Interview

»Wir müssen die junge Generation viel stärker involvieren«

ZWST-Direktor Aron Schuster Foto: Uwe Steinert

Herr Schuster, ab heute kommen in Berlin mehr als 300 junge Jüdinnen und Juden zum Jugendkongress zusammen. Was ist die Idee hinter der Veranstaltung?
Der Jugendkongress ist schon seit Jahrzehnten die größte Tagung für die junge jüdische Generation in Deutschland und ihre wichtigste Plattform. Dort können sie sich vernetzen und zu aktuellen Themen ins Gespräch kommen. Die Zielgruppe sind Mitglieder der jüdischen Gemeinde im Alter von 18 bis 35 Jahren. Wie auch schon in der Vergangenheit ist es uns gelungen, dass junge Jüdinnen und Juden aus allen Ecken der Bundesrepublik anreisen.

Für den Kongress wurde das Motto »Die Zukunft gehört uns« gewählt. Was war ausschlaggebend für dieses Thema?
Der letzte Jugendkongress fand 2019 unter dem Motto »Die Welt im Umbruch« statt. Heute müssen wir feststellen, dass viele der Herausforderungen von damals geblieben sind, aber seitdem auch jede Menge neue Krisen hinzugekommen sind. Dieses Jahr steht die Frage im Fokus, was die junge Generation künftig besser machen kann als diejenigen, die aktuell zu großen Teilen die Verantwortung tragen. Daher das Motto: »Die Zukunft gehört uns«.

Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Tagung?
Themenkomplexe, die wir behandeln werden, sind unter anderem Antisemitismus, der Klimawandel ­– über den wir mit Aktivisten von Fridays for Future sprechen wollen –, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der politische Umbruch in Israel nach den dortigen Wahlen. Die Krisen, die in den vergangenen Jahren in immer kürzer werdenden Abständen über uns hereinbrechen, verändern die Art, wie Politik funktioniert. Darüber wollen mit einigen jungen Bundestagsabgeordneten ins Gespräch kommen. Auch die veränderte Rolle der Medien werden wir zusammen mit Journalisten beleuchten.

Auf einem weiteren Panel geht es um die Frage der sogenannten Vaterjuden, die in vielen Gemeinden kein Mitglied werden können. Warum wird das Thema auf dem Kongress aufgegriffen?
Das wird in der jüdischen Community schon lange diskutiert und wurde vor einer Weile auch in den Feuilletons vieler Zeitungen aufgegriffen. Meiner Meinung nach leider auf sehr unsachliche Art und Weise. Deshalb wollen wir jetzt den Versuch unternehmen, dieses wichtige Thema auf einer sachlichen Ebene und vor allem zusammen mit denjenigen, die unmittelbar mit dieser Frage zu tun haben beziehungsweise davon betroffen sind, zu debattieren. Miteinander und nicht übereinander, wie wir es leider erleben mussten.

»Die jungen Menschen wollen nicht nur mitdiskutieren, sondern auch handeln.«

Diese Jugendkonferenz ist die erste seit der Coronapandemie. Wie haben die Schutzmaßnahmen das Leben junger Juden und die Nachwuchsarbeit der jüdischen Gemeinden beeinflusst?
Das war eine extrem herausfordernde Zeit, ganz besonders für Jugendliche und junge Erwachsene.

Inwiefern?
Ihnen ist für eine gewisse Zeit das soziale Umfeld weggebrochen. Studierende hatten lange Zeit keinerlei Austausch mit ihren Kommilitonen und lernten ausschließlich vor dem Bildschirm. Das hat bei vielen nachhaltig Spuren hinterlassen. Auch unsere Jugendarbeit war durch die Pandemie stark betroffen. Wir haben alles daran gesetzt vor allem die Sommerfreizeiten trotz strenger Hygienemaßnahmen stattfinden zu lassen. Dennoch konnten wir Veranstaltungen in Präsens in nur sehr begrenztem Umfang gewährleisten. Der persönliche Kontakt ist aber unersetzbar, gerade mit Blick auf die sehr dezentrale Gemeindelandschaft in Deutschland. Gerade für die jungen Mitglieder in den vielen klein- und mittelgroßen Gemeinden ist die überregionale Vernetzung eminent wichtig.

Welche Rolle spielen die Jungen für die jüdische Gemeinschaft in diesem Land?
Sie sind existenziell wichtig. Wenn wir uns die demografische Entwicklung der jüdischen Gemeinden in Deutschland anschauen, kann es darauf eigentlich nur eine Antwort geben: Nachwuchsarbeit, Nachwuchsarbeit und Nachwuchsarbeit.

Wie kann es den Gemeinden gelingen, die jungen Menschen besser zu erreichen?
Wir müssen die junge Generation noch viel stärker in gemeindepolitische Entscheidungen involvieren. Wir brauchen einen deutlich partizipativeren Ansatz, um auch ihre Perspektiven stärker einzubinden. Dazu gehört auch die Diskussion über eine Altersquote in den Gemeindevorständen. Wie wäre es zum Beispiel mit mindestens einem Vorstandsmitglied unter 35 Jahren in jeder Gemeinde? Es braucht hier mehr Mut. Ohne die neue Generation wird das Gemeindeleben auf Dauer nicht funktionieren. Wir müssen die junge Menschen ermutigen, sich zu äußern und ihre Ansichten in gesellschaftliche, aber auch gemeindeinterne Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einzubringen. Es liegt an uns, dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wie »tickt« die neue jüdische Generation nach Ihrem Eindruck?
Ich sehe bei den jungen Menschen ein unfassbar großes Interesse daran, sich konstruktiv bei gesamtgesellschaftlichen Themen einzubringen, und eine große Bereitschaft, sich zu engagieren. Sie wollen nicht nur mitdiskutieren, sondern auch handeln. Das zeigt sich auch in dem großen Einsatz junger Leute bei Studierendenbewegungen wie der Jüdischen Studierendenunion, die wir in diesem Jahr stark in das Programm eingebunden haben. Wir haben es mit einer sehr motivierten und ambitionierten Generation zu tun. Im Unterschied zu früheren Generationen sehe ich aber auch, dass sich junge Leute heute stärker punktuell und themenspezifisch engagieren.  Die zunehmend kürzeren Schul- und Studienzeiten machen langjähriges Engagement schwieriger.

Was wünschen Sie sich für die nächste Generation der jüdischen Gemeinschaft?
Ich wünsche mir, dass sie sich auch weiterhin so motiviert und beherzt für das Wohl der jüdischen Gemeinschaft engagiert. Da bin ich aber optimistisch, dass das so bleibt. Ich denke auch, dass wir da in den letzten Jahren einen großen Schritt getan und junge jüdische Stimmen in der Öffentlichkeit mehr Gehör erlangt haben. Ich hoffe, dass sich dieser Weg fortsetzt und dass diese Stimmen noch lauter werden – auch in den jüdischen Strukturen selbst.

Mit dem Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland sprach Joshua Schultheis.

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