Medienwirksamer hätte der Auftakt kaum ausfallen können: Zum Beginn ihrer 20. Jahrestagung zeichnete die Union progressiver Juden (UpJ) Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) für seine Verdienste um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Spitzenbeamten des Bundesjustizministeriums in den Nachkriegsjahren mit dem Israel-Jacobsohn-Preis aus.
Der Preis wurde Maas am vergangenen Donnerstagabend im Saal des Berliner Kammergerichts verliehen, wo der berüchtigte Richter Roland Freisler am Volksgerichtshof NS-Gegner verurteilt und in den Tod geschickt hatte.
Rede Doch nicht nur Ort und Publikum – neben vielen liberalen Juden auch Politiker und Juristen – trugen zum Medienecho bei. Es war ebenfalls die Rede des Preisträgers, der sich in seinem vorab verbreiteten Text aktuell zu antisemitischen Tönen bei »Pro Gaza«-Demonstrationen äußerte. Meinungsfreiheit rechtfertige keine Volksverhetzung, betonte Maas im Kammergericht unter Beifall. »Wer sich auf diese Weise mit dem Judentum anlegt, der legt sich auch mit dem deutschen Rechtsstaat an.«
Zum »Rosenburg-Projekt« seines Ministeriums, das bereits vor seinem Amtsantritt in die Wege geleitet worden war, sagte der SPD-Politiker, bei der strafrechtlichen Ahndung des Völkermords an den Juden und anderer Naziverbrechen habe die Nachkriegsjustiz kläglich versagt. Dennoch habe sich die Bundesrepublik zu einem stabilen, freiheitlichen Rechtsstaat entwickelt. »Das neue Forschungsprojekt wird uns helfen, diesen Widerspruch zu verstehen.«
Programmänderung Der Krieg in Israel und Gaza und seine Folgen überschatteten die Jahrestagung der UpJ von Anfang an. Laudator Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, der die Verdienste von Heiko Maas würdigte, sollte auch eine Veranstaltung in Berlin-Spandau moderieren, wo sich etwa 260 Mitglieder der UpJ versammelten.
Doch weil Primors Lufthansa-Flug nach Tel Aviv gestrichen wurde und er kurzfristig auf eine frühere EL-AL-Verbindung ausweichen musste, sprangen Landesrabbiner Henry G. Brandt und der Publizist Günther B. Ginzel ein. »Das Schicksal unserer Brüder und Schwestern in Israel ist auch unser Schicksal«, betonte Brandt, und Ginzel pflichtete ihm bei: Jetzt sei »nicht die Zeit, eine Analyse der zum Teil auch verfehlten israelischen Politik zu machen, während Menschen in Tel Aviv im Bunker sitzen«.
Am Sonntag verabschiedeten die Delegierten eine Resolution, in der es hieß: »Wir wehren uns gegen alle Versuche, die Gewalt der Nahost-Konflikte auf die Straßen unserer Städte einzuschleppen.« Wie sehr das Thema alle bewegte, war ständig zu spüren: »Wir sind bedroht, weil Israel bedroht ist. Wir werden mit Israel in einen Topf geworfen, aber wir können uns nicht so schützen«, sagte eine Teilnehmerin.
Workshops Das Tagungsprogramm war auch in diesem Jahr vielfältig – von Workshops zu »Chorarbeit in der Gemeinde« über »Antisemitismus von links« bis zur zentralen Frage nach »Zukunftsszenarien für das liberale Judentum«. Die etwa 15 Teilnehmer der Kindertagung stellten Kidduschbecher, Besamim-Büchsen und eine Torarolle her.
Klar wurde, wie unterschiedlich sich Gemeinden entwickelt haben: 27 Jahre nach Gründung der UpJ stehen manche vor einem Generationswechsel. Andere sehen sich noch am Anfang, vermissen Rabbiner oder Beträume für liberale Gottesdienste in Zentralratsgemeinden. Rabbiner Edward van Voolen vom Abraham Geiger Kolleg beklagte, Gemeindevorstände garantierten »nicht immer Bedingungen, unter denen ein Rabbiner in Ruhe arbeiten kann«. Eine Mutter beschwerte sich über familienfeindliches »Mobbing« bei einem Minjan wegen ihres Babys.
Der Forderung eines Mitgliedes, die Bundesregierung solle liberale Gemeinden stärker fördern, hielt der ehemalige UpJ-Vorsitzende Jan Mühlstein entgegen: »Niemand wird uns das liberale Judentum geben. Wir sind das selbst.« Grundsätzlich ändern könnte sich die Situation noch in diesem Jahr, wenn die UpJ den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhält.
Wahl Bei der Vorstandswahl wurden Sonja Guentner und ihre Stellvertreterin, Deborah Tal-Rüttger, bestätigt. Wiedergewählt wurden auch Benno Simoni von der »Unabhängigen Synagogengemeinde Berlin – Beit Haskala« und Walter Rothschild, Landesrabbiner von Schleswig-Holstein. Neu im Vorstand sind Verena Menn von der Jüdischen Gemeinde Bad Segeberg, Alexandra Khariakova, Vorsitzende der liberalen Gemeinde Unna, und Michaela Michalowitz von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover.
Die Tagung schloss mit einer weiteren Preisverleihung – diesmal ganz intern: Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, verlieh Jan Mühlstein die Abraham-Geiger-Plakette für seine Verdienste um die liberale Einrichtung.