Die Synagoge Fraenkelufer war bis auf den letzten Platz besetzt. So groß war der Andrang, dass einige den Gebeten und Gesängen an diesem Freitagabend sogar auf dem Flur lauschen mussten. Während ein paar Kinder fröhlich ein und aus gingen, feierten die auffallend bunt gekleideten Gäste in ausgelassener Stimmung den Schabbat, genauer: den Pride Shabbat.
Einmal im Jahr steht nicht nur ganz Berlin, sondern auch die jüdische Gemeinschaft der Stadt im Zeichen des Regenbogens. Immer am Tag vor dem Christopher Street Day (CSD), einer Demonstration für die Rechte der LGBTIQ-Community, feiert der jüdisch-queere Verein »Keshet Deutschland« seinen Pride Shabbat in Berlin. Vor vier Jahren das erste Mal, auch damals in der Synagoge Fraenkelufer. Vergangenen Freitag ist Keshet daher in gewissem Sinne zu seinen Wurzeln zurückgekehrt.
Zukunft Nicoleta Mena vom Keshet-Vorstand ist sehr zufrieden mit dem Abend. »Die Durchmischung der Gäste war sehr schön: zu einem Teil Keshet-Mitglieder, zum zweiten Teil Unterstützende und zum dritten einfache Gemeinde-Mitglieder.« Mena ist extra aus München angereist, um am Pride Shabbat in Berlin teilzunehmen. »In Zukunft hoffen wir, auch in anderen Städten ähnlich große Veranstaltungen machen zu können.« Die meisten Mitglieder lebten jedoch in Berlin, auch weil hier besonders viele Synagogen seien, die queere Menschen akzeptierten.
»Wenn man jüdisch und LGBTIQ in Deutschland ist, muss man sich immer fragen, wie offen kann ich sein, wie willkommen bin ich in meiner Gemeinde?«, erzählt Mena. Andererseits erlebe man als Jude beziehungsweise Jüdin in queeren Kontexten ebenfalls Diskriminierung.
In diesem doppelten Spannungsfeld bewegt sich der Verein Keshet Deutschland, der 2018 in Berlin gegründet wurde. Die Akzeptanz queerer Jüdinnen und Juden in den Gemeinden zu erhöhen, ist eines seiner Ziele: »Wir wollen die Rechte von und den Umgang mit queeren jüdischen Menschen in Deutschland fördern und ein offenes queeres Leben sowie queere Familien in jüdischen Gemeinden selbstverständlich machen«, schreibt die Gruppe in ihrem Selbstverständnis. Eine weitere Aufgabe sieht Keshet darin, Antisemitismus in der LGBTIQ-Community entgegenzuwirken.
Vision Mittlerweile sind es etwa 250 Mitglieder, die sich in mehreren Regionalgruppen für die Umsetzung dieser Vision einsetzen.
Pride Shabbat und CSD sind jedoch nicht nur eine Feier der Vielfalt, sondern auch politische Veranstaltungen. In der Synagoge Fraenkelufer wurde daher auch das neue Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung thematisiert, dessen Verabschiedung noch auf sich wartet. »Das Gesetz ist für die LGBTIQ-Community und für Keshet sehr bedeutsam«, erzählt Mena. »Wir finden es richtig, dass jede Person selbst entscheiden darf, wie sie sich identifiziert.«
Am Freitagabend ging es weiter mit einem üppigen Abendessen, viel Gesang und Gesprächen sowie dem einen oder anderen Glas Wein. Von dem schlechten Wetter ließen sich die Gäste ihre gute Stimmung nicht vermiesen. Tags darauf stellte Keshet eine eigene Laufgruppe auf dem CSD, um dort zu zeigen, wie divers die jüdische Gemeinschaft ist. Etwa eine halbe Million Menschen nahmen an der Demonstration teil, die dieses Jahr unter dem Motto »Be their voice – and ours! … für mehr Empathie und Solidarität!« stand. Eine Botschaft, die auch den Keshet-Mitgliedern aus der Seele gesprochen haben dürfte.