Da war zum Beispiel die Sache mit der Waschmaschine. Irina Rabinovitch und Alexander Apel erinnern sich nach zehn Jahren Arbeit beim »Vertrauenstelefon« an manch Kurioses. Ein Ratsuchender wählte die Nummer der Telefonseelsorge der jüdischen Gemeinde in Köln, um sich nach einer möglichst günstigen Waschmaschine zu erkundigen.
Ein anderer wollte wissen, wo denn der nächste Hausarzt niedergelassen sei. Es war nicht gerade die Art von Fragen, die Irina Rabinovitch und ihre Mitstreiterin im Sinn hatten, als sie die Telefonseelsorge der Kölner Synagogen-Gemeinde einrichteten.
Um die Jahrtausendwende hatte die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion einen Höhepunkt erreicht. Bis zu 20 Familien kamen damals neu in die Gemeinde – pro Monat, erinnert sich Irina Rabinovitch. Der Bedarf nach einer russischsprachigen und anonymen Beratungsstelle war offensichtlich. Im Sommer 2001 ging es los mit der telefonischen Anlaufstelle für akute Konfliktsituationen und längerfristige Probleme.
Berater Eines stellten die damals sieben ehrenamtlichen telefonischen Berater schnell fest: Nur auf den ersten Blick waren es triviale Sorgen, wenn zumeist ältere Anrufer nach russischsprachigem Fernsehempfang oder eben einer billigen Waschmaschine fragten. Auch die kleinen Sorgen erzählten oft vom großen Drama der Migration, von Entwurzelung, Entfremdung und Sprachlosigkeit. »Hinter vermeintlich rein praktischen Fragen verbergen sich oft psychische Probleme, eigentlich immer«, sagt Alexander Apel.
Der Psychiater und Psychotherapeut sorgt für den professionellen Beratung der inzwischen mit knapp 20 Ehrenamtlichen besetzten jüdischen Hotline, die die Kölner inzwischen gemeinsam mit der Düsseldorfer Gemeinde anbietet. In dreistündigen Schichten an drei Tagen in der Woche laufen im Jahr rund 1.000 Anrufe auf. Einsamkeit, Partnerprobleme, Spannungen in der Familie, Depression, das sind die meistgenannten Themen in der jüngsten anonymen Statistik des »Vertrauenstelefons«.
Unter den ehrenamtlichen Seelsorgern sind Ingenieure, Juristen, Biologen – unterschiedliche Berufsgruppen mit je sehr unterschiedlichen Ansätzen. Bei den regelmäßigen Gruppentreffen sei immer wieder faszinierend zu beobachten, wie die verschiedenen Fachleute an psychosoziale Fragen herangingen, erzählt Irina Rabinovitch. Inzwischen habe sich die Gruppe entwickelt. Man sei auch eine Art Selbsthilfegruppe, sagt die Sozialarbeiterin lachend.
Alexander Apel schult gemeinsam mit seiner Kollegin Stella Scherbatova die Freiwilligen und kümmert sich um ihre regelmäßige Supervision. Denn bei ihren Diensten müssen die Seelsorger einiges verkraften. Da gibt es die vielen einsamen Anrufer, die vor allem reden wollen. Aber auch dramatische und auch Fälle von Suizidgefährdeten kommen vor, die sofortiges Handeln erfordern. Doch das sei glücklicherweise die absolute Ausnahme, sagt Apel.
schulung »Die Aufgabe am Telefon ist, zuzuhören«, erklärt Irina Rabinovitch. Es gehe um momentane Entlastung, nicht darum, die Probleme des Anrufers augenblicklich zu lösen. Dazu erhalten die Mitarbeiter eine Grundschulung von 60 Stunden in Gesprächsführung, Spannungsabbau und Beratungsstrategien. Das Zuhören ist die große Kunst des therapeutischen Gesprächs. Auch die Profis scheitern oft genug daran, sich im Gespräch gänzlich zurückzunehmen.
Dass die Möglichkeiten anonymer Telefonberatung begrenzt sind, erkannte man in der Gemeinde bald. Hier setzte Alexander Apel vor sechs Jahren mit der »Psychologischen Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern mit Migrationshintergrund« an – ein unmittelbares Nebenprodukt des »Vertrauenstelefons«, erzählt Irina Rabinovitch. Erst dadurch sei man sich des großen Bedarfs bewusst geworden. An fünf Tagen in der Woche bietet die Gemeinde nun in ihrer Außenstelle in Köln-Porz Einzelberatungen an.
Eines hat Alexander Apel erstaunt bei seiner Arbeit bei der jüdischen Hotline und den Einzelberatungen: Die Erfahrung der Migration hatte in sehr vielen Fällen massive Auswirkungen. Immer wieder beobachtete er Fälle von Ich-Verlust, Menschen, denen Biografie und Identität verloren gingen. Und immer wieder sind es die praktischen Fragen, die ratlos machen: Das Nichtanerkennen von Studien- und Ausbildungsabschlüssen ist oft der Ausgangspunkt persönlicher Tragödien.
Apel erzählt vom Fall eines einst hochrangigen Staatsanwalts aus Russland. Da er politisch missliebig wurde, musste er nach Deutschland fliehen, wo seine jahrzehntelange Berufserfahrung plötzlich wertlos war. Als der Mann beim Vertrauenstelefon anrief, wusste er buchstäblich nicht mehr, wer oder was er ist. Apel selbst hatte im kasachischen Karaganda eine große psychiatrische Klinik geleitet, bevor er 2002 nach Deutschland kam. Gerade hat er ein Buch geschrieben, Psychologische Aspekte der Integration, so etwas wie ein Destillat seiner Beratungsarbeit. Noch sucht Apel nach einem Verlag für seinen umfassenden Ratgeber.
Basis Mit dem Telefon und der Einzelberatung hat man in Köln die psychosoziale Beratung inzwischen auf ein breites Fundament gestellt. Der Bedarf aber ist bundesweit groß. Immer wieder rufen Ratsuchende aus dem Ruhrgebiet, aus Hamburg oder Berlin beim Köln-Düsseldorfer »Vertrauenstelefon« an. Eine deutschlandweite jüdische Hotline, mehrsprachig besetzt und das rund um die Uhr – davon träumen Irina Rabinovitch und Alexander Apel seit Langem.
Vor einigen Jahren bereits wurden sie beim Zentralrat und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland vorstellig. Doch bislang scheiterte das Projekt an der Finanzierung. Vielleicht, so hofft Irina Rabinovitch wird das anders sein, wenn das Kölner Vertrauenstelefon seinen 15. Geburtstag feiert.
Vertrauenstelefon Köln: 0221/26 18 50
Vertrauenstelefon Düsseldorf: 0211/946 85 20, -21