Landtagswahlen

Wut und Wünsche

Schon die Plakate, die in Thüringen überall hingen, machten ihm Angst. »Die AfD warb damit, dass Migranten hier nicht erwünscht sind«, sagt Georgij Gonsales. Seit Sonntagabend ist er schockiert. Grund dafür sind die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen, die am Wochenende in Thüringen und Sachsen stattfanden. Die AfD hat in beiden Parlamenten mehr als 30 Prozent erhalten. »Das war zu erwarten«, meint Gonsales, der in der thüringischen Universitätsstadt Jena lebt.

Viele Experten hätten dieses Ergebnis vorausgesagt, aber nun ist es Realität geworden. Gonsales leitet oft den Schabbat in der Jüdischen Gemeinde Nordhausen. »Auch dort haben die Mitglieder Angst.« Manche würden nun denken, es sei das Beste, das Land zu verlassen. Auch er ertappt sich bei diesem Gedanken. »Ich stamme aus der Ukraine, lebe aber seit 20 Jahren in Deutschland und habe bei der Wahl meine Stimme abgegeben.«

Sie nahmen ihm sein Rad weg, drückten ihn auf die Straße und schlugen ihn.

In Jena konnte immerhin im Wahlkampf ein Auftritt von AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke verhindert werden. Der Protest der Stadtgesellschaft war so groß, dass Höcke wieder nach Erfurt zurückfahren musste. »Jena ist international, aber das Umland ist schlimm.« Beispielsweise sei er vor ein paar Wochen mit dem Auto auf einer Landstraße fernab einer Stadt unterwegs gewesen. Bei einer Straßenverengung stand plötzlich eine Mülltonne im Weg. Er musste aussteigen, um sie wegzuschieben und weiterfahren zu können.

»Da sprangen zwei Männer aus einem Garten, hörten meinen Akzent, beschimpften mich als Ausländer und als Scheißjuden. Ich hatte Angst.« Sie wussten gar nicht, dass er Jude ist, das sei einfach als gängiges Schimpfwort gefallen. In die Mülltonne hatten die Männer zuvor Ziegelsteine hineingetan, die Gonsales kaum herausnehmen konnte. Begleitend hörte er Sätze wie »Verpiss dich von hier«.

Gonsales möchte sich seinen Optimismus bewahren

Ein paar Wochen später sah er sie wieder, als er sein Fahrrad schob. Sie hätten ihm sein Rad abgenommen und ihn »gewaltsam auf den Asphalt geworfen und verprügelt«. Weiter sagt Georgij Gonsales: »Da habe ich intensiv darüber nachgedacht, ob es besser wäre, in Israel zu leben.«
Dennoch möchte er seinen Optimismus bewahren. »Hoffnung habe ich immer.« Immerhin hat die AfD nicht die absolute Mehrheit erhalten. Und er hofft, dass sich alle anderen Parteien daran erinnern, angekündigt zu haben, nicht mit dieser gesichert rechtsextremistischen Partei eine Koalition einzugehen.

»Ich sehe keine Perspektive, denn für uns ist eine Kommunikation mit der AfD unvorstellbar«, sagt Katja Kulakova, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Der AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban komme als Ansprechpartner nicht für sie infrage. Am Wahlabend verfolgten viele Mitglieder und die Vorsitzende der Gemeinde die Hochrechnungen und tauschten sich regelmäßig aus. Die Sorgen wurden immer größer.

»Wie soll es in den nächsten fünf Jahren aussehen?«, fragt sich Katja Kulakova

»Die meisten verstehen, dass Gefahr von der Partei ausgeht, und sind bereit, etwas dagegen zu tun.« 30 Prozent konnte die AfD in Sachsen gewinnen. »Und das, obwohl so viele Leute auf die Straße gegangen waren und sich aktiv für Demokratie eingesetzt haben.« Der Erfolg der als vom Verfassungsschutz als sicher rechtsextrem eingestuften Partei hätte sie nicht überrascht, aber »nerve« sie. »Wie soll es in den nächsten fünf Jahren aussehen?«, fragt sie.

Doch sie hat bereits Ideen. »Wir brauchen mehr Kommunikation mit den Menschen.« Deshalb sei sie froh, dass der Freistaat Sachsen 2026 ein landesweites »Jahr der jüdischen Kultur« – 100 Jahre nach Gründung des ersten sächsischen Landesverbandes der jüdischen Gemeinden – beschlossen hat. Finanziert wird es über die Kulturstiftung, gefördert mit 150.000 Euro. Die Veranstaltungen sollen auch im Umland, in kleineren Städten und Ortschaften stattfinden. Das hatte die Stiftung gemeinsam mit dem sächsischen Landtag und der Senatskanzlei beschlossen – schon vor einigen Monaten. »Da muss es ja nicht immer um Klezmer oder Religion gehen, sondern wir können auch über Politik sprechen«, so Katja Kulakova.

Seit dem 7. Oktober 2023 hätten Mitglieder der Parteien die Gemeinde besucht. Die CDU war bereits viermal da. »Wir Gemeindemitglieder registrieren das.« Nun würde sie sich wünschen, dass Politiker auch jetzt zu ihnen kommen und in einem offenen Gespräch diskutiert wird, wie es mit Sachsen und der AfD weitergehen kann.

In der Gemeinschaft fände man den wirkungsvollsten Zugang zur Resilienz, so Yael Burchak

Als Yael Burchak die ersten Hochrechnungen sah, war die Mitarbeiterin von Hillel Deutschland in Leipzig nicht überrascht. »Trotzdem saßen die Wut und der Wunsch, weiterhin aktiv zu sein, tief.« Ihr erster Gedanke: »Wie gehen wir damit um? Wie können wir nachhaltig eine kämpferische, selbstsichere jüdische Community in Ostdeutschland weiterhin sichern?« Hillel und die Jüdische Allianz Mitteldeutschland würden im Osten Deutschlands eine diverse, laute Gemeinschaft abbilden, die vor allem als Raum für junge jüdische Stimmen diene – auf religiöser, kultureller und politischer Ebene. In der Gemeinschaft fände man bekanntlich den wirkungsvollsten Zugang zur Resilienz, so die Germanistik- und Journalistik-Studentin, die in Halle aufgewachsen ist und zum Studieren nach Leipzig zog.

Die 23-Jährige meint, dass jüdisch- ostdeutsche Lebensrealitäten kein Nischen­thema am Rande der Ergebnisse der Landtagswahlen seien. Die Wahlergebnisse würden ein gesamtgesellschaftliches Versagen unterstreichen, was nun in kollektive Verantwortung der Solidarität und Unterstützung münden sollte.

»Demokratie braucht jüdisches Leben – und jüdisches Leben braucht die Demokratie«, so die Studentin. Hillel Leipzig habe sich zu einem Ankerpunkt für Juden zwischen 18 und 35 Jahren entwickelt. Das ist auch das Alter, in dem die AfD viele Wähler hat. Ihrer Meinung nach liegt das daran, dass man besonders junge Menschen mit den Themen abgeholt hat, die sie vermeintlich betreffen – Migration und Sicherheit. »Dass diese Schwerpunkte auf Landesebene kaum wirken, wurde außen vor gelassen.« Dazu komme noch der erfolgreiche Social-Media-Einsatz der AfD. »Selbst ich bekomme ihre Beiträge auf meinem Handy angeboten.«

»Immerhin ist die AfD in Sachsen nicht stärkste Kraft geworden«, sagt Amit Baida aus Chemnitz. Und das sei schon mal gut. Aber die Politiker müssten nun dringend genau hinschauen und eine Lösung dafür finden, dass nicht noch mehr Wähler ihre Stimme für eine rechtsextremistische Partei abgeben, meint der 26-Jährige. »Die Menschen sind enttäuscht von der bisherigen Politik, deshalb geben sie ihnen nun ihre Stimme.« Seiner Meinung nach ist die Lebensqualität in Ostdeutschland weit entfernt von der in Westdeutschland.

Zwei populistische Parteien sind nun in die Landtage gewählt worden

»Beispielsweise kann man von Ostdeutschland aus nicht so leicht in andere Länder fliegen, da es nur wenige Direktflüge gibt«, so der Student, der aus Israel kommt und in Chemnitz studiert. Zwei populistische Parteien sind nun in die Landtage gewählt worden. Neben der Migration bewege auch das Thema Sicherheit die Wähler, das ebenfalls für Jüdinnen und Juden wichtig ist. »Die Politiker sind nun gefordert.«

Die Lebensqualität im Osten sei weit entfernt von der im Westen.

Ron ist ebenfalls sehr beunruhigt. »Ich habe Angst, dass die Meinungs- und Religionsfreiheit eingeschränkt werden könnten und extremistische Ansichten mein Leben signifikant verändern.« Es sei beängstigend, dass so viele Menschen einer rechtsextremen Partei ihre Stimme geben, obwohl sie die Gefahren kennen, so der 15-jährige Schüler aus Leipzig.

Am 21. September wird der neue Landtag in Brandenburg gewählt. »Auch wir stehen zwischen zwei extremistischen Wellen, der AfD und dem BSW, und müssen als Juden überleben«, sagt Ud Joffe, Vorsitzender der Synagogengemeinde Potsdam. Seit 30 Jahren lebt der Israeli in Potsdam und bemerkt nun, dass er ab und zu, wie er sagt, »hinter meine Schulter schauen« müsse. Es sei weitaus weniger angenehm als vor zehn Jahren. Der Musiker hat sich immer für Offenheit und Toleranz eingesetzt und engagiert sich im interreligiösen Dialog. »Ich würde mich als Multikulti-Mensch bezeichnen.«

Auch in Brandenburg wird sich die Frage stellen, ob es eine Protestwahl oder ein Zeichen tiefer Fremdenfeindlichkeit ist, die sich oft gegen Juden richtet. Er könne das noch nicht einschätzen, aber man dürfe die fremdenfeindlichen Tendenzen nicht unterschätzen. »Wir als Juden sind da sensibel.« Ferner wünsche er sich, dass die »ehemaligen Volksparteien die berechtigten Sorgen der Bürger besser wahrnehmen«. Es sollte ein Weg gefunden werden, wo »konservative deutsche Bürger ihre Kultur lieben können und dürfen, ohne andere zu hassen«.

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