Obgleich im 21. Jahrhundert kein ernsthafter Wissenschaftler mehr die Evolutionstheorie bezweifelt, wird in manchen Kreisen innerhalb aller abrahamitischen Religionen die Schöpfungsgeschichte weiterhin als Tatsachenbericht interpretiert und die Evolutionstheorie als Häresie zurückgewiesen.
Natan Slifkin, orthodoxer Rabbiner und Direktor des Biblischen Museums für Naturgeschichte in Beit Schemesch (Israel), und Fatimah Jackson, Biologin und Anthropologin an der Howard University in Washington, D.C., waren am vergangenen Donnerstag im Jüdischen Museum Berlin zu Gast. Im Rahmen der Ringvorlesung »Wissen und Glauben in Judentum und Islam« der Museumsakademie tauschten sie sich über »Gott, Darwin und die Evolution« aus.
Rabbiner Slifkin, geboren in Manchester, machte schon früh mit einem für einen Jeschiwaschüler ungewöhnlichen Interesse für die Tierwelt auf sich aufmerksam. Trotz erheblicher Widerstände aus der charedischen Community veröffentliche Slifkin mehrere Bücher zum Verhältnis von Tora und Naturwissenschaften und richtet seit 15 Jahren Führungen in Zoos und Naturkundemuseen für jüdisch-orthodoxe Jugendliche aus.
»Zoorabbiner« In seinem Vortrag betont der als »Zoorabbiner« bekannt gewordene Slifkin, dass orthodoxes Judentum und Wissenschaft nicht im Widerspruch stehen müssen. Dabei sieht er sich in der Tradition von Maimonides. Für Slifkin stellen Tora und Wissenschaft zwei unterschiedliche Systeme dar, die nicht vermischt werden sollten: Tora und Talmud seien nicht die richtigen Quellen für naturwissenschaftliche Erkenntnisse.
Die Erde müsse mindestens
15 Millionen Jahre und drei Wochen
alt sein, sagte der Rabbi.
Fatimah Jackson löste den Widerspruch zwischen der Evolutionstheorie und der Schöpfungsgeschichte des Koran in der allegorischen Deutung betreffender Suren auf. Sie sagte, sie könne sich die Komplexität der Natur ohne eine schöpferische Kraft nur schwer vorstellen. Ähnlich argumentierte auch Slifkin. Der Jüdischen Allgemeinen sagte der Rabbiner: »Die Bibel vermittelt Theologie und keine Naturwissenschaft, die Naturwissenschaft ist ein ganz anderer Ansatz. Die Schöpfungsgeschichte sollte meines Erachtens allegorisch und nicht buchstäblich interpretiert werden.«
Weiter stellte Sflikin fest: »Das Judentum ist, im Unterschied zu anderen Religionen, eine Religion der Tat. Wo andere Religionen eher auf dem Glauben aufbauen, kommt es im Judentum mehr darauf an, wie jemand handelt. Wichtig ist es, die Mizwot zu halten. Im Feld der theologischen Diskussion ist mehr Flexibilität möglich.«
Humor Der Kluft zwischen Schöpfungsgeschichte und Wissenschaft begegnete der Rabbi auch mit Humor: Die Erde müsse mindestens 15 Millionen Jahre und drei Wochen alt sein. 15 Millionen Jahre, da er einen Dinosaurierzahn erwarb, dessen Alter auf 15 Millionen Jahre bestimmt wurde – und drei Wochen, da er ihn vor drei Wochen gekauft hatte.
Am Morgen nach dem Gespräch ging es für den »Zoorabbiner« zurück nach Israel. Der Berlinbesuch habe sich in jeder Hinsicht gelohnt, sagte Slifkin. Denn er hat auch das Naturkundemuseum besucht und im »besten Ameisenladen der Welt« in Berlin eine Ameisenfarm für sein Museum in Beit Schemesch erworben.