Es ist eine schlichte weiße Fahne, die eine Frau bei einer Gedenkveranstaltung für die Novemberpogrome in Brühl (NRW) am Samstag hält: »Wir schützen jüdisches Leben«, steht darauf. Zwischen den Zeilen ist ein von einem Herz umrandeter Davidstern aufgemalt. Doch in Brühl ist die Botschaft an diesem Abend nicht gern gesehen. Ein Vertreter der Initiative für Völkerverständigung, die die Kundgebung am Rathaus organisiert hat, kommt auf die Frau zu und fordert sie auf, die Flagge sofort wegzupacken. Sie sei »zu provokant«, behauptet der Mann. So schildern es Teilnehmer der Kundgebung gegenüber der Jüdischen Allgemeinen.
Doch die Frau lässt sich von der Aufforderung nicht beirren. Demonstrativ stellen sich die stellvertretende Bürgermeisterin Pia Regh (CDU) und Sabine Suchan, Leiterin der Brühler Gesamtschule, hinter die Fahne. Als ein Journalist die Szene fotografieren will, wird er von dem Vertreter der Initiative für Völkerverständigung angegangen.
Der Rest der Veranstaltung geht ohne die Frau weiter, aber dafür – wie in den vergangenen Jahrzehnten – ganz nach Drehbuch: Nachdem Bürgermeister Dieter Freytag (SPD) mit Kippa auf dem Kopf der Brühler Opfer des Nationalsozialismus gedacht hat, brechen die Kundgebungsteilnehmer zu einem Schweigegang auf. Sie tragen Schilder, auf denen »Gemeinsam gegen Rassismus, Terror und Gewalt« oder »Erinnerung an die Reichspogromnacht« steht. Plakate, die sich explizit gegen Antisemitismus richten, soll es nicht gegeben haben. Der Marsch endet an einer Gedenkstätte für die zerstörte Synagoge. Dort werden Kerzen für die 65 von den Nazis ermordeten Juden entzündet. Unter einem Davidstern.
Flagge hat angeblich nichts mit Erinnerungskultur zu tun
Der Eklat aber, über den zuerst die »Rheinischen Anzeigenblätter« berichtet haben, sorgt in der Stadt auch über das Wochenende hinaus für Diskussionen. Auf der Facebook-Seite der Initiative für Völkerverständigung kritisieren Brühler die Organisatoren für den Versuch, die Flagge für den Schutz jüdischen Lebens zu verbieten. Karin Tieke, Sprecherin der Initiative, rechtfertigt sich in einem Kommentar: »Grundsätzlich ist der Schweigegang eine Gedenkveranstaltung zum Judenpogrom und zur Verfolgung aller Zivilisten unter einem totalitären Regime, und keine Demonstration zur Tagespolitik. Wer einen aktuellen Bezug herstellen möchte, muss das bitte rechtzeitig im Vorfeld mit den Organisatoren besprechen.«
Harry Hupp, Tiekes Stellvertreter und Stadtratsverordneter in Brühl (Piraten), sieht nicht, was ein Banner für den Schutz jüdischen Lebens mit der Erinnerung an ein Pogrom gegen Juden zu tun hat: »Wo liegt der Zusammenhang des Plakates zur Erinnerungskultur?«, fragt er. Hupp hätte sich vielmehr einen Aufruf zur Völkerverständigung gewünscht: »Eine Aussöhnung von Juden und Palästinensern hätte da als Text des Plakats besser gepasst.« Unklar bleibt, inwiefern die Fahne einen »Bezug zur Tagespolitik« darstellt oder warum eine Aussöhnung »von Juden und Palästinensern« keinen solchen darstellt. Die Initiative ließ eine entsprechende Anfrage der Jüdischen Allgemeinen unbeantwortet.
Bürgermeister Freytag teilte der Jüdischen Allgemeinen mit: »Es handelt sich um einen – aus meiner Sicht – unnötigen Konflikt zwischen der Initiative und der Brühlerin. Leider waren am Abend des 9. November die Emotionen so stark, dass eine sachliche Klärung der Positionen nicht möglich war.«
Hinweis: Nach Veröffentlichung dieses Artikels nahm die Brühler Initiative für Völkerverständigung gegenüber der Jüdischen Allgemeinen Stellung. Sie finde »den Davidstern in keiner Weise provokant und auch nicht die auf dem Transparent zu lesende Aussage ›Wir schützen jüdisches Leben‹.«
Und weiter: »Entgegen Ihrer Darstellung sind nicht wir auf die Frau mit dem Transparent zugegangen, sondern sie hat uns kurz vor der Veranstaltung angefragt. Aus gegebenem Anlass gibt es unter den Aufrufenden des Schweigegangs die Absprache, nur zuvor abgesprochene Aussagen auf Transparenten mitzuführen. Wir baten sie daher, das Transparent nicht zu zeigen. Daraufhin beschimpfte die Dame mich und den Sprecher der Initiative in übelster Weise als Antisemiten.«
Der Initiative zufolge handele es sich um einen »herbeigeschriebenen Eklat«, den es so nicht gegeben habe, da das Transparent gut sichtbar neben der Bühne gezeigt worden sei.