Keine Besuche bei den Großeltern, kaum Freunde treffen und nur für das Allernötigste vor die Tür gehen. So sieht gerade der Alltag in Zeiten der Corona-Krise aus – auch für junge Berliner Juden. Schließlich sind die eigenen vier Wände derzeit wohl der wirksamste Schutz vor der Pandemie.
Doch irgendwann droht einem die Decke sprichwörtlich auf den Kopf zu fallen. Und die täglichen Coronavirus-Podcasts des Charité-Virologen Christian Drosten kann man ja auch nicht auf Dauer hören, ohne gleich depressiv zu werden. Also, was machen mit der kollektiven Zwangspause?
Sport »Eine feste Struktur in den Alltag zu Hause zu bringen, war für mich eine der ersten Maßnahmen«, berichtet stellvertretend für viele in dieser Situation Nathan Giwerzew. »In meinem Fall habe ich mit häuslichen Sportübungen angefangen.«
Täglich macht der 21-jährige Literaturwissenschaftsstudent nun Sit-ups, Liegestütze und Kniebeugen. »Am Anfang war das durchaus eine Herausforderung. Jetzt aber ist es zur morgendlichen und abendlichen Routine geworden, und ich spüre bereits die Fortschritte. Das vermittelt ein positives Grundgefühl.«
Zwar wohnt Nathan Giwerzew mit einem Kumpel in einer WG, sodass er nicht ganz allein ist. »Aber selbstverständlich vermisse ich die Möglichkeit, Freunde zu sehen.«
Lektüre Da die Abgabefristen für Seminararbeiten um zwei Monate verschoben wurden und er schon einige davon fertiggeschrieben hatte, nutzt er nun die Zeit für reichlich Lektüre. »Dantes Inferno habe ich jetzt in einem Rutsch durchgelesen – ganz entspannt am Fenster in der Sonne.«
Seminararbeiten, die man vielleicht auf die lange Bank geschoben hätte, werden gerade wohl überdurchschnittlich oft vor der Deadline fertig. »Ich hatte Riesenglück, noch rechtzeitig vor der Schließung der Kinos Roman Polanskis neuen Film Intrige für meine Arbeit über die Dreyfus-Affäre sehen zu können«, erzählt Nathans Zwillingsschwester Lola. »Doch ob ich meinen Bachelor wie geplant im Sommersemester machen kann, ist im Moment ungewiss.«
Ob Lola ihren Bachelor wie geplant im Sommersemester machen kann, ist im Moment ungewiss.
Die Romanistikstudentin wohnt in einer Dreier-WG. Das kann in Quarantänezeiten recht hilfreich sein, insbesondere, da einer der Mitbewohner kurz zuvor in einem Skigebiet war, aus dem zahlreiche Infektionen gemeldet wurden.
»Wir gehen für ihn mit einkaufen, damit er das Haus nicht verlassen muss«, sagt sie. »Ursprünglich wollte ich vor Wochen nach Israel gefahren sein, um dort auf einer Farm zu arbeiten.« Das fiel leider ins Wasser. »Dann hatte ich die Möglichkeit, in den Pyrenäen in der Landwirtschaft einen Job zu übernehmen. Auch das sollte nicht mehr klappen.« Stattdessen wird nun ausgiebig der Balkon begrünt.
REISEPLÄNE Auch die Reisepläne von Joel Kohen wurden durcheinandergewirbelt. »Eigentlich hatte ich vor, zum 90. Geburtstag meiner Großmutter nach Seattle zu fliegen.«
Doch die Seniorenresidenz, in der sie dort wohnt, verhängte vor zwei Wochen schon eine Quarantäne, weshalb Besuche untersagt wurden. Nun sitzt auch er zu Hause fest. »Dafür mache ich jetzt Dinge, die aufgrund des Stresses an der Uni immer zu kurz kamen: Ich koche alte syrische Familienrezepte meiner Großmutter nach, mache Yoga und spreche täglich mit meinen Freunden.«
Überhaupt wird jetzt mehr zum Telefon gegriffen oder Skype benutzt, anstatt nur kurze Textnachrichten wie sonst zu versenden, so seine Beobachtung. »Und ich freue mich über die Möglichkeit, über den Livestream den Gottesdienst zu Schabbat aus der Pestalozzistraße mitverfolgen zu können.«