Koscher

Woher kommt das Rindersteak?

Bitte well done: Beim Grillen darf ein Steak nicht fehlen. Foto: Thinkstock

Der Frankfurter Skandal um das als koscher deklarierte treife Fleisch hat jüdische Verbraucher stark verunsichert. »Wenn es um koschere Produkte geht, ist die Situation einfach noch verschärfter als bei anderen Lebensmittelskandalen«, sagt Michael Szentai-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

»Wenn ich das Gefühl habe, beim Obsthändler meines Vertrauens plötzlich nur noch schlechte Ware zu bekommen, gehe ich einfach in einen anderen Laden in der Nähe. Bei koscheren Lebensmitteln ist das Angebot, vor allem in Deutschland, sehr begrenzt. Und es bedeutet deutlich mehr Aufwand, einen anderen Lieferanten zu finden, als einfach nur um die nächste Ecke zu spazieren.«

Was im Frankfurter Geschäft Aviv passiert ist, sei »mehr als unangenehm«, sagt auch Alexander Drehmann, Büroleiter der Jüdischen Gemeinde Aachen, und erzählt, dass er früher auch von dort Fleisch bezogen habe. »Was das für ein Gefühl ist? Es ist zum Erbrechen – und zwar im doppelten Sinne, denn beim Gedanken daran, dass man nichtkoscheres Fleisch gegessen haben könnte, wird einem schon schlecht, und außerdem fühlt man sich betrogen.«

online Die Zahl der Anbieter koscherer Produkte in Deutschland ist überschaubar, koschere Läden gibt es zudem nur in den großen Städten. Wer auf dem Land oder abseits der Metropolen wohnt, ist darauf angewiesen, Fleisch zum Beispiel im Internet zu bestellen. Aber auch hier fragen sich die Käufer, woher koschere Lammbratwürste oder Rinderbraten denn eigentlich kommen?

Das Berliner Unternehmen Lampari beliefert unter anderem verschiedene jüdische Gemeinden und koschere Restaurants. Ein Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden möchte, erklärt: »Wir beziehen die Waren von überall her, wichtig ist natürlich, dass nicht nur der Preis, sondern auch die Qualität stimmt.« Allerdings mit Einschränkungen, »das meiste koschere Fleisch aus Brasilien und Argentinien geht direkt nach Israel. Wir könnten dort zwar auch kaufen, aber müssten gleich ganz andere Mengen abnehmen, was sich natürlich für einen Betrieb wie den unseren nicht lohnen würde.«

Über das Internet komme man mit neuen Anbietern in Kontakt, »die Lieferanten melden sich bei uns, und wir schauen dann, ob die Produkte passen«. Dazu gehört nicht nur, sich die Koscherzertifikate anzusehen, sondern auch weitere Informationen einzuholen. »Wenn man in diesem Bereich arbeitet, kennt man sich untereinander und spricht natürlich auch über Erfahrungen.« Zudem »arbeiten wir ja auch mit unseren Rabbinern zusammen, die alles genau prüfen«. Gleichzeitig betont er: »Eindeutige Betrüger gibt es eigentlich nicht, ich habe bis jetzt jedenfalls noch nie erlebt, dass jemand versucht hat, mir etwas unterzuschieben.«

Preisverfall Das wäre wohl ziemlich schwierig, denn natürlich steht auch in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, in denen koscheres Fleisch produziert wird, der gesamte Prozess unter Rabbinatsaufsicht. Die wachsende osteuropäische Konkurrenz habe übrigens Auswirkungen auf die Preise, sagt der Lampari-Mitarbeiter. »Das liegt natürlich vor allem daran, dass dort billiger produziert werden kann, die Arbeitskräfte sind wesentlich günstiger als in Westeuropa. Der Preisverfall ist entsprechend dramatisch, früher kostete das Kilo koscheres Fleisch 22 bis 35 Euro, heute liegen wir bei zehn bis maximal 20 Euro.«

In Litauen wurde das Schächten gerade im vergangenen Herbst erlaubt. 2015 wird ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten, dessen Hintergrund nicht etwa ein Entgegenkommen gegenüber jüdischen und muslimischen Litauern ist (die insgesamt nur einen Bevölkerungsanteil von 0,002 Prozent stellen), sondern ein russisches Lebensmittelembargo. Das zunächst auf ein Jahr beschränkte Verbot, litauisches Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst und Milchprodukte nach Russland zu exportieren, traf das kleine Land hart, und so suchte man nach neuen Absatzmärkten.

Man spreche derzeit mit Israel über die Möglichkeit, koscheres Fleisch zu produzieren, sagte Landwirtschaftsministerin Virginija Baltraitiene im Oktober dem Fernsehsender arte. In anderen ehemaligen Ostblockländern wurde immer geschächtet, wie zum Beispiel in Rumänien, wo heute noch drei Betriebe koschere Lebensmittel herstellen. In Ungarn wurde ebenfalls während des Kalten Kriegs koscher produziert.

Vegetarisch »Für die Feiertage bestellen wir unser Fleisch in Berlin«, berichtet Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. »Sonst bieten wir zum Kiddusch aus Kostengründen vegetarische Speisen an.« Man müsse sparsam sein. »Natürlich machen wir auch Veranstaltungen, zu denen wir koscheres Fleisch bestellen, beispielsweise Grillabende für unsere Jugend«, erzählt Schramm.

Lebensmittel zu kaufen, sei natürlich am Ende immer auch Vertrauenssache, sagt Zeev Vilf, der in München seit mittlerweile 25 Jahren »Danel Feinkost« betreibt und dort nicht nur Fleisch, sondern unter anderem auch selbst produzierte koschere Wurst verkauft. »Ich habe schon viele Anbieter kommen und gehen sehen«, erzählt er und seufzt. »Wer schnell etwas erreichen will, geht auch schnell wieder.«

Aufwand Einen geregelten koscheren Betrieb zu führen, sei mit viel Aufwand verbunden. »Wir sind dazu noch eines der ganz wenigen europäischen Unternehmen, die Fleisch verarbeiten, und meines Wissens die einzigen, die Wurstwaren anbieten«, sagt Vilf, der ursprünglich aus Israel stammt.

Weil Danel seine Produkte auch im Internet anbietet, verfügt das Geschäft über die Europäische Veterinärzulassung. Das klingt kompliziert. »Jedes Stück Fleisch, das verschickt wird, braucht eine Chargennummer und eine Zulassung, die Veterinärkontrollnummer besteht aus einer Zahlen-Buchstabenkombination, die jeweils einem bestimmten Betrieb zugeordnet ist«, erklärt Vilf. »Natürlich ist das sehr aufwendig«, sagt er, aber: »Dieses Verfahren führt auch zu Transparenz, und dazu, dass eine bestimmte Qualität erreicht wird. Der Verbraucher kann jedes Stück Fleisch zurückverfolgen, von welchem Tier es stammt, wo es geschlachtet oder geschächtet wurde.«

Vilf handelt und verarbeitet nur glatt koscheres Fleisch, das heißt, es stammt von geschächteten Tieren, deren Lunge später genau überprüft wurde, ob sie zum Beispiel Löcher aufweist, was auf Krankheiten hindeuten und das Fleisch unkoscher machen würde.

Lieferanten Die Lieferanten kennt der Münchner persönlich. »Man möchte ja wissen, wo und von wem das Fleisch geschächtet wird, und so fahre ich hin und schaue, wer es macht und wer dort arbeitet.« Der kleinste Fehler bedeute schließlich, dass »alles wieder koscher gemacht werden müsste, und das wäre wieder mit einem Vertrauensverlust verbunden«. Vilf betont: »In diesem Geschäft kann man nicht einfach so Ware einkaufen, man muss die Menschen kennen, mit denen man arbeitet, denn auf die verlässt man sich ja schließlich.«

In Deutschland tue sich schon eine Menge, merkt der Händler an. Man denke nur an die mittlerweile 15.000 Israelis, die in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen sind. Der Markt für koschere Lebensmittel, darunter eben auch Fleisch, werde größer. »Wir machen schon selbst alles.

Es müsste nur einfacher sein, koschere Produkte zu bekommen, aber wir haben leider allgemein nur wenige Produktionsstätten und müssen deswegen mit viel Aufwand importieren.« Der bei deutschen Verbrauchern immer stärker werdende Trend, Lebensmittel aus dem Umland zu beziehen, um unter anderem die Umwelt zu schonen, sei leider bei koscheren Produkten kaum möglich.

»Kleine Mengen einzuführen und wieder nachzubestellen, wie man es bei lokalen Anbietern machen kann, das ist schon insgesamt ein schwieriges Geschäft. Alles wäre viel einfacher, wenn man mehr in Deutschland produzieren könnte.«

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