»Zedaka« prangt in hebräischen Lettern auf einem der zahllosen Bilder und Mosaiken, die die Wände des Kunstateliers Omanut bis unter die Decke säumen. Das jüdische Gebot der Wohltätigkeit ist zugleich das Leitbild der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), unter deren Dach das Kunstatelier seit nunmehr zehn Jahren Menschen mit Behinderungen und Menschen in schweren Lebenslagen im Rahmen verschiedener künstlerischer Projekte eine geschützte Tagesbetreuung bietet.
An diesem Dienstagvormittag führt Judith Tarazi durch die lichte und geräumige Charlottenburger Altbauwohnung, die das von ihr geleitete Atelier beherbergt. Wichtiger Besuch hat sich angekündigt: Mit Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, und Sozialstaatssekretärin Kerstin Griese (beide SPD) besuchen zwei Repräsentanten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) das Kunstatelier in der Joachimsthaler Straße, um sich vor Ort ein Bild von den Werkstätten und der dort angebotenen »Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung« (EUTB) zu machen.
BERATUNG Rund ein Jahr ist es her, da erhielt das Kunstatelier Omanut als eine von bundesweit mittlerweile rund 500 Einrichtungen den Zuschlag für die vom BMAS ausgelobte EUTB, die »niedrigschwellige Beratungsangebote zur Stärkung der Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen« fördert. Dusel und Griese zeigen sich von dem Besuch im Kunstatelier begeistert. Die dort angebotene EUTB erfreut sich großer Beliebtheit: »Das Programm wird sehr gut angenommen«, fasst Tarazi zusammen; wöchentlich nehmen in den Räumlichkeiten des Kunstateliers rund vier bis fünf Menschen eine Beratung in Anspruch, für die vier Berater und sechs Sprachen zur Verfügung stehen. Die Themen decken eine große Bandbreite ab. Dabei spielen die sogenannten Peer Counselors, die als Betroffene andere Betroffene beraten, eine besondere Rolle.
»Das Programm wird sehr gut angenommen«, fasst Judith Tarazi von der ZWST zusammen.
Einer von ihnen ist Jörg Kaminski, der selbst seit 2012 Teilnehmer des Kunstateliers war und sich mit der Einrichtung der EUTB-Stelle im vergangenen Jahr zum »Peer Counselor« weiterbildete. »Empathisch sein, zuhören, Verständnis zeigen«, diese Aspekte seiner Arbeit hebt Kaminski ganz besonders hervor. Aufgrund seiner eigenen Lebens- und Krankheitserfahrung könne er den Beratungssuchenden das versichernde Gefühl vermitteln: »Ich weiß genau, wovon Du sprichst.« Dabei stelle er sich in den Gesprächen stets die Fragen: »Welche Ressourcen sind da? Was kann der machen? Was kann der selbst machen?« Schließlich sei dieses Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe« für ihn der Inbegriff des ZWST-Leitbilds: »Zedaka«.
Die Wichtigkeit eben dieses »Peer Counseling« hervorzuheben, ist auch Kerstin Griese ein Anliegen. Darüber hinaus betont sie den zentralen Aspekt der Unabhängigkeit: »Die Idee der EUTB ist es, dass die Beratungen nicht von den klassischen Trägern der sozialen Arbeit gemacht werden, sondern möglichst von denen, die es sonst nicht immer machen, damit eben auch sehr unabhängig beraten wird.« Das kommt gut an.
EINSCHRÄNKUNG Doch bei allem Erfolg der EUTB sind sich sowohl Judith Tarazi und Jörg Kaminski als auch die beiden anwesenden ZWST-Vertreter Aron Schuster und Günter Jek über eine erhebliche Einschränkung einig: »Es fehlt an der öffentlichen Wahrnehmung«, so Tarazi – Anlass für Jürgen Dusel, dessen Amtszeit unter dem Motto »Demokratie braucht Inklusion« steht, zu betonen: »Es leben in Deutschland 13 Millionen Menschen mit Behinderungen. Das ist eine große Gruppe. Das muss mehr ins öffentliche Bewusstsein.«
Kerstin Griese ihrerseits bekräftigt vor diesem Hintergrund den Willen ihrer Behörde, das EUTB-Programm nicht nur zu verlängern, sondern auch mit besseren finanziellen Mitteln auszustatten – Musik in den Ohren der Vertreter von Omanut und ZWST. Und zugleich ein wichtiger Schritt für den weiteren Ausbau von ambulanten Betreuungsprogrammen für Menschen mit Behinderungen – und mehr Zedaka.