Berlin

»Wir sind bitter enttäuscht«

Am Dienstagmorgen wurde vor dem Landgericht Tegeler Weg verhandelt. Foto: picture alliance / Bildagentur-online/Schoening

Ausgerechnet in dem Saal des Berliner Landgerichts II, welcher mit unzähligen sechseckigen Sternen gesäumt ist, wurde am Dienstag einer der größten innerjüdischen Streitfälle der vergangenen Jahre verhandelt. Lala Süsskind, die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und ihr Mann Artur, hatten geklagt.

Das Ehepaar ficht das Ergebnis der Wahl des Berliner Gemeindeparlaments im September 2023 an, bei der Gideon Joffe für eine weitere Amtszeit als Vorsitzender bestätigt wurde. Die Wahlordnung, die wenige Wochen vor der Wahl geändert worden war, sei diskriminierend und undemokratisch, wiederholte Lala Süsskind ihre Kritik vor Gericht. Die Wahl sei daher unwirksam und müsse wiederholt werden.

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Doch dieses Ziel kann zunächst für Süsskind und ihre Mitstreiter vom Oppositionsbündnis »Tikkun«, von denen viele auf den Zuschauerplätzen im Gerichtssaal Platz nahmen, nicht erreicht werden: Die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet, stellte der Vorsitzende Richter fest. In die interne Organisation von Religionsgemeinschaften greifen Gerichte prinzipiell nicht ein. Die Sache liege also außerhalb seiner Prüfungskompetenz. Das Gericht müsse die Klage abweisen.

Klägerin Süsskind ist »total empört«

Während der Verhandlung wies Süsskind den Richter darauf hin, dass die jüdischen Gemeinden zum Großteil vom Staat finanziert werden – dass dieser bei offenkundigen Missständen nicht eingreife, sei ihr unverständlich. »Dass so etwas von hier gebilligt werden könnte, empört mich total.«

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Ihre Vorwürfe beziehen sich vor allem auf die Änderung der Wahlordnung kurz vor der Wahl. Dadurch würde die Aufstellung neuer Kandidaten erheblich erschwert. So durften Mitglieder ab dem 70. Lebensjahr nicht mehr antreten – dies betraf auch die damals 77-jährige Lala Süsskind. Auch wurden Kandidaten ausgeschlossen, die Mandatsträger bei diversen anderen jüdischen Organisationen wie zum Beispiel Makkabi, Lauder oder Chabad sind. In der etwa einstündigen Verhandlung am Landgericht wurde das Dilemma der Klägerin deutlich: Die Wahl kann sie zwar anfechten – aber es gibt keine Institution, die die Jüdische Gemeinde dazu bringen könnte, einzulenken und Neuwahlen durchzuführen.

»In die Organisation der Religionsgemeinschaften fummeln wir nicht rein«


Bereits vor der Abstimmung, im Sommer 2023, hatte sich Süsskind wegen der Änderung der Wahlordnung an das unabhängige Gericht beim Zentralrat der Juden gewandt. Das Gericht gab ihr recht – und ordnete den Stopp der Wahl an. Doch Gemeindechef Joffe, dem seit Jahren undemokratisches Gebaren vorgeworfen wird und unter dessen Führung die Gemeinde von 12.000 auf etwa 8000 Mitglieder geschrumpft ist, ging über das Urteil hinweg.

Bisherige Sanktionen haben Joffe nicht zum Handeln bewegt

Das Gericht verhängte daraufhin ein Zwangsgeld. Im Februar 2024 entzog dann der Zentralrat auf Empfehlung des Gerichts der Jüdischen Gemeinde zu Berlin für ein Jahr die Stimmrechte in allen Gremien. Doch Joffe blieb im Amt, die Wahl wurde nicht wiederholt.

In diesen Tagen berät nun das Gericht beim Zentralrat, was die nächsten Schritte sein werden. Am Landgericht indes kommen Joffes Kritiker nicht weiter. Ihm falle kein Antrag ein, der hier greifen könnte, sagte der Richter. Entgegen der Annahme vieler gelten die Grundrechte keineswegs unmittelbar in den Religionsgemeinschaften. Deshalb seien gesetzliche oder grundgesetzliche Diskriminierungsverbote hier nicht anwendbar.

»Wenn die Grundrechtsverstöße so eklatant sind wie in diesem Fall, hatte ich gehofft, dass das Landgericht das nicht hinnehmen wird.«


Der Anwalt der Klägerin, Nathan Gelbart, zeigte sich nach der Verhandlung enttäuscht. »Wenn die Grundrechtsverstöße so eklatant sind wie in diesem Fall, hatte ich gehofft, dass das Landgericht das nicht hinnehmen wird.«

Für die Anwälte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hingegen ist der Verhandlungstag ein Gewinn. Der Vorsitzende Gideon Joffe war nicht anwesend. Aus der Jüdischen Gemeinde teilte ein Sprecher am Dienstagnachmittag mit: »Wir freuen uns, dass das Gericht unserer Rechtsauffassung gefolgt ist und die Klage vollumfänglich abgewiesen hat. Sollten noch Zweifel zur Rechtmäßigkeit der Gemeindewahlen oder der Wahlordnung bestanden haben, dann dürften diese nun vollkommen ausgeräumt sein.«

Davon ist allerdings nicht auszugehen: »Wenn es irgendeinen Sinn macht, hier nochmal anzutreten, dann werden wir in die nächste Instanz gehen«, sagte Lala Süsskind gleich nach dem Ende der Verhandlung. »Wir sind bitter enttäuscht.« Sie könne nicht zulassen, dass Joffe weiter mache, was er wolle. »Es ist auch meine Gemeinde.«

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