Hunderte Menschen, alle sehr religiös, stehen auf einer Wiese, blicken nach oben und warten auf die Boten aus dem Himmel. Nein, in Mülheim an der Ruhr herrschte am vergangenen Sonntag keine Weltuntergangsstimmung. Im Gegenteil: Der »Sternlauf der Religionen« und die gemeinsame Feier von Christen, Moslems und Juden verbreitete Aufbruchstimmung. Und aus der dichten Wolkendecke fielen am Nachmittag tatsächlich noch vier Fallschirmspringer, deren Landung den Höhepunkt der Veranstaltung markierte.
Dieses Bild zu interpretieren, war für keinen der Anwesenden schwer. »Wir wollten eine Botschaft vom Himmel haben«, sagte Organisator Norbert Koch vom Landessportbund (LSB). Er erklärte auf der Bühne, warum Religion und Sport, die bei der Veranstaltung Hand in Hand gingen, so gut zusammenpassen. Beide leisteten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Menschen. »Der Sport für den Körper und die Religion für die Seele.« Dass der Sport im Judentum eine große Rolle spielt, konnte Michael Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/ Ruhr-Oberhausen, mit Blick auf die lange Geschichte der Makkabi-Vereine belegen.
Abkürzung Unter der großen Zahl von Besuchern war auch eine Gruppe von Jugendlichen aus der jüdischen Gemeinde. Um dem Anspruch eines Sternlaufs gerecht zu werden, hätten sie von der Synagoge am Duisburger Innenhafen bis zum MüGa-Park fast zwei Stunden zu Fuß gebraucht. Mehr als einmal wären sie dabei nass geworden. Zum Glück traf man sich gleich am Bahnhof in Mülheim und wählte für den Rest der Strecke das Taxi. Obwohl es regnete, in NRW der letzte Ferientag auf dem Kalender stand und Madrich Dimitry Tartakowski den Kindern und Jugendlichen zunächst nur eine »religiöse Veranstaltung« ankündigte, waren ein Dutzend von ihnen gekommen.
»Das ist für uns oft ein Phänomen«, sagte der Madrich. »Manchmal haben wir Probleme, das Jugendzentrum zu füllen, und dann sind plötzlich so viele da.« Auch Rebbezzin Zinvirt war überrascht: »Wenn ich gewusst hätte, dass so viele kommen, hätten wir doch etwas einstudieren können. Vielleicht ein Lied.« Den Jugendlichen war es augenscheinlich ganz lieb, dass dieser Kelch an ihnen vorüberging. Dennoch zeigten sie sich während der Veranstaltung engagiert. Auf der Bühne trugen sie einen Friedenswunsch vor und ließen ihn an einem großen Luftballon aufsteigen.
Zukunft Den Duisburger Rabbiner Yaacov Zinvirt fragte die Gruppe nach dem Stellenwert der Jugend im Judentum. Er antwortete, wie es ein Rabbiner eben macht: indem er eine Geschichte erzählte. Als Moses mit dem Pharao über den Auszug aus Ägypten sprach, sagte er, dass er »mit den Jungen und den Älteren« gehen wolle. »Warum hat er die Jugendlichen als Erstes genannt?« Moses wusste, dass nur die Jüngeren in Kanaan eine Zukunft aufbauen könnten. Und so sollten Jugendliche auch heute darauf vorbereitet werden, die Zukunft zu gestalten.
Zwei, die am »Sternlauf« teilnahmen, sind Manuel Hase (20) und Illya Trubmann (15). »Ich habe mein Tor zu Zion gefunden«, sagte Illya, »nun fühle ich mich verpflichtet, anderen Kindern zu helfen, ihr Tor zu finden. Deshalb bin ich hier.« Sein Freund Manuel ist Protestant, möchte nun aber zum Judentum konvertieren. »Ich war in Israel und auch oft in der Synagoge. Als Illya mich zu dieser Veranstaltung eingeladen hat, dachte ich mir, dass das eine gute Gelegenheit ist, noch mehr von der Gemeinde und vom Judentum kennenzulernen.« Nebenbei kamen sie dabei mit Menschen anderer Religionen in Kontakt. Und religionsübergreifend konnten die Organisatoren des Sternlaufs zufrieden sein, so viele Jugendliche für einen Nachmittag zusammengebracht zu haben. Welche Zukunft sie sich wünschen, formulierte die zwölfjährige Patrice auf der Bühne: »Wir wünschen uns, dass sich die Menschen die Hände reichen und jeder so respektiert wird, wie er ist.«