Porträt der Woche

Wurzeln sind wichtig

Avishay Shalom ist Dirigent und singt jeden Schabbat in der Synagoge

von Katrin Diehl  12.09.2018 12:48 Uhr

»Als Dirigent muss man führen, aber auch fühlen«: Avishay Shalom (32) lebt in München. Foto: Christian Rudnik

Avishay Shalom ist Dirigent und singt jeden Schabbat in der Synagoge

von Katrin Diehl  12.09.2018 12:48 Uhr

Ich bin gekommen, um zu bleiben. So lässt sich das sagen. Deutschland ist für uns klassische Musiker einfach ein ungemein faszinierendes, ein gutes Land.

Ich bin Dirigent, und mein Hauptinteresse gilt der Oper, die in der deutschen Kultur einen prominenten Platz einnimmt. Sie wird hier ernst und wichtig genommen. Als mein Berufswunsch so langsam Form angenommen hat, stand sehr bald fest: Es sollte Deutschland sein, wohin ich gehen würde. Seit Herbst 2017 lebe ich in München, studiere dort an der Hochschule für Musik und Theater.

Geboren wurde ich 1986 in Israel, in Haifa. Meine Mutter arbeitet dort als Kindergärtnerin. Mein Vater stammt aus Jerusalem. Er lehrt an einer Berufsschule das Fach Schweißen und andere handwerkliche Dinge. Er bringt das jungen Menschen bei, die auf die eine oder andere Art und Weise besonders sind – gehandicapt –, weil sie von dem einen oder anderen zu viel oder zu wenig haben. Jedenfalls haben von den Leuten dort nicht alle so viel Glück gehabt wie ich in meinem Leben und mit meiner Familie.

Ich bin glücklich, dass mein Bruder ebenfalls in Deutschland lebt.
Die Vorfahren meiner Mutter kommen ursprünglich aus Rumänien. 1947 hat mein Großvater Alija gemacht. Von der Vaterseite kommen die Vorfahren aus Jugoslawien. Ihnen habe ich meinen Nachnamen zu verdanken, dem hier in Deutschland manchmal besondere Beachtung geschenkt wird, weil das Wort »Schalom« vielen geläufig ist. In Israel dagegen ist der Name Shalom gar nicht so selten, da bietet er eher Anlass, ein wenig darüber zu witzeln.

familie Außerdem wären da in meiner Familie natürlich noch meine Geschwister: zwei Schwestern – die jüngere ging vor Kurzem gerade zum Militär – und ein jüngerer Bruder, Hagai, von 28 Jahren. Hagai lebt ebenfalls in Deutschland, in Dresden. Er spielt dort im Orchester der Semperoper Waldhorn. Zudem ist er Mitglied in Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra.

Es macht mich wirklich sehr froh, jemanden aus meiner Familie hier mit mir in Deutschland zu wissen. Mir ist es wichtig, engen Kontakt zu halten mit Menschen, die mir etwas bedeuten, zum Beispiel auch mit meinen Freunden in Israel. Sie sind mir wichtig. Meine Familie ist mir wichtig. Meine Wurzeln sind mir wichtig.
Hagai und ich sehen uns oft.

Wenn ich ihn in Dresden besuche, gehen wir gerne zusammen auf den Markt, und zwar zu einem ganz speziellen Stand, dem eines Palästinensers – dort holen wir uns dann Hummus, guten Hummus. Denn natürlich gibt es einiges, was ich in Deutschland ver-misse: das Meer, den Strand, das Wetter und vor allem dieses viele gute, frische Gemüse. Das gibt es natürlich auch in Neuhausen, dem Münchner Stadtteil, in dem ich wohne. Aber es ist doch irgendwie anders.

Israel ist natürlich auch das Land, in dem ich die Musik entdeckt habe. Als Kind lernte ich das Klavierspielen, fand dann zu meinem Hauptinstrument, der Klarinette. Später begann ich, mich für Orchesterarbeit zu interessieren, dirigierte kleine Ensembles. Da ich mich immer ausführlicher mit dem Notenmaterial befasst habe, die Musik also wirklich durchdrang und auch fähig war, Arrangements für die Musiker zu schreiben, lag es eigentlich nahe, dass man mir irgendwann die Möglichkeit gegeben hat, zu dirigieren. Ich nahm das Angebot liebend gerne an, betrat die Welt der Musikinterpretation. Sechs Jahre lang besuchte ich die Jerusalem Academy of Music and Dance, war Dirigenten-Assistent und Administrator des dortigen Sinfonieorchesters und dirigierte viel.

amerika In den Jahren 2014 und 2015 setzte ich mein Studium in den Vereinigten Staaten, in Cincinnati am College-Conservatory of Music, fort. Ich hatte mir da aber mittlerweile auch schon einige Musikhochschulen in Deutschland angesehen, vor allem die Hanns-Eisler-Musikhochschule in Berlin-Mitte, wollte mir aber noch Zeit geben. Also erst einmal Amerika.

In Cincinnati dirigierte ich mehrere Opernproduktionen, machte mich nach dem Master an die Arbeit für den »Doctor of Musical Arts«, erfuhr von einem neuen Austauschprogramm mit der Musikhochschule hier in München, in das ich zu meiner großen Freude dann auch hineingerutscht bin.

Mit meinen Münchner Professoren spreche ich manchmal Deutsch, manchmal Englisch. Mein Deutsch könnte tatsächlich ein bisschen besser sein. Das, was ich da in diesem Crashkurs gelernt habe, genügt mir eigentlich nicht. Ich will mich unbedingt noch verbessern. Aber die Musik geht eben im Moment vor. Sie ist es auch, über die ich am liebsten spreche.

verantwortung Musik stimmt mich optimistisch, auch weil ich an ihre Kraft glaube. Ich glaube wirklich daran, dass man durch Musik die Welt ein bisschen besser machen kann. Musiker sind Menschen, die feinste Nuancen spüren. Sie verstehen es, ganz genau hinzuhören. Sie sind extrem achtsam, was einfach jedem Thema guttut.

Außerdem bringt Musik Menschen und Herzen zusammen. Musik ist eine wunderbare Sache. Dass sie auf der anderen Seite dann aber auch eine schreckliche Sache sein kann, wissen wir alle. Ihr Einfluss auf den Menschen ist einfach enorm groß – im Guten wie im Schlechten. Als Dirigent ist man Teil dieses anspruchsvollen Spiels, hat Verantwortung, muss sich dessen bewusst sein.
Neben der intensiven Auseinanderset-zung mit und dem Praktizieren von Musik besteht der Alltag eines Dirigenten aber auch ganz einfach aus der Aufgabe, die Leitung eines Betriebs innezuhaben, so wie man das auch aus ganz anderen Berufen kennt. Man leitet viele Leute, und das Projekt muss eng terminiert klappen.

Beim Dirigieren selbst sind andere Qualitäten gefragt. Ein Dirigent soll sehr sensibel und feinfühlig sein. Man muss spüren, was sich da im Orchester zwischen den Musikern abspielt. Man muss ihre Stimmung erfassen. Man muss sie führen, aber man muss sie auch fühlen. Du hast die Autorität. Ja, die hast du. Aber am Ende kannst du nur wirklich gut mit den Leuten und nicht gegen sie arbeiten. So sehe ich das, und eigentlich gibt mir der Erfolg meiner Arbeit auch recht.

chor Seit November 2017 werde ich von der amerikanischen Robert Ellis Crawford Music Foundation in meiner Karriere unterstützt. Bei einem Wettbewerb der America-Israel Cultural Foundation gewann ich in der Sparte Dirigieren. Bei einem Opern-Dirigentenwettbewerb in Orvieto in Umbrien habe ich es bis ins Semifinale geschafft. Ich will dort noch einmal antreten und hoffe, es dann bis ganz nach vorne zu schaffen.

Vor Kurzem habe ich ein Ballett von Igor Strawinsky dirigiert, das Georgische Kammerorchester Ingolstadt spielte. Es war gut, hätte aber noch besser sein können. So gehört sich das. Das ist normal.
Im Übrigen habe ich auch außerhalb der Hochschule mit Musik zu tun. Zum Beispiel leite ich seit Kurzem einen kleinen Chor. Wir singen zusammen bekannte hebräische Volkslieder, und ich kann nur alle Interessierten – vor allem Männerstimmen fehlen uns – dazu auffordern, bei uns einzusteigen. Einmal in der Woche wird geprobt, und zwar im Münchner Janusz-Korczak-Haus.

Unter dem Dirigenten und Synagogenchorleiter David Rees singe ich jeden Schabbat in der Synagoge der IKG. Zum Jom Hasikaron habe ich ebenfalls dort gesungen. Wobei ich sagen muss, dass mein Kontakt zur israelischen Community fast enger ist als der zur jüdischen Gemeinde. Aber das ist für uns Israelis fast normal. Wenn ich meine Landsleute treffe, geht es oft um Israel, die Politik dort. Das ist und bleibt einfach eine unendliche Geschichte.

konfrontation Was hier gerade in Deutschland passiert, berührt uns natürlich auch. Auch Antisemitismus ist offensichtlich Teil einer unendlichen Geschichte. Und natürlich stehe ich manchmal hier in München am Odeonsplatz und überlege mir: Da also hat diese Sache begonnen. Und schon gehen meine Gedanken zurück in die traurige Vergangenheit. Andererseits sollte man sich aber auch damit beschäftigen, was sich seither verändert hat. Was seither mit den Menschen in Deutschland wie auch in Israel passiert ist.

Wenn ich mich mit Deutschen unterhalte und es deutet sich etwas in Richtung Antisemitismus an, dann suche ich nicht die Konfrontation. Ich habe darauf keine Lust. Ich glaube auch nicht, dass das irgendetwas bringen würde. Aus meiner Erfahrung wäre das für keine der beiden Seiten sinnvoll oder gut.

Aufgezeichnet von Katrin Diehl.

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