Dieses Kochbuch kann man ganz entspannt im Sessel lesen, der Ofen bleibt so lange noch sauber. Ob man bei jedem abgedruckten Rezept Appetit bekommt, ist fraglich, denn für einige braucht man ungewöhnliche Zutaten wie knapp 50 Eier. Aber auf die Lektüre dieses Buches bekommt man von Seite zu Seite mehr Lust, da es unterhaltsam geschrieben ist und einen Teil der Berliner Geschichte von der Küche aus aufzeigt.
Zwischen Ambition und Rebellion. Karrieren Berliner Kochbuchautorinnen von Birgit Jochens lädt zum Schmökern ein. Denn auf diesen knapp 200 Seiten wird der Blick auf historische Kochbücher gerichtet – und zwar vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Zehn Verfasserinnen von Kochbüchern aus vier Jahrhunderten stellt Jochens mitsamt ihren Werken, politischen Ansichten und Rezepten vor. Sie möchte Pionierinnen auf diesem Gebiet würdigen, darunter auch einige jüdische Frauen.
GENIESSER Es sind vor allem die sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die sie unterscheiden, etwa die von den Traditionen jüdischer Wohlfahrt geprägte Lina Morgenstern (1830–1909), Julie Elias (1866–1943) aus dem Kreis kultivierter Genießer um den Maler Max Liebermann, und Ruth von Schüching (1880–1965), die als eine der ersten deutschen Drehbuchautorinnen des Stummfilms viele Erfahrungen damit machte, sich in einem neuen Berufszweig zu behaupten.
Manchmal sind Aufbruch und Sprung in eine neue Karriere abrupt gestoppt worden. So haben es Julia Elias und Ruth von Schüching erlebt, die wegen ihrer jüdischen Herkunft emigrieren mussten und darüber in Vergessenheit gerieten.
1866 gründete Lina Morgenstern die erste Volksküche Berlins.
Ziemlich ernst schaut Lina Morgenstern auf dem Foto in die Kamera. Damals war die kleine, resolute Frau 66 Jahre alt und hatte ein Pensum für mehrere Leben schon hinter sich. Fünf Kinder bekam sie, Dutzende Kochbücher, Kinder- und Jugendliteratur, Bücher über die Berliner Volksküche, Schriften zur Frauenbewegung und über die Lehre des Pädagogen Friedrich Fröbel hat sie geschrieben. Dazu kam noch ihr Engagement für die Wohlfahrtsarbeit und Frauenbewegung, unzählige Vereine hat sie ins Leben gerufen und den Internationalen Frauenkongress organisiert.
BEDÜRFTIGE 1866 gründete sie die erste Volksküche Berlins, wo sie jeden Bedürftigen mit nahrhaften Speisen zum Selbstkostenpreis versorgte. Als Jüdin wurde sie beschimpft. 1870, bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges, versorgte sie die durchreisenden Soldaten an Berliner Bahnhöfen. Lina Morgensterns Illustriertes Universal-Kochbuch für Gesunde und Kranke hat bis 1930 elf Auflagen erreicht und bietet in mehr als 2000 Rezepten alles von der einfachen Hausmannskost bis zu den feinsten Leckerbissen.
Dass die weltgewandte, gebildete Autorin Julie Elias heute fast vergessen ist, daran haben die Nazis Schuld. Brevier der feinen Küche hat sie ihre Rezeptsammlung, überwiegend französische Gerichte, genannt, deren Titelillustration von Max Slevogt stammt. 1922 ist das Buch herausgekommen. Es folgten weitere. Ebenso schrieb sie Ratgeber für die Lebensführung. Die erfolgreiche Karriere war mit der Machtergreifung des Nazis zu Ende.
Auch in Norwegen fand die Witwe, die zusammen mit ihrem Sohn geflohen war, keinen langfristigen Schutz. Die Nazis marschierten 1940 dort ein, und ihr Sohn war einer von mehr als 500 Juden, die von Oslo aus nach Auschwitz verschleppt wurden. Julie Elias war damals schon so krank, dass sie in kein Internierungslager kam.
REZEPTE Auch Ruth von Schüching musste Berlin verlassen. Sie emigrierte nach London. Besonders bitter dürfte es für sie gewesen sein, dass ihr christlicher Mann, Bernhardt, 1945 noch einmal geheiratet hat und seiner jüdischen Frau, Susanne Friedmann, das Überleben ermöglichte, in dem er sie in seinem Bootshaus versteckte.
Dass die weltgewandte, gebildete Autorin Julie Elias heute fast vergessen ist, daran haben die Nazis Schuld.
1930 publizierte sie das Kochbuch für alle, das innerhalb von zwei Jahren viermal neu aufgelegt wurde. Fünf Jahre später kam Ich koche für dich. Über 1000 erprobte und sparsame Kochrezepte für die deutsche Familie. Die Rezepte kamen in der angespannten Wirtschaftslage der Weimarer Republik gut an.
Die Porträts werden von kurzen Kapiteln über kulinarische Themen ergänzt, darunter »Schwarze Küchen«, »Wochenmärkte und Markthallen«, »Lebens- Mittelverfälschungen«. Die Mischung stimmt.
Birgit Jochens: »Zwischen Ambition und Rebellion. Karrieren Berliner Kochbuchautorinnen«. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2021, 192 S., 25 €