Im Jahr ihres 875. Jubiläums feiert die sächsische Industriestadt Chemnitz zum 27. Mal die Tage der jüdischen Kultur. Die Chemnitzer »TdjK«, wie sie auch kurz genannt werden, haben – da ist man sich einig – Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. So dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass auch der neue sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in diesem Jahr die Eröffnungsveranstaltung besuchte.
Insgesamt 60 Vorträge, Konzerte, Theatervorstellungen, Ausstellungen und Führungen stehen auf dem Programm. Vieles davon richte sich nicht nur, aber doch in besonderer Weise an die »Generation unter 30«, betont Koordinator Egmont Elschner. Zudem sei es auch ein »intelligentes Gegenangebot« zu manchen rechtspopulistischen Tönen in der Stadt.
Ein Vorteil der Chemnitzer Kulturtage war von jeher, dass sie möglichst viele internationale und interkulturelle Begegnungen im Programm hatten. Jüngstes Beispiel ist ein intensiver Austausch von Studenten und Schülern aus Chemnitz und Kirjat Bialik. Aus diesem Grund schaute denn auch der Bürgermeister der nordisraelischen Stadt nahe Haifa, Eli Dukorsky, bei der Eröffnung vorbei und brachte junge Nachwuchsmusiker für gemeinsame Aufführungen mit der Musikschule Chemnitz mit.
Markenzeichen Musik als verbindender Faktor ist ein Markenzeichen der Chemnitzer Kulturtage. Schon das Eröffnungskonzert am 24. Februar mit der israelischen Band »Yossi Fine & Ben Aylon« wurde ein musikalisches Highlight. Fine, der in früheren Jahren bereits mit Musiklegenden wie David Bowie und Lou Reed aufgetreten war, und sein Counterpart Ben Aylon begeisterten mit einem Mix aus Dub, Yemen Blues, Gnawa, Trance und Indie-Pop – im Ganzen eine musikalische Stimme der Versöhnung par excellence.
Andere TdjK-Besucher zieht es an den Folgetagen zum russischen Liedermacher Timur Shaov, zur neuen Ausstellung des Künstlervereins »Beseder«, zum Tanzabend mit »Simchat Hora« oder zum Vortrag »Was bedeutet koscher?« von Rabbiner Jaakov Pertsovsky. Mehrere Events pro Abend sind die Norm.
Der anhaltende Erfolg der Chemnitzer Kulturtage seit nunmehr fast 30 Jahren kennt verschiedene »Mütter und Väter«. Anfang der 90er-Jahre fanden sich Protagonisten der wachsenden jüdischen Gemeinde, der Kirchen wie auch engagierte Künstler zusammen, um neben etablierter Erinnerungsarbeit auch ein vitales, lebendiges Judentum zu vermitteln – unkonventionell und direkt.
Unterstützer Schlüsselrollen spielten unter anderen das Evangelische Forum mit Pfarrer Matthias Wild (und heute mit Pfarrerin Dorothee Lücke), Klezmer-Gruppen wie »Aufwind« und »De Yankele Kapelle«, Historiker wie der Chemnitzer Jürgen Nitsche, Judaisten wie Daniel Naumann und Zeitzeugen wie das langjährige Gemeindemitglied Renate Aris.
Ruth Röcher, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, sieht ein ganz wesentliches Erfolgsgeheimnis in der breiten Beteiligung lokaler Chemnitzer Einrichtungen. »Ob nun Volkshochschule, Villa Esche, Städtisches Theater, Stadtbibliothek, Agricola-Forum oder politische Stiftungen – sie alle bereiten es ein Jahr lang gemeinsam vor und erreichen am Ende verschiedenste Zielgruppen«, weiß die Gemeindevorsitzende zu berichten.
Israel Auch israelische Themen waren und sind bei den Kulturtagen stets präsent. »Besonders hat mich vor Jahren ein Vortrag von Professorin Ruth Eitan beeindruckt«, erinnert sich Ruth Röcher. »Sie sprach darüber, wie jüdische, arabische und beduinische Studenten am Sapir College in Sderot unter regelmäßigem Raketenbeschuss aus Gaza beharrlich weiter lernen. Unmittelbar danach kam ein Austauschprogramm zwischen der Chemnitzer Technischen Universität und dem Sapir College zustande – ein solcher unerwarteter Nebeneffekt der Kulturtage freut uns natürlich sehr.«
Lassen sich die Chemnitzer jüdischen Kulturtage weiter optimieren? Ruth Röcher hofft, dass es in Zukunft gelingen wird, eine noch größere Anzahl an mehrsprachigen Veranstaltungen anzubieten, und TdjK-Koordinator Egmont Elschner wünscht sich »digitale Chemnitz-bezogene Dateien im Netz: 365 Tage jüdische Kultur«.