»Mich hat Politik schon früh interessiert«, sagt Louis (18), Schulsprecher des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn in Berlin. Die Parteiprogramme hat er gründlich studiert und mit Schulkameraden über die Inhalte diskutiert.
Am vergangenen Freitag hat sich das Gymnasium an der »U18-Wahl« beteiligt – die Schüler der Klassen acht bis zwölf durften ihre Stimme abgeben, um zu erleben, wie eine Wahl funktioniert. Vor den Wahlkabinen gab es viele Diskussionen, die Beteiligung war hoch, sagt der Schulsprecher.
Bundesweit gab es bei der U18-Wahl die meisten Stimmen für CDU/CSU, gefolgt von SPD und Grünen. Die Linke, AfD und FDP erreichten mehr als fünf Prozent. »Man muss das Amtsdeutsch der Parteiprogramme auf eigene Worte runterbrechen«, findet Louis.
Kommunalwahlen Er hat bereits vor einem Jahr bei der Wahl zum Berliner Senat seine Stimme abgegeben – bei Kommunalwahlen dürfen auch schon 16-Jährige mitwählen. Aber ob man mit 16 oder 18 zum ersten Mal wählen geht, findet Louis nicht so wichtig.
Wenn Jana Sch. auf dem Weg zur Schule ist, kommt sie an vielen Wahlplakaten vorbei. »Ich lese sie mir immer durch und studiere die Slogans«, sagt die Berliner Schülerin. Am Sonntag ist Bundestagswahl, aber Jana Sch. und ihre Klassenkameradinnen Batel, Lea und Jana Z. können noch nicht mitwählen. Sie besuchen die elfte Klasse des Gymnasiums der Jüdischen Traditionsschule am Spandauer Damm und sind 15 bis 17 Jahre alt.
Beim Fernsehduell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich der Herausforderer Martin Schulz (SPD) für ein Wahlrecht ab 16 auch bei der Bundestagswahl eingesetzt. Doch die Schülerinnen sind skeptisch.
»Was hätte es denn für einen Vorteil, wenn ich jetzt einen Bundeskanzler mitwählen würde?«, fragt Batel (15). Die anderen Mädchen sehen das genauso. »Um wählen zu können, müsste ich mich besser auskennen«, sagt Lea (16). »Ich befasse mich nicht genug mit Politik«, glaubt auch Jana Z. (17). Und wie informieren sich die Jugendlichen? »Hauptsächlich im Internet«, sagen die vier unisono. Dort verfolgen sie ab und zu die Nachrichten und schauen nach, welche Ziele die einzelnen Parteien haben.
Homosexualität »Für mich ist es ganz wichtig, dass gleichgeschlechtliche Paare auf der Straße nicht beleidigt werden«, sagt Jana. Sie hat öfters beobachtet, dass viele Menschen deshalb angefeindet würden. »Es soll die Norm sein, dass jeder die Freiheit hat, sich selbst auszusuchen, mit wem er zusammen ist.« Während der Herrschaft der Nazis wurden viele Menschen, die Homosexualität lebten, in Lager deportiert. »Ich würde also keine Partei wählen, die wieder für ein Verbot von gleichgeschlechtlicher Liebe ist«, sagt Jana Z. bestimmt.
Auch der Klimawandel ist für die Jugendlichen ein wichtiges Thema. »Der wird große Auswirkungen auf unseren Planeten haben. Man spürt die Veränderungen schon jetzt.« Außerdem meint Batel: »Ich würde mir wünschen, dass man auf die Straße gehen und zeigen kann, dass man jüdisch ist, und sich dennoch sicher fühlt.« Beterinnen und Beter aller Religionen sollten ihr Haus verlassen können, ohne Angst haben zu müssen.
Im Politik- und Geschichtsunterricht hat die Klasse der vier Mädchen den Wahl-O-Mat getestet. »Aber es ist auch interessant, was sonst auf der Welt passiert, was der amerikanische Präsident macht, was in Russland los ist oder in der Türkei«, meint Jana. Für Batel sind die Nachrichten aus Israel wichtig, weil sie dort Familie hat. Lea hingegen verfolgt aufmerksam das politische Geschehen in den USA, weil ihre Familie von dort kommt.
gleichberechtigung Knapp 600 Abgeordnete gehören dem deutschen Bundestag an. Weniger als ein Drittel von ihnen sind Frauen. »Frauen und Männer sollten die gleichen Rechte haben. Oft sind Frauen als minderwertig angesehen worden – das geht gar nicht«, sagt Batel. Jana Sch. würde sich wünschen, dass der Frauenanteil sich mit der nächsten Wahl erhöht. Aber: »Nur weil es eine Frau ist, hat sie nicht gleich mein Vertrauen«, sagt die 16-Jährige.
Semon (17), Madrich im Berliner Jugendzentrum Olam, würde gerne zur Wahl gehen, obwohl er seine Chance vor einem Jahr nicht wahrgenommen hat. »Als die Unterlagen zur Wahl des Berliner Senats in meinem Briefkasten waren, habe ich sie verlegt«, sagt Semon, der ein Gymnasium in Berlin-Steglitz besucht. Er fühlte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erwachsen genug, um mit gutem Gewissen seine Stimme abzugeben. Das hat sich mittlerweile geändert: »Ich bin jetzt reifer.«
Wie auch Jana Sch. studiert Semon die Wahlplakate genau. Bei der AfD stört ihn – neben anderem – das, was er als Hetze empfindet. »Am schlimmsten finde ich das Plakat mit der Aufschrift ›Burkas? Wir stehen auf Bikinis‹.« Bei der SPD sei ihm positiv die Wahlwerbung aufgefallen, bei der es um gleiche Gehälter für Frauen geht.
Nicht nur bei den Grünen hat Semon bemerkt, dass mehr Migranten als früher für den Bundestag kandidieren: »Das zeigt, dass wir in einem Multikulti-Land leben.« Am meisten sagen Semon die Ziele der CDU zu: »In diesem Herbst bedauere ich es, noch nicht wählen zu können.«