Berlin

Wie in Saftas Küche

Je unsicherer die Zeiten, desto größer der Wunsch nach Konstanten wie Geborgenheit, nach Vertrautem, nach der guten alten Zeit. Möglicherweise lässt sich damit der ungebrochene Trend diverser kulinarischer Hommagen an »Großmutters Küche« erklären, der seit einigen Jahren in der kosmopolitischen Res­taurantszene Berlins anhält. Wobei das mit der Sehnsucht nach den guten alten Zeiten so eine Sache ist, denn die meisten Großmütter hatten es damals alles andere als leicht.

Gleichwohl reiht sich das »Berta« in die Orte der kulinarischen Sehnsüchte ein. Allein namenstechnisch dreht sich zunächst alles um die Namensgeberin des Levante-Restaurants in der Stresemannstraße, nur unweit vom Anhalter Bahnhof und Potsdamer Platz entfernt. Und in guter Nachbarschaft zum Levante-Restaurant »Layla« im Crown Plaza, in dem die »Modern Middle Eastern Cuisine« nach Rezepten des Sternekochs Meir Adoni in trendigem Ambiente kredenzt wird.

Überraschend auch eine Speise für nicht so experimentierfreudige Gaumen: Pargijot.

Wodurch zeichnet sich also das Berta aus? Zunächst einmal wirkt der Name wie ein Versprechen. Eine Hommage an die aus Berlin stammende Großmutter des israelischen Michelin-Sternekochs Assaf Granit, bekannt als Inhaber von insgesamt 16 Res­taurants, darunter das »Machneyuda« in Jerusalem, das »The Palomar« in London sowie das »Shabour« in Paris. Nun lässt sich seine Küche also auch in Berlin ausprobieren, woher seine Großmutter mütterlicherseits stammt.

Persönliche Familiengeschichte

Die Wahl des Sternekochs für ein Restaurant in der Bundeshauptstadt wurde durch eine persönliche Familiengeschichte mitbestimmt. Fotos von Granits Großmutter finden sich an einer Art »Wall of Fame« inmitten des Restaurants, neben weiteren Porträts von Großmüttern der Mitarbeiter im Berta. Besucher werden unweigerlich mit Erinnerungen an eigene Großmütter konfrontiert und damit vielleicht auch an Speisen aus der eigenen Kindheit.

Trotz der Loft-artigen Anmutung des Restaurants stellt sich bereits beim Betreten des – von außen ziemlich unscheinbaren – Gourmet-Tempelchens ein Gefühl der Behaglichkeit ein. Unterstrichen durch eine plüschige Couch im Eingangsbereich, hier und dort umherliegende Teppiche, Retro-Möbel und nicht zuletzt durch das bunt zusammengewürfelte Porzellan mit diversen Blümchenmustern.

Der Bezug zu Großmutters Zeiten wird ferner durch eine Wand-Deko unterstrichen, bestehend aus hölzernen Kochlöffeln und Holzbrettchen. Auch auf der raumfüllenden Dunstabzugshaube der offenen Restaurantküche, in der bis zu sieben Köche gleichzeitig kochen, befindet sich eine Armada an Krügen und weiteren Flohmarktfunden. Ein liebevoll zusammengestelltes Ambiente, bunt wie ein Wimmelbild.

Dadurch wirkt alles irgendwie vertraut und gemütlich. Unterstrichen wird dieses Gefühl durch ein freundlich herum wirbelndes Personal, stets bemüht, den Gästen jeden Wunsch zu erfüllen. Doch wie schmeckt eigentlich das Essen, und hält der kulinarische Genuss auch jenen Erwartungen stand, die durch das Ambiente erzeugt werden?

Traditionelle levantinische Rezepte, gepaart mit Experimentierfreude

Wer beim Blick in die Speisekarte Hummus, gerösteten Blumenkohl, Gefilte Fisch oder sonstige Gerichte der eher traditionelleren israelischen Cuisine erwartet, wird möglicherweise zunächst enttäuscht sein. Dafür zeichnet sich die Speisekarte durch eine raffinierte Mischung aus sogenannten traditionellen levantinischen Familienrezepten, gepaart mit moderner Experimentierfreude, aus.

Geduldig erklärt Barkeeper Alex, der hinter dem Tresen der kleinen, gut bestückten, etwas überfüllten Bar steht, den vier zufällig zusammengewürfelten Besuchern, die für ihr Dinner spontan einen Platz am Tresen zugewiesen bekommen, einzelne Gerichte. Alle sind zum ersten Mal da. Ein Paar kommt aus den USA, ein Gast ist für ein verlängertes Wochenende aus London angereist, eine Besucherin stammt aus Berlin. Hier und dort gibtʼs eine Empfehlung: Das müsst ihr mal probieren!

Hauptgänge wie etwa Meshi Octopus, ein glasierter gegrillter Kalmar, Harira und Sellerie-Salsa laden dazu ein, sich auf etwas Neues einzulassen. Überraschend auch ein Gericht für nicht so experimentierfreudige Gaumen, das Pargijot: eine in dünne Scheiben geschnittene, entbeinte Hähnchenoberkeule, ummantelt von einer raffinierten Panade, bestehend aus Mandel-Entenfettstreuseln. Das Geflügelfleisch ist derart zart, dass es auf der Zunge zergeht, während die Panadekruste kross bleibt. Jeder Biss ein Genuss, abgerundet durch einen Frisée-Salat, der wie eine Perücke auf dem Gericht liegt und der Kreation einen kleinen Frische-Kick verpasst.

Kunst, Reisen und gutes Essen

Als Vorspeise oder Zwischengang: die Polenta Machneyuda. Serviert in einem feuerfesten Glas, besticht sie durch ein würziges Pilzragout mit Spargel und Parmesanstreuseln. Intensiviert durch ein Löffelchen Trüffelöl. »Die Konsistenz der Polenta schmeckt ganz anders als normalerweise, sie ist total cremig«, sagt Dan Adams, ein junger Koch und Grafikdesigner aus Großbritannien. Das Essen schmecke ihm sehr gut, das sei einmal etwas anderes, so der Berlin-Besucher, der sich eigenen Bekenntnissen zufolge neben Kunst und Reisen vor allem für gutes Essen interessiere.

Am Tisch nebenan teilt sich ein Paar eine Portion Aubergine Creme Brulée. »Amazing«, schwärmt die junge Frau, nachdem sie den ersten Löffel genommen hat. Das sei auch eine seiner Lieblingsvorspeisen, sagt Alex, der unlängst von Polen nach Berlin gezogen ist. Er empfiehlt, das Gericht beim nächsten Restaurantbesuch zu probieren. Genau wie sein Lieblings-Hauptgericht, den persischen Wolfsbarsch, mit Beurre blanc Tahini und Puffreis.

Wie viele Gerichte von Berta stammen, bleibt ein Geheimnis. Sie wuchs in Berlin auf.

Angesichts der zwar nicht ganz preiswerten, aber dennoch gut portionierten Speisen bleibt kaum noch Platz für einen Nachtisch. Doch wer mag schon zu einem Löffel Schokoladenmousse Nein sagen? Auch hier eine Überraschung: nichts mit Schokopudding oder Mousse au Chocolat à la Dr. Oetker aus Großmutters Zeiten. Der fluffige Schokoschaum kommt mit Kardamom, Mandel- und Kaffeestreuseln daher, abgerundet durch etwas Olivenöl und einige Körnchen Meersalz. Wirklich lecker!

Wer Berta war und wie viele der Rezepte tatsächlich von ihr stammen, bleibt ein Geheimnis. »Sie wuchs in Berlin auf und nahm ihre europäische kulinarische Kunst auf eine Tour durch den Nahen Osten mit«, ist auf Instagram über die Namensgeberin zu erfahren. Die »Safta«, wie Großmama auf Israelisch heißt, wanderte glücklicherweise bereits in den 30er-Jahren nach Palästina aus.

Was sie wohl zum heutigen Berlin und zum Restaurant ihres Enkels sagen würde?

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