Direkt unter dem Himmel, mit Blick auf die Vogesen und den Schwarzwald: Unter einem gläsernen Dach feiert die Jüdische Gemeinde im südbadischen Emmendingen ihre Gottesdienste. Seit 1999 ist die Synagoge in einem mehrstöckigen Turm untergebracht, in dem einst der Jude Löwel mit seinem Salz- und Münzmonopol Salz lagerte. In diesem Jahr erinnert sich die Kleinstadt in der Nähe von Freiburg an die Geschichte ihrer jüdischen Gemeinde. Vor 300 Jahren fing alles an.
Manchmal kommen Gäste aus Israel und den USA. Sie wollen die ungewöhnliche Synagoge sehen, erzählt Klaus Teschemacher. Der 76-Jährige ist eine Schlüsselfigur der jüngsten Geschichte der Gemeinde und hat auch ihre Wurzeln erforscht. Im Jubiläumsprogramm des Vereins »Jüdische Geschichte und Kultur Emmendingen« in Zusammenarbeit mit der Gemeinde und der Stadt Emmendingen sind diese Wurzeln eines der Themen in zehn Veranstaltungen bis zum Jahresende.
Schutzjuden Genau datieren lassen sich die ersten Spuren jüdischen Lebens nicht: Wahrscheinlich lebten Juden hier bereits im 16. Jahrhundert, sicher aber nach dem Dreißigjährigen Krieg. Darunter war damals auch Löwel. Dauerhaft siedelten sich 1716 fünf Familien an, die aus dem schweizerischen Thurgau fliehen mussten. Dass sie in Emmendingen Asyl fanden, verdankten sie dem »Schutzjuden« und Unternehmer Josle Breisach, der ihnen Arbeit gab. Sie mussten Schutzgeld und andere Zahlungen an die Obrigkeiten aufbringen. Bald wurde die erste Synagoge eingerichtet und 1823 durch eine neue ersetzt.
Wie war das Leben für die ersten Emmendinger Juden? Klaus Teschemacher beschreibt ihren Alltag als hart und von Armut geprägt. Das Judenedikt vom 13. Januar 1809 brachte ihnen mehr Rechte, aber es gab Versuche aus der nichtjüdischen Bevölkerung, das Edikt auszuhöhlen. Trotzdem galt der kleine Ort als Ausnahme, als die Stimmung in Baden immer antisemitischer wurde. In Emmendingen lebten Juden vergleichsweise unbehelligt. Sie besuchten Schulen, gründeten Vereine, arbeiteten als Kaufleute, Viehhändler, Metzger und Bäcker. 1823 entstand die neue Synagoge, in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts eine Mikwe.
Am 4. Oktober 1862 erhielten die Juden in Baden die vollen Rechte als Gemeindebürger. In Emmendingen lebten damals mehr als 400 jüdische Bürger, sie machten 12,9 Prozent der Bevölkerung aus. Ab 1933 geschah in Emmendingen das gleiche wie überall im nationalsozialistischen Deutschland: Juden wurden verfolgt, und die ersten von ihnen flohen. Alle, denen bis 1940 keine Flucht gelungen war, wurden ins Konzentrationslager im südfranzösischen Gurs und weiter nach Auschwitz deportiert. Ein einziger Emmendinger Jude überlebte. Rolf Weinstock starb allerdings nach seiner Rückkehr aus Auschwitz 1952 als junger Mann.
Als der Lehrer Klaus Teschemacher 1979 mit seiner Familie nach Emmendingen zog, dachte er, dass es dort sonst keine Juden gibt. Zufällig erfuhr er, dass unter seinen Kolleginnen eine Jüdin war und dass es auch noch wenige andere gab. Als 1988 ehemalige jüdische Bürger zu Besuch kamen, erkämpfte eine Initiative für eine neue Gedenktafel am Ort der ehemaligen Synagoge am Schlossplatz einen damals fast revolutionären Text: Ausdrücklich werden Emmendinger Bürger als Zerstörer der Synagoge genannt.
Kontingentflüchtlinge Und dann begann in den 90er-Jahren eine neue Ära: Mit den jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der Sowjetunion wuchs die Gemeinde unerwartet. Klaus Teschemacher und seine Frau Ute kamen nicht mehr zur Ruhe. Über viele Jahre hinweg übernahmen und organisierten sie Sprachkurse, Behördenbegleitungen, Wohnungsvermittlungen.
Für Teschemacher war das selbstverständlich: Als Kleinkind hatte er den Holocaust mit seiner Mutter nur durch die Hilfsbereitschaft dänischer Familien in Verstecken überlebt. Nun wollte er andere unterstützen, sagt er. »Das sind meine Leute.« Zunächst gehörten die Emmendinger Juden zur Freiburger Gemeinde, die 1994 mit rund 800 Mitgliedern die größte in Baden war, erinnert er sich. Die Gründung der Jüdischen Gemeinde in Emmendingen im Februar 1995 sollte für eine bessere, weil ortsnahe Betreuung sorgen. Allerdings erkannte die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden sie erst nach einer Entscheidung des Schiedsgerichts des Zentralrats der Juden im Juni 1996 an.
Zurzeit hat die Gemeinde rund 270 Mitglieder, sagt ihr Vorsitzender Torsten Rottberger. Wie in den meisten Gemeinden bundesweit sind die Älteren in der Mehrzahl, nur zehn Prozent der Gemeindemitglieder sind jünger als 18 Jahre. Von denen aber kämen die meisten zu den Gottesdiensten und noch mehr ins Jugendzentrum, das mit Räumen für Deutschkurse und Begegnungen sowie einer koscheren Küche im »Turm« untergebracht ist.
Seit März gehört der früher nur gemietete Turm der Gemeinde: ein gemeinsames Jubiläumsgeschenk des Oberrats der Israeliten Badens, des Zentralrats der Juden und der Stadt Emmendingen. Außerdem kam eine Erweiterung hinzu, ein Durchbruch zum benachbarten ehemaligen Schuhgeschäft ermöglicht nun einen Umbau.
Auch sonst ist die Jüdische Gemeinde im kleinen Emmendingen gut sichtbar: Am zentralen Schlossplatz sind die Umrisse der zerstörten Synagoge mit dunklen Pflastersteinen nachgezeichnet. Einige Schritte weiter kamen die Gemeindebüros, ein Gemeindesaal und die mehr als 5000 Bücher der Bibliothek im Simon-Veit-Haus unter, das von 1763 bis 1823 als Synagoge und dann als Gemeindehaus genutzt worden war. Nicht zu vergessen das Jüdische Museum im ehemaligen Gebäude der Mikwe.
Ausstellung Hier bereitet Monika Miklis eines der Highlights der Jubiläumsveranstaltungen vor: die Sonderausstellung »Zeugnisse jüdischer Familiengeschichten«, die am 8. Mai um 13 Uhr eröffnet wird. Zu sehen gibt es unter anderem einen silbernen Pokal von 1910, der dem damaligen Synagogenvorstand Heinrich Weil gehört hatte, und dessen Verdienstkreuz. Seine Nachfahren, die in der Schweiz leben, hatten sich bei Monika Miklis gemeldet, auch alte Gebetbücher und ein Poesiealbum sind unter den Schätzen aus verschiedenen Quellen, die beweisen, wie vielfältig das jüdische Leben in Emmendingen war. Das ist heute wieder genauso: Davon künden Fotos von Festen, vielen Gemeindemitgliedern bis zu Rabbiner Yaakov Yosef Yudkowsky.