Die Leerstelle spürt man noch heute. Als Paul Spiegel vor 15 Jahren verstarb, ging ein Mann von der politischen Bühne, der mehr war als nur der Repräsentant der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Gewiss, als er am 9. Januar 2000 zum Präsidenten des Zentralrats der Juden gewählt wurde, konnte er bereits auf Erfahrungen als Gemeinderat und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf zurückblicken.
Auch hatte der Vater zweier Töchter als Journalist Karriere bei der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung gemacht und eine erfolgreiche Künstleragentur gegründet. Doch was ihn in seiner Zeit als Zentralratspräsident an Herausforderungen erwarten sollte, war von einem anderen Kaliber.
Sprengstoffattentat Denn schon kurz nach Amtsantritt überschlugen sich die Ereignisse: zwei Anschläge auf Synagogen sowie das Sprengstoffattentat am S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf innerhalb weniger Monate. Und 2002 der erste Bundestagswahlkampf, bei dem ein Politiker, Jürgen Möllemann von der FDP, mit offen antisemitischen Parolen auf Stimmenfang ging. All das ließ Spiegel, der als Kind versteckt bei katholischen Bauern in Belgien die Schoa überlebt hatte, immer wieder an Deutschland zweifeln. Doch zugleich mobilisierten diese Vorfälle bei ihm den Willen, sich dagegen zur Wehr zu setzen. »Ich würde nicht in Deutschland leben, wenn ich nicht gerne hier leben würde.«
Paul Spiegel hielt viele Vorträge in Schulen, um über das Judentum aufzuklären und um Verbündete im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu werben.
Unermüdlich plädierte er für mehr Aufklärung, für mehr Zivilcourage, hielt Vorträge in Schulen, um über das Judentum aufzuklären und um Verbündete im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu werben. »Paul Spiegel sel. A. hatte wie kein Zweiter die Gabe, auf Menschen zuzugehen«, erinnert sich Josef Schuster. »Das ist während seiner Amtszeit als Präsident des Zentralrats der jüdischen Gemeinschaft zugutegekommen«, so der amtierende Zentralratspräsident.
»Zugleich hat er klare Worte nicht gescheut. Nach dem Anschlag auf seine Düsseldorfer Heimatsynagoge war er tief erschüttert und hat sein Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus noch erhöht. Ein Höhepunkt seiner Amtszeit war sicherlich seine Rede beim ›Aufstand der Anständigen‹. Paul Spiegel war eine herausragende Persönlichkeit, der wir unendlich viel verdanken.«
Zuwanderung Ein weitaus erfreulicheres Feld war das Wachsen der jüdischen Gemeinschaft durch die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion, die Spiegel angesichts der deutschen Vergangenheit als ein Wunder bezeichnete. Für die Integration der Zuwanderer setzte er sich leidenschaftlich ein. Umso wichtiger auch in dieser Phase: der Abschluss eines Staatsvertrages mit der Bundesrepublik im Januar 2003.
Doch die negativen Erfahrungen sollten nicht spurlos an ihm vorübergehen. Knapp ein Jahr vor seinem Tod sagte er dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«: »Mein Vorgänger Ignatz Bubis hat zum Ende seines Lebens ein Interview gegeben mit dem Tenor: ›Ich habe nichts oder fast nichts bewirkt.‹ Damals gab es einen großen Aufschrei. Ich habe ihm auch gesagt: ›Ignatz, du hast so viel bewirkt, das stimmt doch nicht.‹ Jetzt aber kann ich ihn verstehen.«
In Düsseldorf bleibt Spiegel unvergessen. »Uns als Jüdische Gemeinde Düsseldorf ist es sehr wichtig, dass wir das Erbe von Paul Spiegel weiterhin pflegen und es in Erinnerung behalten«, betont Oded Horowitz. »Zusammen mit seiner Witwe Gisèle tun wir alles dafür, um seine Projekte und seine Ideen zu verwirklichen«, so der Gemeindevorstand. »Paul Spiegel war ein großer Mensch, mehr noch, er war ein Menschenfreund, dem es gelungen war, mit seiner Art und Weise auch nichtjüdische Menschen anzusprechen, sie zu erreichen und ihnen etwas zu vermitteln. Dadurch sorgte er für eine positive Öffentlichkeit des jüdischen Lebens in Deutschland.«