27. Januar

Wie wir jungen Juden erinnern wollen

Esther (17), Krefeld
Für mich ist es wichtig, dass man über die Schoa spricht. In meiner Schule ist der Holocaust ein großes Thema, manchmal ist es mir schon fast zu viel, immer wieder darüber zu reden. Ich werde bei der Kampagne #WeRemember wieder mitmachen, zu der meine Schule jedes Jahr einlädt. Während der Pandemie waren etliche dabei, mittlerweile sind es nicht mehr so viele, wie ich erhofft hatte. Wahrscheinlich werde ich am 27. Januar eine Kerze anzünden und mein Plakat von der Kampagne posten. Unsere Abschlussfahrt – ich mache in diesem Jahr mein Abitur – ging nach Prag. Wer mochte, konnte sich zu einer Führung durch das jüdische Viertel, die Synagogen und den Friedhof anmelden. Ich war neugierig und erfuhr viel. Meine Schule organisierte auch eine Fahrt zum ehemaligen Ghetto Theresienstadt. Was mich interessiert, sind gute Dokumentationen. Jüngst habe ich mir eine über Juden in Straßburg und über die Résistance in Frankreich während der Nazizeit angeschaut.

Kelila (21), Offenburg
Am liebsten gedenke ich, wenn mir danach ist. In solchen Momenten schaue ich mir Dokumentationen oder Filme an, die auf einer wirklichen Begebenheit beruhen, wie beispielsweise Schindlers Liste. Dazu brauche ich keine festen Daten, da ich unabhängig von den Gedenkveranstaltungen bin. Das Instagram-Projekt »Ich bin Sophie Scholl« gefiel mir beispielsweise. Da ließ eine Schauspielerin, die Sophie Scholl verkörperte, die Follower an den letzten Monaten des Lebens der Widerstandskämpferin teilhaben. Mein Großvater, Felix Rottberger, ist Schoa-Überlebender und als Zeitzeuge im Raum Freiburg sehr aktiv. Mit seinen 87 Jahren berichtet er öfter über sein Schicksal während der Schoa. Da bin ich immer stolz auf ihn. Mittlerweile studiere ich, aber als ich noch Schülerin war, organisierte ich einmal in meiner Schule ein Gespräch mit ihm. Mein Papa hat immer gesagt, dass der Holocaust zu lange her sei und die Menschen mittlerweile vergessen, wie schlimm es war. Aber nun können wir Kriege live auf Social Media verfolgen. Leider auch den Antisemitismus. In meiner pädagogischen Hochschule sind die Menschen glücklicherweise sehr weltoffen. Nach dem 7. Oktober wurde ich aber auf einer Party bei Freiburg unangenehm angesprochen. Viele fragen mich jedoch, wie es mir geht – und dafür bin ich dankbar.

Yaniv (17), Trier
Ich bin viel auf Social Media unterwegs und mache bei der #WeRemember-Kampagne des World Jewish Congress mit. Das stelle ich auf meinen eigenen Account. Mit dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft haben wir im vergangenen Jahr eine Collage von unseren #WeRemember-Plakaten erstellt und veröffentlicht. Der Holocaust-Gedenktag fällt dieses Jahr auf Schabbat, weshalb in meiner Gemeinde erst abends gedacht wird. Und zwar mit einem Film über Rabbiner Altmann, der der letzte Rabbiner von Trier in der Nazizeit war. Die Politiker halten einmal im Jahr eine große Rede, aber ich finde, dass da mehr kommen müsste. Sie denken vielleicht, dass sie genug getan haben. Allerdings könnten auch Taten folgen, beispielsweise bei der Bildung, da könnten sie der Erinnerungsarbeit einen höheren Etat bewilligen. Meine Großeltern sind während der Schoa aufgewachsen. Beide haben viele Verwandte verloren. Dank meiner tapferen Urgroßmutter konnten meine Oma und ihr Bruder, damals ein und drei Jahre alt, überleben. Darüber reden wir oft. In meiner Schule hingegen erlebe ich zu wenig Gedenken oder besser gesagt, gar keines. Zum Holocaust-Gedenktag war letztes Jahr nichts geplant, und dieses Jahr auch nicht. Im Unterricht wurden das Judentum und die Schoa schnell abgehakt, dann ging es rasch im Lehrplan weiter. Es gab auch keine Fahrt in ein ehemaliges Konzentrationslager. Allerdings liegen vor dem ehemaligen Gebäude meiner Schule Stolpersteine. Ich fände es schön, wenn einmal eine Kampagne gestartet und sich die Zeit genommen würde, um alle Namen der ehemaligen deportierten Schüler vorzulesen und über sie zu sprechen. Da könnten wir die Frage beantworten, an wen wir überhaupt erinnern.

Shanna (14), Frankfurt
Die Geschichte darf nicht vergessen werden, deshalb finde ich Gedenkfeiern wichtig und auch schön. Das Gedenken an die Verstorbenen bedeutet mir viel – und natürlich das Erinnern an die Schoa. In meiner Schule ist es Sitte, dass die achten Klassen den Holocaust-Gedenktag vorbereiten. Sie sollen ihre Verwandten zur Schoa befragen und ihre Berichte dann in der Synagoge vortragen. Zum Abschluss sangen wir beim letzten Mal gemeinsam die Hatikwa. Ein älterer Mann saß neben mir und fing an zu weinen. Der Raum war gefüllt mit älteren Menschen, die Schlimmes durchgemacht haben. Ich wünschte mir, dass meine Schule die Nazizeit intensiver behandelt. Beispielsweise mit Besuch von Zeitzeugen und Fahrten in KZ-Gedenkstätten. Das finde ich auch wichtig. In Social Media läuft Instagram in meiner Community an diesen Tagen immer voll, meistens mit einem Bild einer Gedenkkerze und den Worten »Never forget«. Alle meine Freundinnen posten das. Bei TikTok sehe ich manchmal Videos. Beispielsweise das einer Frau, die vom Holocaust erzählt. Ich bin dann da ausgestiegen, denn die Kommentare schrecken mich ab. Die Frau wurde als Leugnerin bezeichnet, jemand anderes hat geschrieben, dass sie das Leid doch verdient hätte, noch ein anderer, dass sie »leider« überlebt habe. Meine Urgroßmutter ist 97 Jahre alt. Ihre ganze Familie wurde ermordet. Sie konnte flüchten, tauchte unter und ernährte sich von den Schalen der Sonnenblumenkerne, die andere aus dem Zug schmissen. Um sie zu bekommen, lief sie die Gleise ab. Wenn man sie auf die Schoa anspricht, wird sie blass und weint. Es könnte mehr zentrale Gedenktage geben als nur den einen.

Janis (16), Düsseldorf
Als jüdische Person mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion habe ich auch Verwandte im Holocaust verloren. Ich interessiere mich für Geschichte und habe festgestellt, dass sich Fehler im Laufe der Zeit wiederholen. Wenn man nicht mehr zeigt, was passiert ist, gerät es in Vergessenheit. Jüngst hatte meine Schule einen Austausch mit einer anderen Schule. Da war ich überrascht, wie wenig diese Schüler über die Schoa wussten. »Nie wieder« heißt es seit knapp vier Monaten. Der offene Antisemitismus ist seitdem so groß wie nie zuvor – trotz Geschichtsunterricht an den Schulen und regelmäßiger Gedenkfeiern. Meiner Meinung nach sind Gedenkfeiern doch eher etwas für die älteren Leute, aber nichts für die Jugend. Nur eine Rede halten, reicht nicht. Die Sonntagsreden der Politiker, die immer das Gleiche sagen, brauche ich nicht. Ich finde es besser, wenn man zusammen etwas erarbeitet und so gedenkt. Hologramme von Zeitzeugen sind toll, wir können sie mit dem Auge erfassen. Eine Lichtinstallation an der Synagoge in Düsseldorf zeigte, was zerstört wurde. Das sind Bilder, die bleiben.

Veronika (18), Düsseldorf
Das Mahnmal vor der ehemaligen zerstörten jüdischen Schule gibt es seit 2020. Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums, darunter auch ich, haben die Schicksale der früheren Bewohner des Hauses recherchiert und auf Infotafeln festgehalten. Dadurch haben wir viel gelernt. Nach dem 7. Oktober sieht man viel Antisemitismus, und das zeigt mir, dass wir Juden nie in der Gesellschaft akzeptiert waren. Ich bin hier aufgewachsen – und fühlte mich sicher und war glücklich, in Deutschland leben zu können. Nun höre ich ein »Never again«. Die Geschichte sollte sich nicht wiederholen, wiederholt sich aber für uns. Die derzeitige Atmosphäre erinnert an die Schoa. Wir können vergeben, aber nicht vergessen. Es ist ein Riesenglück, dass Zeitzeugen noch über diese Zeit berichten. Gedenkfeiern muss es immer geben, damit die Schoa in den Köpfen bleibt. Wichtig finde ich auch, dass die Namen der Opfer verlesen werden. In der Nazizeit wurden sie ignoriert, da waren Juden nur Nummern. Der 27. Januar und Jom Haschoa gibt den Ermordeten einen Namen. In der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte konnte ich mir Fotos von den zerstörten Synagogen anschauen. Wie schön sie waren. Ich mag es, Bilder zu sehen. Bei den neuen Medien wie beispielsweise Hologrammen der Zeitzeugen muss man aufpassen, dass es nicht ins Lächerliche gezogen wird. Denn Respekt vor den Opfern muss sein.

Mirjam (13), Berlin
Ich finde es wichtig, der Opfer der Schoa zu gedenken. In meiner Familie, die aus der Sowjetunion stammt, waren meine Urgroßeltern betroffen. Meine Schule, die Jüdische Traditionsschule Or Avner, veranstaltet immer eine Gedenkwoche. In diesen Tagen wird dann erst ein Buch eines Überlebenden durchgenommen, anschließend folgt ein Projekt. Mir gefällt diese Art des Innehaltens.

Ilai (14), Berlin
Im vergangenen Jahr haben wir in meiner Schule zusammen das Buch Als Hitler das rosa Kaninchen stahl gelesen. Danach sprachen wir im Unterricht darüber und schrieben schließlich eine Arbeit, bei der wir Fragen zur Geschichte beantworten mussten. Meine Familie emigrierte aus der Sowjetunion – und wir sprechen immer wieder über den Holocaust. Ich finde es interessant, Dokumentationen über die Nazizeit und den Holocaust zu schauen. So kann ich gedenken.

Veronika (16), Berlin
Die Geschichte der Schoa sollte von Jahr zu Jahr weitererzählt werden. Ich möchte, dass auch unsere Kinder später einmal so viel wie möglich darüber wissen. Zu den Gedenktagen reposte ich das Bild mit einer Kerze vor einem schwarzen Hintergrund. Meine Eltern, Geschwister und ich reden häufiger über die Schoa. Jüngst habe ich den Film Schindlers Liste gesehen. Für mich ist das wichtig, solche Filme zu sehen und so die Geschichte immer wieder in Erinnerung zu rufen. Sie könnten eine Alternative zu den Zeitzeugen sein, von denen es ja immer weniger gibt. Demnächst wird die 102-jährige Margot Friedländer zu uns in die Schule kommen – und ich bin sehr gespannt auf sie.

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