Bundestag

»Zimperlich geht man nicht miteinander um«

Isabell Aviva Vaisman Foto: Uwe Steinert

Frau Vaisman, Sie haben vergangene Woche ein Schülerpraktikum bei der CSU-Bundestagsabgeordneten Iris Eberl gemacht. Wie kam es dazu?
Eher zufällig. Ich mache seit neun Jahren Aikido – in der Gruppe sitzen wir nach dem Training oft zusammen und reden über alles Mögliche. Und jemand fragte mich, was ich denn später einmal beruflich machen wolle. Da habe ich gesagt, dass ich mich für Politik interessiere. Ein Bekannter aus der Gruppe schlug mir spontan vor, ein Praktikum bei seiner Mutter zu machen, der CSU-Bundestagsabgeordneten Iris Eberl. Ich habe sofort zugesagt.

Wie ging es dann weiter?
Danach ging alles sehr schnell – Frau Eberl gab grünes Licht, und einige Wochen später kam ich mit meiner Familie in Berlin an, pünktlich zum Tag der Offenen Tür der Bundesregierung. Frau Eberl führte uns im Reichstagsgebäude herum und begleitete uns zur Dachterrasse der Kuppel.

Woher kommt Ihr Interesse für Politik?
Meine Familie kommt aus der Ukraine, und wir haben Verwandte in Israel. Der Nahostkonflikt und der Ukrainekonflikt sind bei uns Dauerthema. Außerdem sind meine Eltern der Meinung, man muss die Vergangenheit verstehen, um seine Zukunft zu gestalten. Das habe ich verinnerlicht.

Wie sah Ihr Praktikumsalltag aus?
Am Montag ging es gleich richtig los mit einer Bürositzung. Da wurden dann Themen besprochen wie Umgang mit Medien oder Frau Eberls Reise nach Serbien. An den anderen Tagen war ich live dabei in der dritten Reihe auf der Besuchertribüne, als Bundesfinanzminister Schäuble seinen Haushaltsplan vorstellte, ich durfte Frau Eberl in die serbische, kirgisische und philippinische Botschaft begleiten, zu Petitionsausschüssen, Plenumssitzungen und einer Debatte bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Plötzlich mittendrin in der Bundespolitik – wie haben Sie das erlebt?
Ein bisschen komisch fühlte es sich schon an, als Praktikumsküken zwischen erfahrenen Leuten zu sitzen. Vor allem aber sehr aufregend und spannend. Hätte man mir vor einiger Zeit gesagt, ich dürfte ein Praktikum im Bundestag machen, hätte ich demjenigen viel Bettruhe und ja keine Aufregung verordnet. Als 15-jährige Schülerin aus Augsburg nach Berlin zu kommen und dann so etwas zu erleben, das ist schon etwas sehr Besonderes.

Welche Eindrücke haben Sie vom Berliner Politikbetrieb mitgenommen?
Wie intensiv und abwechslungsreich der Alltag der Abgeordneten ist. Auch, wie rau der Ton mitunter sein kann. Etwa, als der Vorsitzende der Linksfraktion eine Rede hielt, in der er die Bundeskanzlerin Angela Merkel ziemlich kritisierte – zimperlich geht man hier jedenfalls nicht miteinander um. Aber auch die Einordnung ins größere, globale Bild konnte ich mitnehmen. So kamen mir plötzlich Probleme in Großstädten wie Berlin, die bei einer der Wirtschaftsdebatten auf der Tagesordnung standen, vor dem Hintergrund von Urbanisierung, Slumbildung und steigender Armut in Ländern wie Afrika eher wie »Luxusprobleme« vor.

Was war die größte Herausforderung, die Sie zu meistern hatten?
An meinem letzten Tag im Bundestag habe ich bei einem Rollenspiel des Praktikantenprogramms im Deutschen Dom mitgemacht. In einem nachgebauten Plenarsaal wurden wir nach Fraktionen aufgeteilt und diskutierten über die Frage, ob bei Verkehrsteilnehmern ab dem 70. Lebensjahr eine Fahrtüchtigkeitskontrolle durchgeführt werden sollte. Nach anfänglicher Schüchternheit trat ich dann doch als Sprecherin der Fraktion CDU/CSU auf und unterstützte den von der SPD vorgebrachten Gesetzesentwurf – letztendlich wurde dieses Gesetz dann auch mit einer großen Mehrheit »verabschiedet«.

Welche Einblicke in den Politikeralltag haben Sie am meisten überrascht?
Wie viel aktuelle Tagespolitik mit Geschichte zu tun hat. Zum Beispiel der Besuch beim serbischen Botschafter: Da ging es natürlich um die Bedingungen zum EU-Beitritt. Aber mir wurde auch klar, wie der Zerfall Jugoslawiens bis heute fortwirkt und wie tief verwurzelt nationale Konflikte sind. Das reicht teilweise Jahrhunderte zurück – so wie die Schlacht auf dem Amselfeld zwischen Serbien und Kosovo im 14. Jahrhundert. Politik erfordert sehr viel Feinarbeit. Aber auch ganz banale Dinge haben mich überrascht: etwa, dass die Brezen auf dem Tisch nicht nur als Dekoration, sondern tatsächlich zum Essen gedacht sind.

Als Praktikantin haben Sie es sogar auf ein Foto mit Bundespräsident Joachim Gauck geschafft ...
Das Bürgerfest beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue war definitiv die Krönung meines Aufenthalts in Berlin. Trotz der zahlreichen Gäste stand ich, auch dank Frau Eberl, direkt neben Herrn Gauck.

Derzeit erleben wir bundesweit viele Wahltermine: Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern Anfang des Monats etwa oder jetzt die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September. Was sollte die Politik tun, um mehr junge Menschen wie Sie für gesellschaftliche Themen zu interessieren und zu begeistern?
Das hängt von den jungen Leuten ab. Diejenigen, mit denen ich im Alltag zu tun habe, sind sehr politikinteressiert. Wir haben manchmal regelrechte »Politikschlachten«, tauschen uns aus, diskutieren. Man kann niemanden zwingen, sich für Politik zu interessieren, das muss schon freiwillig sein. Aber vielleicht muss die Politik mehr Kurse und Projekte anbieten, in denen Fragen, die junge Leute bewegen, thematisiert werden. Auch in der Schule kann man da ansetzen. Denn was um uns herum passiert, geht uns alle an – nicht nur Abgeordnete – und bestimmt unsere Zukunft. Und die wollen wir schließlich mitgestalten.

Mit der Schülerin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

Chanukka-Umfrage

»Wir brauchen das Licht«

Was für Lieblingssymbole haben Gemeindemitglieder? Und wie verbringen Familien das Fest, wenn ein Partner Weihnachten feiern möchte? Wir haben nachgefragt

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt  25.12.2024

Berlin

Wenn Hass real wird

Die Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen Einfluss sozialer Medien

von Alicia Rust  23.12.2024

Interview

»Wir sind neugierig aufeinander«

Amnon Seelig über die erste Konferenz des Kantorenverbandes, Lampenfieber und das Projekt Call a Kantor

von Christine Schmitt  22.12.2024

Porträt der Woche

Ein Signal senden

David Cohen ist Geschäftsführer eines Unternehmens und setzt sich gegen Judenhass ein

von Matthias Messmer  22.12.2024

Soziale Medien

In 280 Zeichen

Warum sind Rabbinerinnen und Rabbiner auf X, Instagram oder Facebook – und warum nicht? Wir haben einige gefragt

von Katrin Richter  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Ehrung

Verdiente Würdigung

Auf der Veranstaltung »Drei Tage für uns« wurde der Rechtsanwalt Christoph Rückel ausgezeichnet

von Luis Gruhler  19.12.2024