In der vergangenen Woche erlebte München einen besonderen Höhepunkt jüdischen Lebens: Hier fand die 32. Generalversammlung der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) statt. Mehr als 250 jüdische Geistliche aus 43 Ländern nahmen daran teil, auch aus außereuropäischen Ländern wie Marokko, Guatemala oder dem Iran. Auch sieben russische und fünf ukrainische Rabbiner waren angereist.
Eine Errungenschaft für München, wie Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), betonte: »Wenn ich mich daran erinnere, wie lange es unvorstellbar gewesen wäre, jegliches Treffen einer jüdischen Organisation in Deutschland abzuhalten, und wenn ich dann betrachte, mit welcher Normalität hier und heute Hunderte Vertreter des europäischen Judentums in dieser unserer Stadt, in meiner Heimatstadt München zusammenkommen, dann ist das historisch, und es ist ein deutliches Zeichen, dass die jüdische Zukunft in Deutschland bereits begonnen hat.«
gemeindezentrum Neben den internen Gesprächen zum Thema »Rabbinische Führung in Zeiten von Pandemie und Krieg« und aktuellen Fragen suchten einige der Rabbiner auch das Gespräch mit Schülern und Studierenden. Die Begegnung mit Münchnern war vielen wichtig, wie sich auch beim Gang von der Synagoge über den Jakobsplatz zum gemeinsamen Frühstück im Gemeindezentrum zeigte.
Die Anwesenheit der Rabbiner habe auch in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft in ganz Deutschland große Aufmerksamkeit erregt, betonte Charlotte Knobloch: »Das ist für mich eine gute Nachricht, denn Sichtbarkeit der jüdischen Gemeinschaft und von jüdischer Identität wird unsere große Aufgabe für den Rest dieses Jahrzehnts bleiben – und wohl noch darüber hinaus. Was in dieser Hinsicht aufgebaut wurde, muss gesichert werden – und zwar auch eingedenk einer Vergangenheit, die in den Ländern Europas stets präsent bleibt.«
Bereits am Montagabend war IKG-Präsidentin Knobloch mit dem erstmals vergebenen »CER Presidential Award« für ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden. Er stelle für sie eine besondere Ehre dar, sagte sie in ihrer Dankesrede. Mit Blick auf die zurückliegenden Jahrzehnte sei es jedoch traurig, dass die Zukunft weiter durchsetzt sei von einer Vergangenheit, die heute wieder ihre Vorkämpfer finde. Der Judenhass, die Intoleranz, der Widerstand gegen die freie, offene, respektvolle und gleichberechtigte Gesellschaft breche sich heute wieder Bahn.
Doch sie bleibe Optimistin: »Trotz aller Herausforderungen und trotz antijüdischer Reaktionen in Deutschland und Europa haben die jüdischen Gemeinden sich entwickelt. Das ist das Ergebnis von vielfältiger Unterstützung aus der Politik und der Zivilgesellschaft, aber auch vieler Jahre engagierter Arbeit in den jüdischen Gemeinden. Weitsichtige rabbinische Führung hat dort dafür Sorge getragen, dass das Wachstum der jüdischen Gemeinschaft niemals auf Kosten der Jüdischkeit ging – sondern diese sogar noch gestärkt und verfestigt hat.«
zukunft Beim gemeinsamen Frühstück am Mittwoch im Gemeindezentrum bezeichnete die Gastgeberin die Anwesenheit der Rabbiner als ein besonderes Erlebnis für die Gemeinde. Jüdische Zukunft sei längst zu einer europäischen Frage geworden. »Es ist das Glück der jüdischen Gemeinden, dass sich seit vielen Jahren engagierte Mitglieder der rabbinischen Gemeinschaft für eine jüdische Zukunft einsetzen«, so Charlotte Knobloch. »Mein besonderer Dank gilt dem Präsidenten der CER, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, dessen Presidential Award ich als besondere Auszeichnung entgegengenommen habe, und seinem gesamten Executive Board.«
Am selben Tag endete das Treffen mit einem gemeinsamen Besuch in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau, zu dem auch zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens gekommen waren. Ein Großteil der Konferenzteilnehmer war dabei, auch wenn dies vielen von ihnen alles andere als leicht fiel.
Die Anwesenheit der Rabbiner bezeichnete Charlotte Knobloch als besondere Ehre.
Münchens Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman erinnerte an seinen Großvater, der in Auschwitz ums Leben kam. Auch sein Vater überlebte mehrere Lager und gehörte in Dachau zu denen, an denen die Nazis in schrecklicher Weise untersuchten, wie Menschen hungern. »Mein Vater starb vor zwei Jahren«, sagte er und fragte sich selbst: »Wie ist das, dass ich hier stehe, hier in Dachau?«
verantwortung Vor dieser Frage stand er nicht alleine. Charlotte Knobloch beschrieb, warum der Besuch in der Gedenkstätte beschwerlich sei: »Hier in Dachau sehen wir, warum dieser Schritt so schwer bleibt. (…) Hier, wo die Barbarei einen Anfang nahm, wird jetzt erinnert. Aus der Geschichte wird hier eine Verantwortung, die dieses Land angenommen hat.« Die Menschenwürde sei ein Wert, der heute per Gesetz über alle anderen erhoben wurde.
Diese zentrale Stellung habe sie auch deshalb bekommen, weil es Orte wie Dachau gebe, sagte Knobloch. »Weil die Erinnerung immer präsent bleibt: an die Verschleppung, an die Misshandlung, an den Mord. An die über 41.000 Menschen, für die die Befreiung im April 1945 zu spät kam. Ihre Würde, die die Nationalsozialisten ihnen nahmen, können wir ihnen nur in der Erinnerung zurückgeben. Sachor – gedenke! –, das wichtigste aller Worte in der jüdischen Tradition, ist auch hier der Leitstern des Handelns.«
Für Charlotte Knobloch bedeutet dieses Gedenken auch, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und Europa sich ihrer Würde und ihres Stolzes bewusst ist. Es bedeute, dass jüdische Menschen sich nicht mehr in Hinterhöfen vor der Mehrheit verstecken.
tradition Das Licht, das die jüdische Tradition für die Welt sein solle, werde nicht mehr unter einen Scheffel gestellt. Nicht erneut – und nie wieder. Die Herausforderungen aber bleiben. Das bedeute Erinnern und Wissen. Erinnern an die Abgründe von damals und Wissen darum, was Menschen Menschen antun können. Dafür müssen die Orte des Schreckens bleiben. Charlotte Knobloch dankte der Leitung der Gedenkstätte und dem Freistaat Bayern für ihre Arbeit.
Als Vertreterin der jüdischen Gemeinschaft in München, als Münchnerin, Bayerin und Europäerin schloss sie ihre Rede mit den Worten: »Wir vergessen nicht. Und: Wir bauen weiter gemeinsam an einer guten und dauerhaften Zukunft für jüdisches Leben.«