Köln

Wieder zu Hause

Virtuell lassen sich die Blätter der Handschrift auch umblättern. Foto: Ulrike Gräfin von Hoensbroech

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdichten sich im Fenstersaal des zweiten Obergeschosses im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Auf einzigartige Weise können die Besucher des Museums von hier aus 750 Jahre kölnische Stadtgeschichte, genauer gesagt, jüdische Geschichte in den Blick nehmen.

Da ist einerseits die mit einer besonderen Ausstellungsgrafik versehene Fenstergestaltung. Durch sieben unterschiedlich große Gucklöcher wird der Blick gezielt auf einzelne Areale der riesigen Baustellenfläche vor dem Museum gelenkt. Bei der Fläche handelt es sich um die Ausgrabungen vor dem Kölner Rathaus. Hier befand sich im Mittelalter Kölns jüdisches Zentrum – die nachweislich älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen – mit Synagoge, Mikwe, Hochzeitshaus und Wohnhäusern. Im Jahr 2021, wenn sich die erstmalige Erwähnung dieser Gemeinde zum 1700. Male jährt, soll hier das »MiQua« stehen, wie das »LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier« heißt.

Die reich verzierte Handschrift gilt als eine der frühesten aschkenasischen Schriften überhaupt.

Es wird dann auch das künftige Quartier für ebenjenes Exponat sein, das derzeit vor der Fensterfront – eingehaust in einer Rotunde – aus weit zurückliegender Vergangenheit präsentiert wird: der Amsterdamer Machsor. Vermutlich in der Mitte des 13. Jahrhunderts ist dieses hebräische Buch mit Gebeten und liturgischen Gedichten (Pijjutim) für die Feiertage entstanden.

Pergament 331 Blätter auf aufgerautem Kalbspergament, teilweise kunstvoll verziert mit eindrucksvollen Illuminationen wie etwa mit Gold unterlegte Initialwörter mit Ranken und Fabelwesen, dienten als liturgischer Leitfaden, den der Vorbeter für die jüdischen Feiertage benutzte. Gebetet wurde nach dem spezifischen Kölner Ritus. Eine kleine Textanmerkung »Minhag Colonia« ermöglicht diese zweifelsfreie Zuordnung.

Die reich verzierte Handschrift gilt als eine der frühesten aschkenasischen Schriften überhaupt. Die Präsentation dieses Zeugnisses jüdischer Kulturgeschichte in unmittelbarer Nähe zu dem Ort, an dem es ehemals Verwendung gefunden hat, ist deutschlandweit wohl einmalig.

»Der Machsor öffnet uns ein einzigartiges Fenster in das mittelalterliche Köln und die jüdische Geschichte der Stadt«, sagt Thomas Otten, Direktor des »MiQua«. »Die Illustrationen zeigen uns die gelebte Praxis jüdischer Bekleidung, den Umgang mit dem Bilderverbot oder das Verhältnis zwischen Vorbeter und Gemeinde«, erklärt er. Die Handschrift werde das Herzstück des künftigen, vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) betriebenen jüdischen Museums sein.

Stolz Die Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland, Anne Henk-Hollstein, betont in diesem Zusammenhang: »Dem Machsor mit seiner gesicherten Kölner Herkunft im MiQua an seinem Ursprungsort vor dem Kölner Rathaus eine neue alte Heimstatt bieten zu können, erfüllt mich und alle Beteiligten mit Dankbarkeit und auch einem gewissen Stolz.«

Zu den Beteiligten gehört ebenso Emile Schrijver. Er ist der Generaldirektor des Joods Historisch Museum in Amsterdam. Die Stadt ist eng mit der Geschichte des ursprünglich aus Köln stammenden Gebetbuchs verbunden. Als die Juden im Jahre 1424 aus Köln vertrieben wurden, verschwand auch der Machsor.

Die Handschrift wiegt mehr als 30 Kilogramm.

Wo er in den Jahren danach war, ist nicht bekannt. 1669 tauchte er in der jüdischen Gemeinde Amsterdam auf. Diese übergab das Gebetbuch im Jahr 1955 als Dauerleihgabe dem Museum. Im Jahr 2017 erwarben das Joods Historisch Museum und der LVR das Buch.

Kooperation Die mehr als 30 Kilogramm schwere Handschrift soll abwechselnd in Köln und in der niederländischen Metropole gezeigt werden. »Das ist eine fantastische und nicht alltägliche Kooperation«, betont Otten die enge Zusammenarbeit mit Amsterdam noch vor Eröffnung des Kölner Museums. Sein Kollege Schrijver ergänzt: »Wir freuen uns sehr über die Partnerschaft, auch weil wir dadurch gemeinsam dieses Unikat für die breite Öffentlichkeit erhalten konnten.«

In einer Vitrine liegt das aufgeschlagene Buch. An den Wänden der sie umgebenden Rotunde geben 13 auf Deutsch und Englisch ansprechend präsentierte Texte leicht verständliche Erläuterungen – beispielsweise zu Herkunft, Gebrauch, Liturgie oder Konstruktion. Außerdem können Besucher an einem kleinen Terminal digital durch alle Seiten des Machsor blättern.

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Uni Würzburg

Außergewöhnlicher Beitrag

Die Hochschule hat dem Zentralratspräsidenten die Ehrendoktorwürde verliehen

von Michel Mayr  20.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024