Kamila Koprivová formuliert es klar und deutlich: »Ich möchte Rabbinerin werden.« Die Studentin des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam hat sich in ihrer Gemeinde in Prag schon lange Zeit engagiert und dabei auch festgestellt, dass es nur wenige Frauen in Tschechien gibt, die dieses Amt ausüben. Da habe sie gewusst, dass es genau das ist, was sie machen möchte. Doch bevor sie im Abraham Geiger Kolleg angenommen wurde, musste die 31-Jährige, die bereits in Judaistik promoviert wurde, viele Interview-Runden bestehen. Ein Stipendium machte es ihr möglich, das Studium in Potsdam zu beginnen.
Mit Predigtlehre, Seelsorge, Religionspädagogik, Stimmbildung und Gottesdienstgestaltung wird der Stundenplan gefüllt. Das erste Semester sollte in Deutschland stattfinden – doch dann kamen Corona und Zoom-Unterricht dazwischen. Das ist nun schon fast zwei Jahre her; derzeit lebt sie in Israel und absolviert dort ihr drittes Jahr Ausbildung zur Rabbinerin. Nach ihrer Ausbildung würde sie am liebsten in Tschechien, Deutschland oder in einem anderen europäischen Land amtieren.
Ausbildungsstätten Mit dem Abraham Geiger Kolleg für das liberale Judentum und dem Zacharias Frankel College der konservativen Masorti-Bewegung, die beide ihre Standorte in Potsdam haben, sowie dem orthodoxen Rabbinerseminar in Berlin-Mitte gibt es drei Ausbildungsstätten in Deutschland. Die Zeiten, als Rabbiner aus dem Ausland importiert werden mussten, weil Deutschland nach der Schoa für Juden nicht attraktiv war, seien längst vorbei, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. Jüdische Gemeinden in Deutschland können heute Rabbiner und Kantoren »made in Germany« einstellen, ob liberal oder orthodox.
An der Uni Potsdam wird der Bachelorstudiengang (BA) Jüdische Theologie angeboten. Jüdische Studierende können darüber hinaus an einem der beiden sogenannten An-Institute, dem Abraham Geiger Kolleg oder dem Zacharias Frankel College, eine Rabbiner- oder Kantorenausbildung absolvieren und ihren Master machen. Beide Studiengänge werden von der Leo Baeck Foundation unterstützt.
Zehn Frauen und Männer studieren derzeit am Frankel College. Das Studium dauert fünf Jahre, in denen die Studierenden einen BA- und MA-Abschluss in Jüdischer Theologie von der Universität Potsdam erhalten sowie an verschiedenen Kursen am Zacharias Frankel College teilnehmen, die zur Ordination führen. Die Studierenden verbringen außerdem ein Jahr an der Conservative Yeshiva in Jerusalem und absolvieren Praktika in einer Synagoge und einer pädagogischen Einrichtung.
Beim Abraham Geiger Kolleg werden derzeit 21 Studierende, unter ihnen acht Frauen ausgebildet.
21 Studierende werden derzeit am Abraham Geiger Kolleg ausgebildet, darunter acht Frauen, erklärt Rabbiner Walter Homolka, Gründer und Rektor des Instituts. Acht von ihnen befinden sich in der Kantorenausbildung. Im Park von Schloss Sanssouci ist ein jüdischer Campus entstanden. Das Kolleg knüpft an die Tradition der von Rabbiner Abraham Geiger 1872 mitbegründeten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin an, die 1942 geschlossen wurde.
kontingentflüchtlinge Mit dem Zuzug der Kontingentflüchtlinge aus der früheren Sowjetunion hatte sich gezeigt, dass Rabbiner gebraucht werden, weil die Gemeinden wuchsen. 1999 gründete Homolka die erste Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner in Europa nach der Schoa. Zwei Jahre später wurde das Kolleg An-Institut der Uni Potsdam, 2007 kam die Kantorenausbildung dazu, 2013 das Zacharias Frankel College.
»Wir bieten das Studium kostenlos an«, betont Homolka. In England oder in den USA seien hohe Studiengebühren zu bezahlen. Viele könnten sich das aber nicht leisten. Für das Stipendium komme das Außenministerium auf. Fünf Jahre dauert das Studium in der Regel. Die ersten 24 Monate können im Heimatland absolviert werden, denn »wir können nicht davon ausgehen, dass jemand für die Ausbildung fünf Jahre von zu Hause weg sein möchte«, so Homolka.
Das Rabbinerstudium dauert in der Regel fünf Jahre.
Der BA ist deshalb auch in der Heimat möglich. Das dritte Jahr findet in Israel statt, die letzten beiden dann in Potsdam. Allerdings war das in den vergangenen 24 Monaten wegen der Pandemie schwierig. Die Studierenden stammen derzeit aus Tschechien, Frankreich, Russland, Argentinien und Israel. Manche müssen noch Deutsch lernen.
Auch bei Chabad Lubawitsch Berlin wird ausgebildet. Seit 1999 wurden in der Yeshiva mehrere mittlerweile in Deutschland tätige Rabbiner ordiniert, darunter auch der seit 2003 in Hamburg tätige Rabbiner Shlomo Bistritzky. Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hatte diesen ersten Absolventen der Nachkriegszeit die Urkunden überreicht.
Zulassung Im orthodoxen Berliner Rabbinerseminar sind es neun Männer, die das Studium aufgenommen haben, sagt Sarah Serebrinski. Frauen sind nicht zugelassen. Wer in der Brunnenstraße studieren möchte, sollte einige Voraussetzungen erfüllen. »Man muss einen orthodoxen Hintergrund haben und orthodox leben. Das grenzt die Kandidaten sehr ein.
Ebenso müssen sie nachweisen, dass sie einen entsprechenden Level des Talmudlernens schon mitbringen«, sagt die Geschäftsführerin des Rabbinerseminars. 2009 wurde es als Nachfolgeinstitution des Hildesheimer’schen Rabbinerseminars gegründet, das bis 1938 orthodoxe Rabbiner ausbildete. Ferner sei eine »gewisse Persönlichkeit nötig«, die Studierenden müssen gute Reden halten, vorbeten, sollen die Gemeindemitglieder mitreißen und gut mit Menschen umgehen können.
Der im orthodoxen Seminar ausgebildete Rabbiner soll im deutschsprachigen Raum tätig werden.
Und »letztendlich müssen alle davon überzeugt sein, dass der Bewerber Rabbiner werden kann«. Auch das Abitur und gute Deutschkenntnisse gehören zu den Voraussetzungen. Nach Abschluss des Studiums muss der Rabbiner im deutschsprachigen Raum tätig sein. Denn es ist nicht erwünscht, sich hier ausbilden zu lassen, um anschließend in die USA oder nach Israel zu gehen. »Wir haben eine Vereinbarung mit jedem Studenten, denn sie erhalten ja ein Stipendium vom Rabbinerseminar und werden stark unterstützt vom Zentralrat der Juden.«
So können sie etwas zurückgeben und ihr Wissen, ihre Führungskraft mit den jüdischen Gemeinden teilen. Zwei haben gerade ihren Abschluss gemacht und »sind fleißig auf Jobsuche«, sagt Sarah Serebrinski. Die nächsten Bewerber klopfen schon an, etwa zehn haben Kontakt aufgenommen. »Aber nur zwei bis drei können wir aufnehmen.«
Kantorenseminar Das Rabbinerseminar zu Berlin erweiterte 2013 sein Ausbildungsangebot: In Leipzig wurde ein Institut für Traditionelle Liturgie eingerichtet. Damit wird es neben dem Kantorenseminar des liberalen Abraham Geiger Kollegs in Deutschland auch eine orthodoxe Lehrstätte für Liturgie geben.
Leipzigs Gemeinderabbiner Zsolt Balla übernimmt die Leitung der orthodoxen Lehrstätte für Liturgie.
Ehrendekan des Instituts für Traditionelle Liturgie ist Joseph Malovany, Kantor der Fifth Avenue Synagogue und Professor für Liturgische Musik an der Belz School of Jewish Music der Yeshiva University in New York. Leipzigs Gemeinderabbiner Zsolt Balla übernimmt die Leitung. Schwerpunkte sollen eine spezielle Ausbildung für Kantoren sein, aber auch Blockseminare für Laien sowie Fortbildungen für alle Studenten des Rabbinerseminars.
Milan Andics ist bereits am Ende seiner Kantorenausbildung beim Abraham Geiger Kolleg. Seine ersten zehn Jahre verbrachte er in der Nähe von Düsseldorf, dann zog seine Familie nach Ungarn, wo er als Laienkantor amtierte. Das hat ihm so viel Spaß gemacht, dass er sich umgeschaut hat, wo er sich professionell ausbilden lassen könnte – und stellte fest, dass das für ihn nur in Potsdam möglich ist. Mittlerweile amtiert er auch schon in liberalen oder in Einheitsgemeinden. »Aber wir werden auch für orthodoxe Gottesdienste ausgebildet«, erzählt der 37-Jährige, der vorher schon andere Ausbildungen und ein Studium der hebräischen Sprachwissenschaften absolviert hat.