrer sagte: »Wir lehnen ab, dass die Schoa für die Besetzung der Gebiete in Israel verantwortlich sein soll. Deswegen sind wir grundsätzlich gegen die Aktion.«