Trier

Zu Hause in der ältesten Stadt

Ministerpräsidentin Malu Dreyer schaut sich die Ausstellung an. Foto: Dieter Ebeling

Natürlich ist die jüdische Gemeinde in Trier viel älter. Denn jene 60 Jahre, die die Gemeinde jetzt feierte, begannen erst 1957 mit der Einweihung einer neuen Synagoge in der Stadt an der Mosel. Der Bau des Bethauses folgte damals der offiziellen Wiedergründung der jüdischen Kultusgemeinde von 1946. Fast 800 Mitglieder zählte die Gemeinde noch 1938. Nach Holocaust und Krieg waren nur noch »14 tapfere Überlebende«, so die Gemeindevorsitzende Jeanna Bakal, in die alte Heimat zurückgekehrt und hatten die Gemeinde wiederaufgebaut. Und schließlich auch eine neue Synagoge. Die alte war durch die Nazis und Bomben zerstört worden.

In der alten römischen Kaiserresidenz Trier, die sich gerne als »älteste Stadt Deutschlands« bezeichnet, wird die jüdische Geschichte nicht in Jahrzehnten, sondern allenfalls in Jahrhunderten gemessen. Als älteste Beweise für Juden in Trier gelten ein Öllämpchen und eine Menora aus dem Jahr 350. Urkundlich wird die »Judengemeinde« 1066 in einer Stadtchronik erwähnt. »Dies ist bestimmt eine der ältesten jüdischen Gemeinden in Deutschland«, sagt der Kunsthistoriker Ralf Kotschka, der eine Ausstellung über die Geschichte der Juden in Trier gestaltet hat. Sie wurde von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer eröffnet und soll später auch als Wanderausstellung durch die Schulen des Landes geschickt werden.

Ministerpräsidentin Die 14 Überlebenden trugen laut Dreyer grundlegend dazu bei, dass jüdisches Leben und jüdische Tradition, die vernichtet worden waren, wieder ganz langsam in der Stadt aufblühen konnten. »Wir wollen, dass sich dieses jüdische Leben weiterentwickelt in unserem Land«, fügt sie, an die Festgäste im Betsaal der Synagoge gerichtet, hinzu. »Sie bereichern unser Leben. Und wir wünschen uns, dass Menschen jüdischen Glaubens ihre Religion offen und frei weiterleben können.« Der »Geist der Nationalsozialisten« sei »schon wieder im Denken der Rechten auch in unserem Land verbreitet«, und allzu viele Menschen seien »offen für diese Gedanken, für Rassismus, für Ausgrenzung und Intoleranz«. Dies mache sie »traurig und betroffen«.

»Verschiedene Fürstbischöfe haben im Mittelalter immer wieder einmal die Juden aus der Stadt vertrieben«, sagt Peter Szemere, der Besuchern das jüdische Trier erklärt. Oft ließen sich die Juden dann außerhalb der Stadtmauern nieder. Was man noch heute daran sieht, dass zur Trierer Gemeinde 40 Friedhöfe gehören, von denen sich nur zwei im Stadtgebiet befinden. »Es gibt keine ununterbrochene Generationennachfolge in der Gemeinde«, erklärt Kotschka. »Über Hunderte von Jahren lebten gar keine Juden in Trier. Das war immer ein Auf und Ab«, sagt Gemeindevorsitzende Bakal.

Rabbinerpersönlichkeiten Martin Przybilski, Professor für ältere deutsche Philologie in Trier und Jiddist, betont beim Festakt: »Trier hat wie andere Orte in Aschkenas ganz wesentlich gewirkt durch seine bedeutenden Rabbiner.« Er verweist auf David Josef Sintzheim, den Napoleon als Leiter des neuen Sanhedrin einsetzte. Oder auf den von den Nazis ermordeten Rabbiner Adolf Altmann, der »als Vertreter eines gleichzeitig weltoffenen und traditionsbewussten Trierer Judentums« bekannt war. »Trier ist also ein wichtiger kultureller Bezugspunkt für das aschkenasische Judentum«, so Przybilski. Die »Trierer Schul« sei »eine Mischung aus Weltoffenheit, Modernität und Traditionsbewusstsein«. Zudem sei dies eine lebendige Gemeinde. »Damit gibt sie ein Vorbild dafür, wie Judentum in Deutschland weiter gelebt werden und sich entwickeln kann, ohne selbstvergessen zu werden.«

»Die Gemeinde stand vor dem Aus«, sagt Szemere über die 80er-Jahre. Die Zahl der Gemeindemitglieder in Trier war auf 80 gesunken. In der schönen und großen Synagoge mit rund 100 Sitzen blieben viele Plätze leer. »Das Fortbestehen der Gemeinde war dramatisch gefährdet. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt«, sagt Bakal. »Denn es kam der wunderbare Zuzug der jüdischen Bürger aus der Sowjetunion.«

Karl Marx Von den mehr als 200.000 sowjetischen Juden, die seit 1991 nach Deutschland einwanderten, kamen auch einige nach Trier. Heute haben von den knapp 500 Gemeindemitgliedern etwa 99 Prozent eine Vergangenheit in der Sowjetunion, neben Deutsch wird vorwiegend Russisch gesprochen. Bakal selbst stammt aus Moldawien. »Ich bin eigentlich durch Karl Marx hierhergekommen«, erinnert sie sich. Als die deutsche Botschaft wissen wollte, wohin sie in Deutschland wolle, habe sie sich an einen Film über Marx, den berühmtesten Sohn der Stadt, erinnert: »Ich habe mir gedacht, dass das so eine schöne Stadt ist. Und ich wusste, dass sie nah an Frankreich und Luxemburg liegt.« Marx sei ja Jude gewesen und habe sich dann taufen lassen. »Und wir wussten, dass früher in Trier viele Juden lebten.«

Es war eine Entscheidung, die Jeanna Bakal nicht bereut hat. »Antisemitismus vonseiten der deutschen Bevölkerung spüren wir fast nicht«, sagt die Gemeindevorsitzende. »Was jetzt den Antisemitismus ausmacht, das ist antiisraelische Politik. Jetzt kommt der Antisemitismus von der arabischen und palästinensischen Seite.« Die Gemeinde bemühe sich ständig um ein friedliches Miteinander. Es gibt gemeinsame interreligiöse Veranstaltungen mit Christen und Muslimen. Und es gibt aktive Jugendgruppen. Die Gemeinde versuche auch, jenseits der Religion etwas Heimat zu schaffen: Bei gutem Wetter sitzen die Mitglieder des Schachklubs stundenlang draußen im Schatten der Synagoge.

»Die jüdische Gemeinde ist im öffentlichen Leben der Stadt angekommen«, sagt Bakal. »Wir möchten hier in Deutschland für unsere Kinder eine Zukunft aufbauen. Aber wie sie sich entwickelt, das kann niemand sagen.«

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