Noch am Vormittag bewegten sich in Hamburg allenfalls ein paar Äste, der Wind wehte wie an fast jedem anderen Tag. Zur gleichen Zeit hatten erste Ausläufer des Orkantiefs »Xaver« bereits die deutsche Nordseeküste erreicht. Für den Abend wird eine schwere Sturmflut erwartet, die Meldungen des Deutschen Wetterdienstes versetzen die Menschen in Norddeutschland in Alarmbereitschaft.
»Bei uns herrscht im Moment absolutes Chaos. Die Situation ist katastrophal«, berichtet die Sprecherin der jüdischen Joseph-Carlebach-Schule Hamburg. Erst vor wenigen Stunden hat ihre Schule von der Stadt die Benachrichtigung erhalten, dass der Unterricht abgebrochen wird und alle Schüler nach Hause gehen müssen.
Da dies für sämtliche Hamburger Schulen gilt, staut sich zurzeit der Verkehr auf den Straßen der Hansestadt. Viele Eltern können ihre Kinder nur mit großer Verzögerung von der Schule abholen. »Ich hoffe, dass alle wohlbehalten vor dem Sturm zu Hause ankommen«, betont die Sprecherin der Schule.
Wanderrabbiner Dagegen geradezu tiefenentspannt ist Walter Rothschild. Der Landesrabbiner von Schleswig-Holstein ist zurzeit zwar in Berlin, kennt sich mit Wetterkatastrophen nach eigenen Angaben bestens aus. »Das Leben eines Wanderrabbiners mit den ganzen Reisen ist mühsam«, sagt Rothschild. »Aber irgendwie finde ich immer einen Weg zum Ziel.«
Selbst vor zwei Jahren, als die Aschewolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull den Flugverkehr in Europa lahmlegte, ist der Rabbiner pünktlich zum Schabbatgottesdienst nach Norddeutschland gekommen. Vom Autofahren oder gar Fliegen rät er während des Sturms jedoch ab. Er vertraut den öffentlichen Verkehrsmitteln. »Die Deutsche Bahn ist viel besser als ihr Ruf und fährt immer«, ist der Rabbiner überzeugt.
Rund 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt hat Juri Rosov in Rostock alle Hände voll zu tun. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde nimmt zahlreiche Anrufe von Mitgliedern an, die wissen wollen, ob die Gemeinde heute geöffnet hat und ob morgen Schabbat gefeiert wird. »Wir raten allen, nach Möglichkeit daheim zu bleiben«, erklärt Rosov. »Mehr kann man in dieser Situation ohnehin nicht tun.« Speziell auf den Orkan vorbereitet hat sich die Gemeindeführung nicht. Im Norden habe man schon viel Erfahrung mit derartigen extremen Wetterlagen gehabt. Bisher habe das Gebäude der Gemeinde aber noch jeden Sturm gut überstanden, sagt Rosov.
Schabbat Auch in der Jüdischen Gemeinde Kiel und Region fühlt man sich gut vorbereitet auf »Xaver«. Der Gemeindevorsitzende Igor Wolodarski hatte bereits gegen Mittag vorsorglich allen Mitarbeitern freigegeben. Eigentlich sei ja wie immer viel zu tun in der Gemeinde, erzählt Wolodarski. Doch das Wichtigste sei, dass keiner zu Schaden käme durch den Orkan. »Wir haben hier in Kiel schon viele Stürme erlebt. Fast immer war der Spuk nach einem Tag wieder vorbei.«
Deswegen hat er für Schabbat bereits alles vorbereitet: »Jetziger Stand ist, dass der Gottesdienst morgen ganz normal stattfindet.« Und wenn nicht, fragt er rhetorisch. »Dann hilft nur noch beten!«