Rabbiner Balla, vor genau einem Jahr wurden Sie der erste Militärrabbiner in der bundesdeutschen Geschichte. Warum wurde das Amt damals eingeführt?
Allen Soldaten ist vor dem Grundgesetz zugesichert, dass sie ihre Religion auch im Dienst ausüben können. Da wir jüdische Soldaten haben, brauchen wir auch Militärrabbiner. Nur so kann die freie Religionsausübung aller Bundeswehrangehörigen in optimaler Form gewährleistet werden. Außerdem ist die Einführung des Militärrabbinats ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Bundeswehr auch nach dem Ende der Wehrpflicht ein Spiegel der Gesellschaft bleibt.
Welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr?
Wir haben viel geschafft, und unsere Suche nach weiteren Militärrabbinern für unsere Außenstellen läuft gut. Auch die inhaltliche Arbeit hat begonnen: Mit dem Lebenskundlichen Unterricht beteiligen wir uns bereits an der ethischen Ausbildung aller Soldaten und haben erste kleinere religiöse Veranstaltungen zu den Hohen Feiertagen und zum Beispiel zu Purim durchgeführt. Natürlich befinden wir uns immer noch im Aufbau, nicht alles kann innerhalb eines Jahres bewältigt werden, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Wie wird Ihr Angebot von den jüdischen Soldaten angenommen?
Die Bedürfnisse sind von Person zu Person unterschiedlich. Manche suchen religiöse Angebote häufiger auf als andere. Wir sind für jeden da. Allein die Tatsache, dass es das Militärrabbinat jetzt gibt, öffnet auch die Türen für diejenigen, die bis jetzt noch wenig Kontakt zu uns hatten. Nach und nach melden sich mehr jüdische Soldaten bei uns. Zu einigen Soldaten hat sich bereits eine engere Beziehung entwickelt, und sie nehmen regelmäßig an unseren Veranstaltungen teil. Dies betrifft insbesondere die Mitglieder des Bundes jüdischer Soldaten, zu dem wir eine sehr gute und enge Verbindung haben.
Wie ist Ihr Kontakt zu nichtjüdischen Soldaten?
Die Verbindungen zu den nichtjüdischen Soldaten sind sehr gut. Viele Einheiten haben sich an uns, das Militärrabbinat, mit der Bitte gewandt, diesen Unterricht bei ihnen abzuhalten. Unsere Hauptexpertise ist natürlich das Judentum, wir sind aber für jeden einzelnen Soldaten da.
Welche Meinungen aus der jüdischen Gemeinschaft zum Militärrabbinat begegnen Ihnen?
Inzwischen sehe ich, dass in den jüdischen Gemeinden, zu denen ich Kontakt habe, die Akzeptanz für mein Amt viel größer geworden ist. Als Militärrabbiner bauen wir Brücken zwischen der Bundeswehr und der jüdischen Gesellschaft. Mittlerweile gibt es da viele kleine Initiativen. Zum Beispiel fand in meiner Gemeinde in Leipzig bei einem gemeinsamen Abendessen ein Austausch zwischen den Gemeindemitgliedern und jungen Offizieren der Bundeswehr statt. Daraus haben sich mehrere private Folgeprojekte ergeben. Ferner hat das Militärrabbinat, zusammen mit der Bildungsabteilung im Zentralrat, ein Seminar zur jüdischen Liturgie durchgeführt, das gerade auch für Vorbeter in kleinen Gemeinden wichtig und hilfreich war.
Was sind Ihre Ziele für das Militärrabbinat?
Mein langfristiges Ziel ist, die Vereinbarkeit der Religionsausübung mit dem Beruf des Soldaten, insbesondere für jüdische Soldaten, zu erleichtern und dazu beizutragen, dass die sichtbare Präsenz von Juden in der Bundeswehr sowie in der Gesellschaft allgemein zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit wird. Wenn dann in ein paar Jahren junge jüdische Erwachsene zu mir kommen und fragen, ob es als Jude eine gute Idee ist, zur Bundeswehr zu gehen, kann ich guten Gewissens »Ja« sagen.
Mit dem Militärbundesrabbiner sprach Joshua Schultheis.