Ilona weint, als sie von ihrer Flucht aus der Ukraine berichtet. »Wir waren im Zug nach Czernowitz zu einer Tagung unterwegs, als der Krieg über uns hereinbrach«, erzählt die junge Frau, die aus Kiew stammt und dort einer jüdischen Gemeinde angehört. Eine Woche hätten sie in der westukrainischen Stadt festgesessen, in völliger Unsicherheit.
Dann sei ein Bus gekommen und habe sie zur Berliner Partner-Gemeinde Masorti gebracht. »Wir hatten keinen Weg zurück und wissen nicht, was aus uns geworden wäre«, sagt Ilona. »Wir hatten großes Glück.« Großes Glück, mit nichts als dem Leben davongekommen und jetzt in Sicherheit zu sein. Ihr Mann und auch Ilonas Schwester mit Kindern sind noch in der Ukraine.
flüchtlingshilfe Millionen Menschen fliehen vor dem Krieg, unter ihnen auch Jüdinnen und Juden. Etwa 3000 sollen es bisher in Deutschland sein, 5000 könnten es nach Schätzungen insgesamt werden. Auch die Masorti-Gemeinde engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Am Donnerstag besuchte der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein, die Einrichtung.
Er sei »beeindruckt von der Welle der Hilfsbereitschaft«, insbesondere auch aus den jüdischen Gemeinden, sagte Klein. Sie seien »besonders geeignet zur Aufnahme jüdischer Flüchtlinge« aus der Ukraine, könnten sie doch auf Fachwissen und Strukturen aus 30 Jahren zurückgreifen, so der Bundesbeauftragte mit Blick auf die jüdischen Zuwanderer aus dem Gebiet der Sowjetunion, die seit den 90er-Jahren nach Deutschland kamen. Zudem hätten die Flüchtlinge hier »einen direkten Anknüpfungspunkt«.
Im Januar 1991 hatten die Ministerpräsidenten der Bundesländer eine Regelung zur Aufnahme von Jüdinnen und Juden aus der UdSSR beschlossen, die während deren Zerfall auswanderten. Seitdem kamen rund 220.000 Jüdinnen und Juden nach Deutschland. Viele jüdische Gemeindemitglieder sprechen auch heute noch Russisch oder haben selbst ukrainische Wurzeln.
unterricht So richtete die »Jewish International School – Masorti-Grundschule«, die 60 Berliner Kindern bilingualen Unterricht in Deutsch-Hebräisch anbietet, in der vergangenen Woche kurzfristig eine Willkommensklasse für Flüchtlingskinder ein. Neun sind es insgesamt, im Alter von sechs bis 14 Jahren, die hier Unterricht haben und zunächst einmal die deutsche Sprache lernen. Im Eingangsbereich hängen bunt bemalte Willkommensschilder mit der deutschen, israelischen und ukrainischen Flagge.
Vor zwei Wochen kam ein Bus aus der Ukraine an, vor gut einer Woche begann schon der Unterricht. »Die Kinder sollen hier ein Stück Normalität haben«, erklärte Schulleiterin Gesa Rachel Biffio. Vor allem sollten sie »ein paar schöne Dinge« machen, der Unterricht stehe zunächst nicht im Vordergrund. »Aber natürlich wollen die Eltern wissen, wie es weitergeht: Die Bildung ihrer Kinder ist ja plötzlich unterbrochen worden.«
Auch der 14-jährige Mark nimmt an der Willkommensklasse teil. Er stammt aus Kiew. »Natürlich ist alles ungewohnt, aber wir sind glücklich und zufrieden«, sagte er. Ob nicht Online-Unterricht mit seiner alten Klasse in Kiew besser für ihn wäre, wird er gefragt. Das findet er nicht. »Ich bin kein großer Fan von digitalem Unterricht«, erklärte der Junge. »Ich bin zufrieden mit dem, was ich bekomme.«
purim Vergangene Woche hat die Gemeinde zusammen mit den ukrainischen Juden auch Purim gefeiert, sagt Rabbinerin Gesa Ederberg. Das Fest erinnert an die Rettung der Juden im damaligen persischen Königreich und wird mit Kostümen und Süßigkeiten begangen. »Es war anders, als ich es in Odessa gewohnt war«, erzählt Sonya, die auch seit einer Woche in der Willkommensklasse ist. »Aber es war schön.«
Till Rohmann, Mitglied der Gemeinde und selbst Vater, hat zwei Familien aufgenommen. »Bei uns sitzt die Angst jetzt mit am Abendbrottisch«, sagt er. Er findet es deshalb besonders wichtig, dass die Kinder eine feste Struktur in ihrem Tagesablauf haben. »Das bewahrt vor Depressionen.«