Ergriffen stehen Reuven und Shmuel Merchav vor dem Haus ihrer Großmutter Else Adler in der Wichmannstraße 10. Hier, genau an dieser Stelle in Berlin-Tiergarten, hatte sie zuletzt gewohnt, bevor sie von den Nazis verschleppt wurde. »Ihr letzter Wohnort«, sagt Reuven fassungslos und mustert das unscheinbare Wohnhaus. Am 19. Februar 1943 wurde Adler nach Auschwitz deportiert, wo sie wenig später ermordet wurde.
Familie Rund 100 Menschen sind an diesem Mittwochmittag in die Wichmannstraße gekommen, um der Verlegung von Stolpersteinen für Else Adler und ihre Geschwister Gertrud und Alfred beizuwohnen. Viele Nachkommen der Familie sind extra zu diesem Anlass aus Israel nach Berlin gereist. »Ich wusste vor der Stolpersteinverlegung nicht allzu viel über Else«, sagt zum Beispiel Udi Merchav über seine Urgroßmutter. »Ihr Schicksal geht mir sehr, sehr nah.« Die 14-jährige Agat, eine Nachfahrin Adlers, erklärt mit Tränen in den Augen, sie könne es nicht fassen, dass all das wirklich geschehen sei.
Reuven Merchav berichtet, dass er sich nie getraut habe, seine Eltern nach Else zu fragen. Von allein hätten sie ihm keinesfalls von ihrem Leben erzählt. »Das Schicksal meiner Großmutter belastet unsere Gemüter nach wie vor«, sagt der 76-jährige Reuven. »Else wurde ihres Lebens beraubt. Sie konnte zum Beispiel nie die Freuden genießen, die es mit sich bringt, Enkelkinder zu haben«, erinnert sich Reuven, der immer wieder stockt, weil ihn die Tränen übermannen.
erinnerung Auch Julius Berman, Vorsitzender der Claims Conference, erinnert daran, dass die Stolpersteine Würdigung und Warnung zugleich seien. »Reuven und Shmuel Merchav haben ihre Großmutter nie kennengelernt. Hier vor ihrem Haus wird von nun an der Stolperstein an sie erinnern.« Dieser mahne nun, niemals wieder die Entrechtung von Menschen tatenlos geschehen zu lassen.
Der Künstler Gunter Demnig bezeichnet die Verlegung des Stolpersteins für Else Adler und ihre Geschwister denn auch als moralische Verpflichtung gegenüber den Opfern der Schoa. Seit 1993 installiere er in ganz Deutschland die kleinen Gedenktafeln aus Messing. Auch nach 38.000 Stolpersteinen sei es für ihn keine Routine, die Steine vor den Wohnhäusern einzulassen. »Jeder einzelne Stein bedeutet ein Leben, das ausgelöscht wurde«, so Demnig. Ihrer zu gedenken, mache das Schicksal der Ermordeten zwar nicht rückgängig, aber sichtbar. »Das ist das Mindeste, was wir tun können: erinnern.«