Deutschland könnte der erste Standort außerhalb Israels für eine Dependance der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem werden. Ein Experten-Team will in den kommenden Monaten mithilfe der Bundesregierung die Machbarkeit eines Bildungszentrums in Deutschland prüfen, wie Yad Vashem am vergangenen Donnerstag bekannt gab.
»Wir sind sehr an einer Dependance von Yad Vashem in Berlin interessiert«, sagt Veronika Nahm vom Anne Frank Zentrum. Als dieses Zentrum vor 30 Jahren gegründet wurde, hätte es in der Stadt viel weniger Gedenkstätten und Museen zum Thema Holocaust gegeben als heute. Das Jüdische Museum Berlin ist beispielsweise erst vor 25 Jahren eröffnet worden. »Wir würden uns über die Bereicherung in einem breiten Feld freuen und möchten ins Gespräch kommen.« Es sei wichtig, in der Erinnerungsarbeit diese neuen Schritte zu gehen.
Das sieht auch Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung so. Die Erinnerungs- und Dokumentationsarbeit, die Yad Vashem weit über die Grenzen Israels leiste, sei unerlässlich für die globale Erinnerung der Schoa. »Aber auch in der Auseinandersetzung der Wirkungs- und Funktionsweisen von Antisemitismus. Selbstverständlich begrüßen wir ein solches Unterfangen«, so Blumenthaler. Die Antwort auf zunehmenden Antisemitismus dürfe auf keinen Fall weniger, sondern müsse stets deutlich mehr Erinnerungsarbeit sein. »Es käme einer Kapitulation gleich, aufgrund der Situation in Deutschland davon abzusehen.«
Das viel beschworene »Nie wieder«
Das viel beschworene »Nie wieder« sollte niemals nur eine Floskel sein, sondern müsse Tag für Tag neu mit Leben gefüllt werden, das zeigten auch die Reaktionen auf den 7. Oktober 2023 in Deutschland. »Gerade Erinnerungsarbeit lebt von unterschiedlichen Perspektiven, internationalem Austausch und von aktuellen pädagogischen Konzepten. Die Berliner Erinnerungsarbeit kann von einer Yad-Vashem-Dependance nur profitieren. Wege werden kürzer, Perspektiven weiter und der Austausch enger.«
Es soll auch um die Förderung von Toleranz gehen.
»Dass Yad Vashem in Betracht zieht, seinen ersten Standort außerhalb Israels in Deutschland zu eröffnen, ist ein starkes Zeichen für die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern«, bemerkt auch der israelische Botschafter Ron Prosor.
Bald würde es keine Möglichkeit mehr geben, mit Überlebenden zu sprechen. »Erinnerungs- und Bildungsarbeit werden dann für unsere jungen Generationen unersetzlich.« 80 Jahre nach dem Ende der Schoa könne das Bildungszentrum die Arbeit »unserer deutschen Freunde ergänzen und neue Impulse geben«.
Die Idee komme genau zum richtigen Zeitpunkt, meint auch Kai Diekmann, Vorsitzender des Freundeskreises Yad Vashem. Die seit dem 7. Oktober weltweit massiv angestiegene Zahl antisemitischer Angriffe und Ausfälle zeige, wie wichtig Aufklärung in Bezug auf die Geschichte Israels und des Holocaust noch immer sei. Das geplante Bildungszentrum in Deutschland unterstreiche die bisherige gute Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland im Bereich der Holocaust-Bildung und lege die Basis für eine vertiefte Zusammenarbeit.
Wissensvermittlung und Förderung von Toleranz und Offenheit
Bei der geplanten Dependance soll es deshalb vor allem um Wissensvermittlung und um die Förderung von Toleranz und Offenheit gehen, so Diekmann. Ziel sei es, im Verbund mit Partnern vor Ort neue Bildungsangebote zu entwickeln, um dem wachsenden Antisemitismus entgegenzuwirken. Diekmann ist überzeugt, dass das Holocaust-Bildungszentrum einen wichtigen Beitrag für den Kampf gegen Antisemitismus und Intoleranz leisten werde.
Bereits während seines Antrittsbesuchs in Berlin im Januar 2023 hatte Dani Dayan, damals neu im Amt als Vorsitzender von Yad Vashem, mit Bundeskanzler Olaf Scholz eine solche Option sondiert. So standen im Mittelpunkt der Gespräche Überlegungen, in Deutschland ein Zentrum für Holocaust-Bildungsarbeit aufzubauen, das eng mit der Gedenkstätte in Jerusalem kooperiert. Man wolle auf diese Weise das Gedenken an die Verbrechen der Nationalsozialisten aufrechterhalten, hatte Dayan damals erklärt.
Darüber hinaus ginge es auch darum, Toleranz und Offenheit in der Gesellschaft zu fördern. Mehrere Ministerien hätten ihre Unterstützung bereits signalisiert. Um die Gründung eines solchen Zentrums zu ermöglichen, wird Yad Vashem in den kommenden Monaten mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien eine umfassende Machbarkeitsstudie durchführen. Ziel ist es, die verschiedenen Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten und zu prüfen, ob es Probleme bei einer Umsetzung entsprechender Konzepte geben könnte.
Kooperationsvereinbarungen mit deutschen Partnern auf Bundesebene
Bereits jetzt bestehen Kooperationsvereinbarungen mit deutschen Partnern auf Bundesebene sowie in allen Bundesländern. Diese sollen laut den Plänen durch das Bildungszentrum vertieft werden. So hatten im September Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Dani Dayan eine Kooperationserklärung unterzeichnet.
Diese bildet den Rahmen für eine Zusammenarbeit im Bereich der Aus- und Fortbildung der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts. »Um schon in der Polizeiausbildung die Grundlagen zu legen für ein noch stärkeres Bewusstsein für Antisemitismus und für Sensibilität gegenüber den Betroffenen, ist unsere Zusammenarbeit mit der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem von großem Wert«, betonte Faeser.
Das Hauptziel des vorgeschlagenen Zentrums besteht darin, die Bildungs- und Gedenkstättenlandschaft zu ergänzen.
»Durch die Kooperationserklärung mit dem Bundesinnenministerium wird Yad Vashem nun mit der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt zusammenarbeiten und Bildungsveranstaltungen anbieten, um ein tieferes Verständnis für die Geschichte des Holocaust zu vermitteln und ein kollektives Engagement für die Erinnerung an den Holocaust zu fördern«, skizziert Dayan das Vorhaben.
Durch die Dependance würden weder die Bildungsprogramme in Jerusalem obsolet noch die vielfältigen bestehenden Programme und Aktivitäten anderer Institutionen in Deutschland beeinträchtigt werden. Das Hauptziel des vorgeschlagenen Zentrums bestehe darin, die Bildungs- und Gedenkstättenlandschaft zu ergänzen, indem es den großen Reichtum an Experten, Methoden und Instrumenten nutzt, den Yad Vashem über viele Jahrzehnte hinweg aufgebaut hat.
»Yad Vashem bleibt seinem Engagement treu, Institutionen und Ministerien, die mit dieser wichtigen gemeinsamen Aufgabe betraut sind, seinen hochmodernen pädagogischen Ansatz und sein historisches Fachwissen zur Verfügung zu stellen«, erklärte Dayan. »Wir freuen uns sehr auf die Möglichkeit, unsere Bildungsaktivitäten in Deutschland durch diese gemeinsame Kooperation weiter auszubauen.«