Frau Goldstein-Wolf, Sie haben zu einer großen Kundgebung gegen das Kulturfestival Ruhrtriennale aufgerufen. Wie kam es dazu?
Die Ruhrtriennale wird mit circa zwölf Millionen Euro an öffentlichen Geldern unterstützt. In Zeiten, in denen Juden auf offener Straße attackiert werden, weil sie mit Kippa als Juden erkennbar sind, muss auch die Intendantin der Ruhrtriennale ihrer politischen Verantwortung gerecht werden. Laut Bundesregierung handelt es sich bei BDS um eine Bewegung, die antisemitisch ist. Hier müssen Entscheider, aber auch wir alle, klare Kante zeigen; mit Worten alleine bekämpft man keinen Judenhass, es müssen auch Taten folgen.
Die Demonstration findet am Samstag vor der Podiumsdiskussion statt, die wegen der BDS-Kontroverse ins Leben gerufen wurde. Was möchten Sie mit der Kundgebung erreichen?
Ich kann niemanden zwingen, Juden zu mögen. Ich kann aber laut dagegen protestieren, dass Judenhass, wie hier in Gestalt des BDS, mit öffentlichen Geldern, also auch meinen Steuergeldern, unterstützt wird. Genau dazu rufe ich auf.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, charakterisiert BDS als dezidiert antisemitisch. Wie denken Sie über die Bewegung?
Felix Klein hat vollkommen recht. BDS propagiert das neue »Kauft nicht bei Juden!« und verkauft den Judenhass scheinheilig als Israelkritik, um den jüdischen Staat kulturell, wirtschaftlich und politisch zu isolieren. BDS ist sicherlich einer der mächtigsten Feinde der heutigen Juden. Entgegen aller Wahrheiten verunglimpft er Israel als Apartheidstaat und bedroht auf fanatische Weise diejenigen, die ihm nicht folgen wollen. Das betrifft zum einen Künstler, zum anderen Aktivisten, die sich ihm in den Weg stellen.
Wie ist die bisherige Resonanz auf den Kundgebungsaufruf?
Die Resonanz ist groß, sowohl bei Juden als auch bei Nichtjuden. Menschen nehmen Anfahrtswege von über 500 Kilometern in Kauf, es ist eine große Solidarität zu spüren. Selbst religiöse Juden nehmen am Schabbat an der Demo teil, um ein deutliches Zeichen zu setzen. Lorenz Deutsch, MdL der FDP, der einzigen Partei übrigens, die den Rauswurf der Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp forderte, hält eine Rede, Thomas Wessel, Pfarrer der Bochumer Christuskirche, unterstützt uns ebenso. Oded Horowitz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, organisiert ebenso wie die Vorsitzende der Bonner Synagogengemeinde, Margaret Traub, einen Shuttle-Service für ihre Mitglieder.
Können Sie abschätzen, wie viele Demonstranten teilnehmen werden?
Wie viele Menschen letztendlich kommen werden, kann ich nicht sagen, ich habe aber ein gutes Bauchgefühl. Unter den Demonstranten werden sogar Mitfahrgelegenheiten gebildet, andere bieten Schlafmöglichkeiten für diejenigen an, die von weit angereist kommen. Ich bin von diesem Zusammenhalt überwältigt.
Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat seine Teilnahme an der Ruhrtriennale wegen der Antisemitismusvorwürfe gegen das Festival abgesagt. Die richtige Entscheidung?
Ja, aber es wäre noch angebrachter gewesen, dass der Ministerpräsident und die Entscheider sich von der Intendantin getrennt hätten. Zumal zwischenzeitlich herauskam, dass sich etliche weitere BDS-Befürworter unter den Künstlern befinden und sogar einer türkischen Gruppe eine Bühne geboten wird, die den Genozid an den Armeniern leugnet. Intendantin Carp hat wirklich alle Grenzen überschritten.
Gab es bisher Gespräche zwischen Ihnen und Frau Carp über die Kontroverse?
Die ersten Versuche, Frau Carp aufzuklären, schlugen fehl, und es war schnell klar, dass sie sich hinter »künstlerischer« Ahnungslosigkeit verstecken wollte und Fakten gegenüber nicht aufgeschlossen war. Nur auf politischen Druck hin konnte sie sich durchringen, das Existenzrecht Israels überhaupt anzuerkennen. Für Stefanie Carp ist Judenhass anscheinend durch künstlerische Freiheit gedeckt, und das ist für mich nicht hinnehmbar. Aber noch etwas anderes hat mich geärgert.
Und zwar?
Dass Frau Carp, anstatt Einsicht zu zeigen, an einem Schabbat zur Podiumsdiskussion einlädt, wohl wissend, dass religiöse Juden an dem Tag ihren Ruhetag begehen, war noch ein weiteres No-Go, im Hinblick darauf, dass sie gleich zwei BDS-Befürworter, Elliott Sharp und Alain Platel, mit öffentlichen Geldern einfliegen lässt, aber sicherlich kein Zufall.
Sie wurden einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als Sie beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) gegen die Präsentation eines Konzerts des BDS-Aktivisten Roger Waters erfolgreich protestiert haben. War das Ihr erster offener Brief?
Der Brief an den WDR-Intendanten Tom Buhrow war tatsächlich mein erster offener Brief. Seine Geradlinigkeit, sein Anstand und seine klaren Worte beflügeln mich bis heute. Tom Buhrow ist ein gutes Beispiel dafür, dass man auch Menschen in mächtigen Positionen erreichen kann, vorausgesetzt, sie tragen das Herz am rechten Fleck.
Welche weiteren politischen Initiativen sind seitdem hinzugekommen?
Etliche. Ich habe einen offenen Brief an den damaligen Außenminister Sigmar Gabriel geschrieben, der Israel wiederholt als Apartheidstaat diffamiert hat. Gabriel hat auch geantwortet, allerdings nicht auf meine Fragen, und alle Bemühungen damals, einen einzigen SPD-Politiker zu finden, der Gabriels Apartheidlüge verurteilt, schlugen fehl.
Inwiefern?
Es kamen schlicht keine Rückmeldungen. Das sind dann die Momente, in denen man einsehen muss, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn die Gesinnung des Gegenübers nicht von Gleichgültigkeit geprägt ist. Es kann nur gelingen, wenn Betroffenheit und Interesse an jüdischem Leben echt sind. Und dann gab es noch den Brief an DFB-Chef Grindel, der mir sehr in Erinnerung geblieben ist.
Weshalb?
Ich fragte ihn, weshalb der FIFA-Chef Palästinenserpräsident Mahmud Abbas als Ehrengast zum WM-Endspiel eingeladen hatte. Innerhalb von Minuten, übrigens nur zehn Minuten vor einem Spiel Deutschlands, antwortete er fundiert und zugewandt. Diese Reaktionen sagen mehr als viele Worte, und genau daraus schöpft man als Aktivistin Mut.
Warum ist es Ihnen wichtig, sich einzumischen und politisch aktiv zu sein?
Ich möchte Mut machen, sich nicht alles gefallen zu lassen. Es ist wichtig, laut und wehrhaft zu sein.
Mit der Kölner Aktivistin sprach Philipp Peyman Engel.
Die Kundgebung findet am Samstag, 18. August, um 14 Uhr an der Turbinenhalle vor der Jahrhunderthalle in Bochum statt.