Rentenansprüche, Sozialversicherung und ein monatliches Taschengeld in Höhe von 330 Euro plus optional Unterkunft und Verpflegung – die Rahmenbedingungen für den Bundesfreiwilligendienst, der ab dem 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten soll, stehen. Ob der für alle Generationen offene freiwillige Einsatz im sozialen Bereich ein gleichwertiger Ersatz für den Zivildienst sein wird, ist jedoch ungewiss. Rein formal gelten anerkannte Zivildienststellen automatisch auch als Freiwilligenstellen. Das Bundesamt für Zivildienst wird die Stellen mit 200 Euro monatlich fördern.
Es sei noch zu früh, niemand wisse, ob sich genügend Bewerber finden werden, sagt Cornelia Ogiolda, von IN VIA-Katholische Mädchensozialarbeit für das Erzbistum Berlin. Eine Schwachstelle des Freiwilligendienstes hat die Diplompädagogin jedoch bereits ausgemacht: Freiwillige im Alter zwischen 18 und 25 Jahren sollen keinen Kindergeldanspruch haben. »Aber vom Kindergeld hängen für die Eltern möglicherweise Förderungen wie Ortszuschlag und Riesterrente ab.« Andererseits könne der Freiwilligendienst für ältere Menschen eine gute Möglichkeit sein, die Rente aufzubessern oder wieder in eine Berufstätigkeit einzusteigen.
Allein gelassen »Die Träger der freien Wohlfahrt im Regen stehen zu lassen, das war nicht gut durchdacht – vor allem, weil nicht klar ist, wer überhaupt den Regenschirm hält«, findet Bert Römgens. Der Leiter des Nelly-Sachs-Altenheimes in Düsseldorf findet klare Worte.
Nur wenige Monate blieben den sozialen Einrichtungen, sich auf die neuen Gegebenheiten vorzubereiten, berichtet er. »Wir behelfen uns im Moment, so gut es geht.« 50 Betreuungsstunden fehlen nun. »Mit anderen Worten: Stunden, in denen den Bewohnern die Teilnahme am Alltagsleben ermöglicht wurde«, sagt Römgens. Nun kompensiere man den Wegfall der Zivildienstleistenden mit vorhandenen Kräften und Ehrenamtlern, außerdem »sind wir dabei, vermehrt so genannte 400-Euro-Kräfte einzustellen.«
Langfristig müssten aber andere Lösungen gefunden werden, sagt Römgens: »Sozialdemografisch steuern wir auf eine Situation hin, in der viel mehr Menschen Pflege und Betreuung brauchen werden als heute. Eine verpflichtende Sozialzeit für junge Menschen fände ich eine gute Lösung, denn dadurch würden sie nicht nur ihre Sozialkompetenz stärken, sondern unter Umständen auch andere Perspektiven in der Berufswahl bekommen.«
Korrekturen Dalia Wissgott-Moneta, Leiterin der Sozialabteilung in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, nennt den Wegfall des Zivildienstes »katastrophal«. Für die Überlebenden des Holocausts sei es eine ganz besondere Erfahrung gewesen, dass die Enkel der Generation, die sie in den Lagern als brutale Schlächter erlebt hätten, »junge Männer mit ganz unmartialischem Auftreten und wunderbaren Eigenschaften sind«. Die Zivis, die oft nicht gewusst hätten, dass es Überlebende gab, wären an ihren Aufgaben nicht nur gewachsen, sondern hätten sich zudem auch sehr positiv verändert – bis heute »betreuen sie auch nach Ende der Zivildienstzeit Bewohner«.
Natürlich sei es möglich, die entstandenen Lücken etwa mit jungen Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, zu stopfen, sagt Wissgott-Moneta. Auch aus der Gemeinde könne man sicherlich Helfer gewinnen. »Aber das Besondere am Zivildienst war eben, dass es junge Deutsche waren, die sich um ihre jüdischen Mitbürger kümmerten.«
Ganz anders dagegen die Situation im Elternheim der Synagogen-Gemeinde Köln. Dort beschäftigt man schon seit mehr als fünf Jahren keine Zivildienstleistenden mehr, denn seit dem Umzug ins neue Domizil in Ehrenfeld konnte man ihnen keine Unterkunft mehr bieten. »Unsere Bewerber kamen immer aus den dörflichen Gegenden der Umgebung und wollten Köln erleben – seit sie keine freie Unterkunft und Verpflegung mehr haben, hat sich einfach niemand mehr beworben«, erklärt Heimleiterin Dalia Rado.
Neue Optionen Der neue Freiwilligendienst wäre eine gute Möglichkeit, die Angebote für die aktuell 71 Bewohner des Heims zu erweitern. Allein schon um sie zu den Gruppenbeschäftigungen zu bringen, wäre eine Unterstützung gut, sagt Rado. Denn diejenigen, die auf den Rollator angewiesen sind, brauchen auf ihren Wegen genauso Begleitung wie Rollstuhlfahrer. Außerdem könnten die Freiwilligen mit ihnen Spaziergänge unternehmen, sie zu Ärzten begleiten und ihnen bei Erledigungen helfen.
Auch in der Jüdischen Gemeinde Kassel hat die Abschaffung des Zivildienstes keine Auswirkungen auf die Arbeit der sozialen Einrichtungen: »Wir haben keine Zivis beschäftigt«, sagt das Vorstandsmitglied Esther Hass. Und zwar aus einem einzigen Grund, der auch für den Freiwilligendienst gelte: »Für das gleiche Geld können wir unsere eigenen Leute nehmen und ihnen so eine Perspektive bieten.«