»Der ist doch meschugge!« – das hat David-Ruben Thies, Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg, in den vergangenen Jahren häufiger gehört. Sein Plan, ein kommunales Krankenhaus im ländlichen Thüringen auf die Bedürfnisse streng religiöser Juden aus- und dazu noch eine Synagoge einzurichten, rief auch in der jüdischen Gemeinschaft einiges Kopfschütteln hervor.
»Ganz ehrlich: Ich war sehr skeptisch«, sagt der Berliner Rabbiner Yitshak Ehrenberg, als er daran erinnert, wie ihm die Schirmherrschaft für dieses außergewöhnliche Projekt angetragen wurde. »Aber ich habe nicht Nein gesagt. Ich bin ein Optimist, also habe ich gesagt: Ja, machen wir.« Rund vier Jahre, viel Arbeit und eine Pandemie später war es dann so weit: Am vergangenen Sonntag wurde die Synagoge in den Waldkliniken feierlich eröffnet.
Prominenz Zum Festakt ist allerlei Prominenz erschienen: Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, ist ebenso da wie der Landesrabbiner von Thüringen, Alexander Nachama, und der Frankfurter Rabbiner Avichai Apel von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).
Zum Festakt erschien allerlei Prominenz. Auch die Politik war gut vertreten.
Auch die Politik war gut vertreten: Neben dem Bürgermeister von Eisenberg, Michael Kieslich, und dem zuständigen Landrat Andreas Heller gaben sich auch Oppositionsführer Mario Voigt (alle CDU) und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) die Ehre. Auch Vertreter der beiden christlichen Kirchen waren anwesend. Durch den Nachmittag führte Martin Kranz, Intendant und Gründer der Achava-Festspiele in Thüringen.
Bis zum Eintreffen aller Ehrengäste gab es im Bistro der Waldkliniken Getränke und koschere Häppchen, Klaviermusik und Wiedersehensfreude, schließlich kennen sich viele der Anwesenden schon lange. Im Nebenraum konnte derweil die Tora besichtigt werden: Sie ist rund 100 Jahre alt, frisch restauriert und stammt ursprünglich aus Rumänien. Zwei Weltkriege hat sie überlebt – und auch die Gemeinde, die sie ursprünglich nutzte. »Eine traurige Geschichte, aber umso schöner, dass die Torarolle erhalten ist und dass sie heute hier in Eisenberg in die Synagoge eingeführt worden ist«, sagte Landesrabbiner Alexander Nachama nach der Veranstaltung.
Tora-umzug Als endlich alle Gäste da sind, beginnt der wichtigste Teil des Tages. Nach Begrüßungsworten von Martin Kranz und etwas Kammermusik nehmen vier Männer die Chuppa auf, und die Tora wird, begleitet von enthusiastischem Gesang, durch das Haus in die kleine Synagoge im ersten Stock getragen. Auch Ministerpräsident Bodo Ramelow und Hausherr David-Ruben Thies dürfen die Schriftrolle ein kurzes Stück tragen. Dass ihm diese Ehre zuteilwurde, »haut mich um«, wird Ramelow später sagen.
Die Synagoge selbst ist 30 Quadratmeter groß und bietet Platz für insgesamt 16 Beter.
Die Synagoge selbst ist mit 30 Quadratmetern ziemlich klein: so klein, dass Rabbi Ehrenberg hin und wieder fast unter der durchhängenden Chuppa verschwindet, als er die Tora in den Schrein hebt, weil die Träger so eng stehen müssen, um das Dach spannen zu können. Aus diesem Grund sind heute auch nur ganz wenige Gäste in der Synagoge zugelassen – alle anderen, unter ihnen auch Charlotte Knobloch, verfolgen das Geschehen live auf dem Monitor im Festsaal des Hauses. Für den Klinikalltag ist die Synagoge aber groß genug: Es gibt 16 Sitzplätze, die hintersten vier sind mit einem Wandschirm für Frauen abgetrennt.
Beim Festakt mit symbolischer Schlüsselübergabe im großen Saal würdigen die Redner allesamt das Zeichen, das von dieser neuen Synagoge im ländlichen Thüringen ausgeht: Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht von einem »Gänsehaut-Moment« und freut sich, dass es hier nun die erste Klinik gibt, die jüdischen Patienten einen zertifiziert koscheren Aufenthalt bietet: »Das ist ein starkes Zeichen für Toleranz und Willkommenskultur.«
Ramelow verweist aber auch auf die dunklen Stellen der Geschichte Thüringens: Schließlich gab es hier bereits 1930 die erste Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten, und die Öfen von Auschwitz wurden in Erfurt hergestellt. »Deshalb ist ein gelebtes jüdisches Leben für uns eine große Bereicherung«, betont Ramelow. Der Linken-Politiker würdigt aber auch das Zusammenwirken aller politischen Kräfte, die dies möglich gemacht hätten – schließlich ist der zuständige Landrat, Andreas Heller, von der CDU.
Gleichstellung Auch Charlotte Knobloch dankt allen am Projekt Beteiligten: »Sie garantieren, dass jüdisches Leben in Deutschland eine Zukunft hat, obwohl die bösen Geister nicht weg sind.« Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen ergänzte die 89-Jährige: »Das ist sehr, sehr wichtig und hoffentlich ein gutes Beispiel für viele andere Kliniken, dass jüdisches Leben in den Kliniken so vorhanden ist, dass man sagen kann, es ist den anderen Religionen gleichgestellt.«
Der Vertreter der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, Avichai Apel, sprach mit Blick auf die neue Klinik-Synagoge gar von einer »Signalwirkung für das jüdische Leben in ganz Europa« und verwies darauf, wie wichtig geistiger Beistand gerade in einem Krankenhaus ist: »Ein gesunder Körper braucht eine gesunde und starke Seele«, so Apel.
In Thüringen stehen jetzt die älteste wie die jüngste Synagoge Europas, betont Rabbiner Alexander Nachama.
Landesrabbiner Alexander Nachama wies darauf hin, dass mit der Eröffnung dieser Synagoge sowohl die älteste als auch die jüngste Synagoge Europas in Thüringen stehen, und brachte es auf den Punkt: »Ein außergewöhnlich schönes Ereignis.«
Alle Redner dankten dem Mann des Tages, Waldkliniken-Geschäftsführer Peter-Ruben Thies, der verrückt genug war, seine Vision hartnäckig in die Tat umzusetzen. Der seinerseits auf eine Rede verzichtete, dafür all jenen dankte, die es mit ihrer Arbeit möglich machen, dass sich jüdische Patienten in den Waldkliniken Eisenberg wohlfühlen können: den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von den Ärzten bis hin zum Küchenpersonal.