Redeauszug

»Wir brauchen immer und zu jeder Zeit Spiritualität«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt Foto: Daniel Schvarcz

»Das jüdische Volk besteht in jeder Generation aus den Sprechern, also den Anführern, und dem Volk. Sie sind untrennbar miteinander verbunden und voneinander abhängig.

Mit dem Beginn der Emanzipation in Europa nahmen seit dem 18. Jahrhundert auch wir Juden an den großen zivilisatorischen Umwälzungen teil. Gemeinsam mit unseren christlichen Nachbarn engagierten sich viele für einen weltlichen Universalismus. Sie hofften vergeblich, dass dieser moderne Messianismus dem jüdischen Volk die Erlösung bringen würde. Die Besten und Klügsten unseres Volkes bemühten sich um den Fortschritt von Kultur und Zivilisation in Europa.

Wir schlossen uns all den Ismen und verschiedenen Kulturen der Zeit an, wir lernten all ihre Wissenschaften – aber unsere eigene Kultur und die Tora, meine Damen und Herren, unsere eigene Kultur und Tora vergaßen wir. Wie wir wissen, schützten die großen Assimilierungsbewegungen die Juden aber dann nicht vor dem wachsenden Antisemitismus.

Traum Wir liebten Europa, aber diese Liebe wurde in der Schoa verraten. Und dann geschah das Unvermeidliche. Weltliche, assimilierte Juden wachten aus dem Traum auf, in dem »Berlin ihr Jerusalem« war. Gemeinsam mit observanten Juden, deren Zionssehnsucht sich auf dreimal tägliches Beten beschränkt hatte, gingen sie daran, mit ganz praktischen Schritten nach Zion und Jerusalem zurückzukehren.

Der Zionismus und der Staat Israel haben die Probleme des Antisemitismus und der jüdischen Zukunft gelöst – so dachten wir damals. Unsere Kinder können ohne Angst durch europäische Städte gehen – so dachten wir damals. Wie wir wissen, sieht die Realität heute aber anders aus. Wieder wird unsere Zukunft und die unserer Kinder bedroht. Eine neue Art des Antisemitismus ist entstanden. Auch auf der spirituellen Ebene sehen wir uns Herausforderungen gegenüber, die unser Überleben als Juden in der Diaspora infrage stellen.

Der Rabbiner hat die Aufgabe, einerseits mit jedem einzelnen Mitglied zu arbeiten, und andererseits zusammen mit der ganzen Gemeinde zu gehen. Der Rabbiner ist zugleich ein Hüter der Tradition und ein Motor für Veränderungen und Neuauslegungen. Es ist dies eine äußerst schwierige Rolle. Unsere Rabbiner müssen unter Bedingungen arbeiten können, die es ihnen erlauben, die Ziele zu erreichen, die wir uns für unsere Gemeinden gesetzt haben.

Tora Seine Hauptaufgabe besteht darin, auf den Spuren G’ttes zu wandeln, der sich »Ha Melamed Tora Le Amo Jisrael« nannte, also »derjenige, der das Volk Israel die Tora lehrt«. Unsere größte Schwierigkeit ist heute der Mangel an Kenntnis sogar der grundlegendsten Aspekte des Judentums. Die Tora muss für alle und überall zugänglich gemacht werden, und der Rabbiner sollte dabei die Führung übernehmen.

Wir brauchen immer und zu jeder Zeit Spiritualität. Und wir brauchen immer und zu jeder Zeit Führungspersönlichkeiten, die uns den Weg zu einer höheren geistigen Ebene weisen. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, geleitet durch deren hoch geschätzte Präsidentin Frau Charlotte Knobloch, die ein außerordentliches Gemeindezentrum mit dieser Synagoge gebaut hat, sucht sehr motiviert nach Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Ich hoffe, dass der Vorstand der Münchener Gemeinde, diese engagierten Männer und Frauen, die große Verantwortung, die auf ihnen lastet, wahrnehmen. Unsere Tradition muss an die nächste Generation weitergegeben werden.

Meine Damen und Herren, Rabbiner und Gemeindeführer, Sie tragen auf Ihren Schultern das Gepäck von 4.000 Jahren unserer jüdischen Geschichte. Stellen Sie sicher, dass Sie es weitergeben.«

Mehr aus der Rede von Rabbiner Pinchas Goldschmidt auf www.ikg-m.de

Oldenburg

Judenfeindliche Schmierereien nahe der Oldenburger Synagoge   

Im vergangenen Jahr wurde die Oldenburger Synagoge Ziel eines Anschlags. Nun meldet eine Passantin eine antisemitische Parole ganz in der Nähe. Die Polizei findet darauf noch mehr Schmierereien

 21.02.2025

Berlin

Wladimir Kaminer verkauft Wohnung über Facebook

Mit seiner Partyreihe »Russendisko« und vielen Büchern wurde Wladimir Kaminer bekannt. Für den Verkauf einer früheren Wohnung braucht er keinen Makler

 20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

Thüringen

Antisemitismus-Beauftragter soll »zeitnah« ernannt werden

Seit Dezember ist der Posten unbesetzt. Dem Gemeindevorsitzenden Schramm ist es wichtig, dass der Nachfolger Zeit mitbringt

 19.02.2025

Weimar

Erlebtes Wissen

Eine Fortbildung für Leiter jüdischer Jugendzentren befasste sich mit der Frage des zeitgemäßen Erinnerns. Unsere Autorin war vor Ort dabei

von Alicia Rust  18.02.2025

Bundestagswahl

Scharfe Worte

Über junge politische Perspektiven diskutierten Vertreter der Jugendorganisation der demokratischen Parteien in der Reihe »Tachles Pur«

von Pascal Beck  18.02.2025

Justiz

Vorbild und Zionist

Eine neue Gedenktafel erinnert an den Richter Joseph Schäler, der bis 1943 stellvertretender IKG-Vorsitzender war

von Luis Gruhler  18.02.2025

Emanzipation

»Die neu erlangte Freiheit währte nur kurz«

Im Münchner Wirtschaftsreferat ist eine Ausstellung über »Jüdische Juristinnen« zu sehen

von Luis Gruhler  18.02.2025

Portät der Woche

Magische Momente

German Nemirovski lehrt Informatik und erforscht den Einsatz Künstlicher Intelligenz

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.02.2025