Am Helene-Habermann-Gymnasium im Fasangarten mussten die Schülerinnen und Schüler im Frühjahr 2022 nicht lange überlegen. Als sie hörten, dass gleichaltrige Geflüchtete aus der Ukraine an ihre Schule kommen würden, gründeten sie ein Willkommens-Komitee. Sie organisierten T-Shirts für die Neuankömmlinge und etablierten ein Patensystem.
»Die Kinder und Jugendlichen«, sagt zwei Jahre später Direktorin Miriam Geldmacher, »waren der Hammer«. So dauerte es nicht lang, und die 25 Neuzugänge, die erst einmal in einer eigenen Klasse Deutsch-Intensiv-Unterricht bekamen und ansonsten von ukrainischen Lehrkräften unterrichtet wurden, fanden hier Freunde.
Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht
Am vergangenen Samstag jährte sich der Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine zum zweiten Mal – und ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Rund 17.000 Ukrainerinnen und Ukrainer haben in München seither ein Zuhause auf Zeit gefunden. Für die jüdischen Geflüchteten hat sich die Israelitische Kultusgemeinde von Anfang an umfassend engagiert.
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, erinnert sich: »Mir war sofort klar, dass die IKG helfen musste. Es war zu erwarten, dass unter den Geflüchteten auch viele jüdische Frauen mit ihren Kindern und ältere Menschen, manche Überlebende des Holocaust, sein würden. Es fehlte an allem, die Not war unglaublich – aber die Hilfsbereitschaft war es auch.«
Und so lud Knobloch schon wenige Tage nach Kriegsbeginn die ersten rund 160 jüdischen Geflüchteten ein, um gemeinsam den Beginn des Schabbats zu feiern. Im Hubert-Burda-Saal ging sie von Tisch zu Tisch und versprach den Anwesenden: »Jeder bekommt die Hilfe, die er braucht.«
Dabei scheute man keine Anstrengung. »Wir waren«, berichtet rückblickend Vorstandsmitglied Ariel Kligman, »wochenlang rund um die Uhr beschäftigt.« An manchen Tagen wurden 250 Hilfesuchende am Jakobsplatz vorstellig, nicht nur jüdische Familien übrigens, wie wiederum Daniel Salzer erzählt, der die damals gegründete Arbeitsgruppe Ukraine-Hilfe leitete. »Es ist Wahnsinn, was geleistet wurde«, sagt heute die Leiterin des Alexander-Moksel-Kindergartens, Irina Sokolov.
Die größte Herausforderung bestand darin, Unterkünfte zu finden
Die größte Herausforderung bestand zunächst darin, Unterkünfte zu finden. Auch in dieser Hinsicht gab es eine große Hilfsbereitschaft. In den ersten Monaten gelang es, die Geflüchteten privat oder in Hotels unterzubringen, von denen einige ihre Zimmer günstig oder sogar kostenlos zur Verfügung stellten. Dank einer wertvollen Vermittlung gelang es schließlich, rund 300 jüdische Geflüchtete in einem Gebäude der katholischen Kirche einzuquartieren.
»Es war uns ganz wichtig, dass die jüdischen Menschen zusammen in München bleiben können, damit sie Zugang zu den Einrichtungen unserer Gemeinde haben«, betont Charlotte Knobloch und richtet einen Dank an das Erzbistum und die Landeshauptstadt, die die Unterkunft inzwischen betreibt.
Mit der Unterstützung durch viele Ehrenamtliche kümmerten sich die mehr als 20 Mitarbeiterinnen der Sozialabteilung unter Leitung von Olga Albrandt um alles, was die Geflüchteten in München brauchten: Die einen benötigten Beistand im Umgang mit Behörden, andere eine Begleitung zum Arzt oder auch ins Krankenhaus.
Es gab Deutschkurse und psychosoziale Beratung. Und die Kindergärten, die Sinai-Grundschule und das Gymnasium schufen Plätze für rund 60 Kinder und Jugendliche. Viele Wochen lang wurde zweimal am Tag für die Ankömmlinge koscher gekocht, »70, 80 Menschen kamen jeweils zum Essen zu uns«, erinnert sich Daniel Salzer.
Besondere Fürsorge galt den ukrainischen Holocaust-Überlebenden
Besondere Fürsorge galt den ukrainischen Holocaust-Überlebenden, die nun ausgerechnet in Deutschland Schutz vor der russischen Aggression suchten und im jüdischen Saul-Eisenberg-Seniorenheim Aufnahme fanden.
»Wir schauen nach vorn, vor allem für die Kinder.«
Charlotte Knobloch
Für 19 Jungen und Mädchen wiederum fing ihr neues Leben in München im Alexander-Moksel-Kindergarten an. Leiterin Irina Sokolov erzählt, die Kinder hätten anfangs immer wieder vom Krieg gesprochen und davon, dass ihre Väter kämpfen müssten. »Nach einiger Zeit wurden ihre Themen endlich kindgerechter«, sagt Sokolov.
Als Segen erwies sich bei all diesen Aktivitäten, dass viele Mitarbeiter der Gemeinde Ukrainisch und Russisch sprechen. Und darüber hinaus? Stattete der TSV Maccabi München etwa 50 Kinder und Jugendliche mit Sportbekleidung aus, gingen auf Initiative von Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman mehrere Hilfstransporte in das vom Krieg gebeutelte Land jenseits der Karpaten und wurden zu Pessach Päckchen für Waisenkinder in der Ukraine gepackt.
»Die Thematik Flüchtlinge hat sich stabilisiert«, erklärt Daniel Salzer, die Arbeitsgruppe für die Ukraine-Hilfe konnte vor etwa einem Jahr aufgelöst werden. »Aber Krieg«, so fügt er an und denkt dabei sicher auch an Israel, »ist immer unerträglich.« Ariel Kligman bestätigt, längst sei, was das Leben der geflüchteten Ukrainer angeht, eine Art Normalität eingetreten. Und dennoch gibt er zu bedenken: »Ich fürchte mich davor, was uns alles noch bevorsteht.«
»Trotzdem schauen wir nach vorn, vor allem für die Kinder«, sagt IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. Von den 25 Kindern und Jugendlichen, die vor 24 Monaten ins Helene-Habermann-Gymnasium kamen, sind zehn geblieben und längst in die Regelklassen aufgenommen. »Sie gehören zu unserer Schulfamilie und sind Schüler wie alle anderen auch«, fasst es Miriam Geldmacher zuversichtlich für die Zukunft zusammen.