Der Entschluss, eines Tages Medizin zu studieren, stand schon sehr früh fest. Ich glaube, ich war vielleicht gerade einmal zwölf oder 13 Jahre alt, als die Entscheidung dazu fiel. Denn schon als Kind faszinierte mich alles, was mit diesem Thema zu tun hatte.
Ich habe so ziemlich jedes Buch dazu, das mir in die Hände fiel, regelrecht verschlungen. Warum das so war, kann ich mir nicht genau erklären, es war einfach so. Vielleicht lag es ja an den Genen – schließlich hat mein Urgroßvater bereits an der Charité in Berlin gelernt.
Haifa Damals jedenfalls lebte ich in den sogenannten Krayot, den kleinen Städten, die nördlich von Haifa liegen. Dort wurde ich 1991 geboren. Aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich dann der Reihe nach in Kiryat Motzkin, Kiryat Chaim und Kiryat Bialik.
Meine Familie stammt aus Deutschland und Österreich, genauer gesagt, aus Berlin und Wien, weswegen auch ich auf Initiative meiner Großmutter hin bereits als Kind die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt. Aus Rumänien stammt ein weiterer Zweig der Familie.
Genau das brachte mich dann schnell auf die Idee, nach dem Militärdienst ein Studium im Ausland aufzunehmen. Konkret hatte das zwei Gründe: Zum einen ist die Zahl der Studienplätze in Israel in dem Fachbereich Medizin recht klein, und es gibt einen sehr harten Wettbewerb.
Deshalb ist es nicht sonderlich ungewöhnlich, sich als Israeli an einer Universität in einem anderen Land einzuschreiben. Viele machen das, vor allem Budapest ist beliebt.
Zum anderen hat es mich einfach auch gereizt, auf diese Weise neue Erfahrungen zu sammeln und meinen Horizont zu erweitern. Der deutsche Pass vereinfachte die ganze Sache natürlich sehr für mich.
Auf Initiative meiner Großmutter erhielt ich schon als Kind den deutschen Pass.
Zudem haben meine Eltern meine Pläne von Anfang an unterstützt, auch wenn beim Abschied 2013 am Flughafen von Tel Aviv so manche Träne floss. Wir sehen uns, so oft das geht. Ich versuche immer, zweimal im Jahr nach Israel zu fliegen, und sie kommen mindestens einmal im Jahr zu Besuch hierher.
JIDDISCH Doch nach dem Abitur und vor dem Studium in Deutschland kam erst einmal der obligatorische Militärdienst. Was vielleicht überraschen mag: Trotz meiner Begeisterung für Medizin habe ich nicht in einer Sanitätseinheit oder etwas Ähnlichem gedient, sondern in anderen Bereichen, in denen eher meine Fremdsprachenkenntnisse wie zum Beispiel Arabisch ausschlaggebend waren.
Zudem fing ich bereits damals an, Deutsch zu lernen. Doch nach meiner Ankunft in Berlin musste ich rasch feststellen, dass es mit der Sprache im Alltag vielleicht schon ganz gut klappte, aber für ein Studium wohl noch nicht ausreichen sollte. Deshalb hieß es erst einmal: ab ans Goethe-Institut, um mein Deutsch so weit voranzubringen, dass ich auch an einer Universität zurechtkomme.
Und irgendwann fing ich aus Interesse an der Sprache und Kultur an, auch Jiddisch zu lernen, weil es sich ja quasi anbietet, wenn man Hebräisch und Deutsch beherrscht. Heute kann ich mich mit meiner Großmutter in dieser Sprache schon recht gut unterhalten.
PRAKTIKUM Selbstverständlich wollte ich parallel dazu auch Geld verdienen und etwas machen, was vielleicht gut zu meinen Studienplänen passte. Genau deshalb sagte ich sofort zu, als sich die Möglichkeit ergab, ein Pflegepraktikum in der Neurologie im Jüdischen Krankenhaus in Berlin zu machen. Die Arbeit hat mir wirklich viel Spaß gemacht, ich hatte großartige Kollegen und konnte nicht nur viel lernen und mein Deutsch perfektionieren.
Im Jüdischen Krankenhaus in Berlin habe ich ein Pflegepraktikum in der Neurologie gemacht.
Darüber hinaus stellte ich auch fest, dass mich etwas anderes zu interessieren begann, als einfach nur Arzt zu werden, und zwar die medizinische Forschung. Und so kam es, dass ich mich auf den Studiengang Humanbiologie im Fachbereich Medizin bewarb und in Marburg vor knapp drei Jahren angenommen wurde.
GLÜCKSGRIFF Das war wirklich ein Glücksgriff, weil die Philipps-Universität auf diesem Gebiet zu den besten gehört, die es in Deutschland gibt. Man lernt dort im Bachelorstudiengang die wissenschaftliche und praktische Arbeit auf dem Gebiet der biomedizinischen Grundlagenforschung, und das sehr gründlich.
Mittlerweile habe ich auch entdeckt, was mich an diesem Studiengang am meisten interessiert, und das dürfte die Infektionsbiologie sein. Dabei dreht sich alles um die Erforschung viraler, bakterieller und protozoaler Infektionsprozesse, also eigentlich um genau das, was irgendwie mit dem Leben zu tun hat. Und gelegentlich auch mit dem Tod.
Vor allem die Kombination von Theorie und praktischer Arbeit in den Laboren in den unterschiedlichsten Bereichen begeisterte mich. Als ich mit dem Studium anfing, konnte natürlich niemand vorhersehen, welche Relevanz diese Forschungsgebiete nun angesichts einer aktuellen Krise wie der Corona-Pandemie haben können.
ROUTINE Bei uns am Institut, wo man sich intensiv damit beschäftigt und dabei eng mit der Uniklinik zusammenarbeitet, gibt es jetzt wöchentliche Meetings und Briefings dazu, sodass ich glaube, zu diesem Thema recht gut informiert zu sein.
Vielleicht bin ich auch deshalb fern davon, in Panik zu verfallen, und habe eigentlich wenig an meiner täglichen Routine ändern müssen. Natürlich wasche auch ich mir zurzeit häufiger die Hände als vor einigen Wochen noch, man ist einfach vorsichtiger geworden und kontrolliert bestimmte Alltagsdinge mehr als sonst.
Dank meiner Arbeit bin ich angesichts von Corona fern davon, in Panik zu verfallen.
Und trotzdem kann meiner Meinung nach zurzeit niemand mit Gewissheit sagen, ob all diese Maßnahmen, die nun zum Schutz der Bevölkerung beschlossen wurden, hundertprozentig richtig waren oder nicht. Das wird wohl erst retrospektiv nach dem Abflauen der Pandemie möglich sein. Auf jeden Fall bestärkt mich die momentane Arbeit in den Labors in meinen Plänen, als Biomediziner erst einmal weiter in der Forschung zu bleiben.
Vielleicht hat dieser Entschluss auch mit der Tatsache zu tun, dass ich in Israel aufgewachsen bin. Dort ist das ständige Hinterfragen und der Hang, einer Sache auf den Grund zu gehen, ein selbstverständlicher Teil der Kultur. Gleiches lässt sich über die Bereitschaft zur Kontroverse sagen. All das wird in Deutschland nicht immer unbedingt gerne gesehen.
ZUKUNFT Ein Fachgebiet, in dem ich eine Zukunft für mich sehe, wäre das intestinale Mikrobiom, also die Darmflora und ihre Einflüsse auf den menschlichen Körper. Mit diesem Thema habe ich mich bereits intensiv in meiner Bachelorarbeit beschäftigt.
Langfristig interessiert mich aber wohl eher die Option, in einem größeren industriellen Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung tätig zu sein, obwohl das jetzt noch Zukunftsmusik ist. Erst einmal muss ich meinen Masterstudiengang beenden, und dann sehen wir weiter. Auf jeden Fall werde ich Marburg also noch eine ganze Weile erhalten bleiben.
So schön Marburg als Stadt auch ist, so sehr fehlt mir jüdisches Leben hier.
Doch irgendwann geht es zurück nach Hause. Mein Platz ist definitiv in Israel. Denn so schön Marburg als Stadt auch ist, so sehr fehlt mir jüdisches Leben hier. Das ist kein Vergleich zu Berlin, wo ich zuvor gelebt habe. Es gibt hier nur eine sehr kleine Gemeinde mit überwiegend älteren Mitgliedern. Vor einigen Jahren hatte sich zwar eine WhatsApp-Gruppe von Israelis gebildet, die in Marburg studieren. Doch mittlerweile sind sehr viele Juden aus ganz Hessen dazugestoßen, sodass es eigentlich keine Plattform für lokale Aktivitäten mehr ist.
GEMEINDE Das war in Berlin alles definitiv anders. Wenn ich zu einem Kabbalat Schabbat wollte, hatte man die Wahl zwischen gleich mehreren Gemeinden – genau das vermisse ich in Marburg.
Was ich dagegen nicht vermisse, sind die antizionistischen Israelis in Berlin, die gegen Israel hetzen oder sogar bei der BDS-Bewegung aktiv sind. Selbst wenn diese Personen in der israelischen Community dort nur eine kleine Minderheit bilden, so sehr nerven sie durch ihre Präsenz in den Medien oder anderswo ganz gewaltig.
Solche »Polit-Trolle« finden sich in Marburg nicht – und das wiederum spricht in meinen Augen für die Stadt.
Aufgezeichnet von Paul Bentin