Kadosch, kadosch, kadosch», sagt Awi Bumenfeld und versucht, es sich soweit es geht unter dem Kreuz bequem zu machen. Den Historiker plagt das Knie, und der Weg von der Prager Burg bis zu diesem Ende der Karlsbrücke war lang.
«Heilig, heilig, heilig», wiederholt Blumenfeld die goldene Inschrift, die da in hebräischen Schriftzeichen rund um das Kruzifix prangt, einer von insgesamt 30 Statuen, die die alte Moldaubrücke zieren. «Ein Tribunal hat hier einst einen jüdischen Kaufmann dazu verurteilt, diese Inschrift zu bezahlen, weil er die Statue des Gekreuzigten verspottet haben soll», erklärt Blumenfeld der Gruppe, die sich um ihn gescharrt hat, und verweist auf eine leicht verwitterte Tafel auf Tschechisch, Deutsch und Latein.
Albright Das geschah 1696. «Erst 2002 wurde hier auch eine kleine Erklärung auf Hebräisch angebracht.» Madeleine Albright, die damalige amerikanische Außenministerin mit tschechischen und jüdischen Wurzeln, hatte ihren Besuch in Prag angekündigt, und man wollte möglichen Fragen zuvorkommen.
Die Exkursion in die weitere und nähere Vergangenheit des jüdischen Prag war Abschluss eines Shabbaton, zu dem am vergangenen Wochenende mehr als 80 junge Juden aus ganz Deutschland an die Moldau gereist waren. Eine bunte Truppe, in der sich das Deutsche mit dem Russischen, Englischen und Hebräischen abwechselt. «Ich kam hierher, weil ich neue Leute kennenlernen wollte», erzählt Elina aus Leipzig. In Prag war sie zuvor zwar schon ein paar Mal. «Ich habe lange in Johanngeorgenstadt an der tschechischen Grenze gelebt», erklärt Elina, die als Neunjährige aus St. Petersburg ins Erzgebirge kam. Jetzt folgt sie den Ausführungen von Awi Blumenfeld, der die Gruppe inzwischen von der Karlsbrücke in Richtung Josefov, der ehemaligen Judenstadt, führt.
Organisiert wurde der Shabbaton von Morasha Germany. Diese Organisation für Studenten und junge Berufstätige hat es sich zum Ziel gesetzt, junge Erwachsene auf dem Weg zu begleiten, den sie bei der Entwicklung ihrer jüdischen Identität beschreiten. Durch solche Veranstaltungen wie den Shabbaton zum Beispiel. «Der soll den jungen Menschen eine gemeinsame positive Erfahrung vermitteln», erklärt Rabbiner David Rose, Gründer und Direktor von Morasha Germany.
Der gemeinsame Schabbat in Prag soll jüdische Jugendliche durch Erlebnisse und intellektuelle Auseinandersetzungen an ihr jüdisches Erbe heranführen. «Und zwar durch offene Diskussion, ohne die Gefahr des Brainwashing», betont Blumenfeld, der Vorsitzender der Historischen Kommission der Claims Conference, Forschungsassistent an der Bar-Ilan-Universität und Dozent in Yad Vashem ist und zwischen Mitteleuropa und Israel pendelt.
Spurensuche Die Frage, der die Morasha-Mitglieder, ob sie nun aus Deutschland oder Osteuropa stammen, gemeinsam auf den Grund gehen, ist, wie man sein Dasein als Mensch und Jude zu begreifen hat. Prag bietet sich da an, nicht nur zur Spurensuche. Manche Teilnehmer haben auch in Prag ihre Wurzeln. Wie zum Beispiel Daniel, dessen Mutter im Prager Stadtteil Smíchov aufgewachsen ist.
Der größte Teil des dreitägigen Prager Shabbaton fand in der Altstadt, genauer gesagt in Josefov, der Josefstadt, statt. Zwar ist dort nur wenig von der einstigen Prager «Judenstadt» übriggeblieben, die Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus hygienischen und repräsentativen Gründen abgerissen und durch pompöse Prachtbauten ersetzt wurde.
Doch etwas ist geblieben. Das ehemalige Rathaus zum Beispiel, in dem heute die Jüdische Gemeinde Prags ihren streng bewachten Sitz hat. Hier feierten die «Shabbatonisten» am Freitag, Punkt 17.56 Uhr Schabbat, den sie mit dem Anzünden der Kerzen begrüßten und am Samstag mit der Hawdala beendeten. Zwischen Mincha, Kiddusch und Maariv fanden sie zudem noch genug Zeit für Vorträge und Workshops. Zum Beispiel über Franz Kafka, der in der Prager Altstadt allgegenwärtig ist, vor allem in den Auslagen der Souvenirläden.
Golem Im Gegensatz zu den meisten Touristen in der Goldenen Stadt können die Morasha-Reisenden sich wenigstens ein bisschen in Kafka hineinversetzen. «Kafka hat sich auch mit seiner jüdischen Identität beschäftigt», erklärt Awi Blumenfeld in seinem Workshop zu dem deutsch-jüdischen Schriftsteller aus Prag, dessen Handschriften heute nach einer langen Odyssee in Jerusalem aufbewahrt werden. «Kafka hat sich nicht nur dem Jiddischen gewidmet, sondern vor allem der Suche nach Wahrheit», sagt ihr Reiseleiter. Dabei war er nicht nur dem Zionismus gegenüber sehr positiv eingestellt, sondern hat sich in seinem Werk auch vom Talmud beeinflussen lassen. «Ob im Der Prozess oder im Das Schloss, das Gericht sitzt immer ganz oben. Und ist unerreichbar», sagt er.
Unerreichbar ist auch der Golem, der der Legende nach auf dem Dachboden der Prager Altneu-Synagoge gelebt haben soll. Egon Erwin Kisch, der Vater der Reportage und neben Kafka einer der vielen Prager Juden, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihr eigenes literarisches Genre begründeten, hat ihn dort seinerzeit gesucht und nicht gefunden.
«Der Golem, das war der erste jüdische Comic-Held», meint Awi Blumenfeld. «Der zweite war übrigens Superman», fügt er augenzwinkernd hinzu. Doch was wäre der Mythos des Golem ohne seine Erschaffer? Den Moreinu ha-Rav Loew – Unser Lehrer Rabbi Loew, MHR’L, Prags berühmten Prediger, Talmudisten und Philosophen? Tausende Juden pilgern jedes Jahr an sein Grab auf dem alten jüdischen Friedhof. Einfach nur, um ihren Namen auf ein kleines Zettelchen zu schreiben und an seinen Grabstein zu legen. Oder um zu beten.
Für die Morasha ist das Grab des Rabbi Löw eine der letzten Stationen bei ihrem Shabbaton. «Er muss schon eine wichtige Persönlichkeit sein, wenn man bedenkt, wie viele Leute zu seinem Grab kommen», sagt Daniel mit den Prager Wurzeln.
Spanische Synagoge Seinen Abschluss findet der Shabbaton in der Spanischen Synagoge. Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts im maurischen Stil erbaut und ist das jüngste jüdische Gotteshaus in der Prager Altstadt. «Die Spanische Synagoge zeigt, wie man uns von außen interpretiert hat. Man hat uns eine Identität zugeschoben, das Image des Orientalen, des Anderen», erklärt Blumenfeld, bevor er die Gruppe zum gemeinsame Gebet aufruft: «Lasst uns zeigen, dass wir hier nicht als Touristen sind, sondern wirklich hierher gehören!»