Stolz schwenkt Adela Zatecky ihre Europafahne durch die Luft. Von Kopf bis Fuß präsentiert sich die 57-Jährige aus Mülheim am Main an diesem Nachmittag in Blau und Gold. Sie trägt einen Hut und ein T-Shirt mit den zwölf Sternen, dazu eine königsblaue Jeans. Sogar die Kette ist mit blauen und gelben Perlen besetzt.
Ein paar Meter neben ihr wippt der Rest der Gruppe zur rockigen Musik. Etwa 30 Teilnehmer sind dem Ruf der Frankfurter »Omas gegen rechts« gefolgt, die an diesem Tag zusammen mit Tausenden anderen auf dem Frankfurter Opernplatz für ein solidarisches Europa demonstrieren.
demos Die »Omas gegen rechts« sind auf solchen Demos bereits eine feste Größe. In den letzten Monaten haben sich zahlreiche Gruppen gebildet, in Deutschland sind sie mittlerweile in fast 50 Städten aktiv.
Die Idee zu der Initiative hatten vor zwei Jahren Frauen über 60 in Österreichs Hauptstadt Wien, als sich die Regierung unter Beteiligung der Rechtspopulisten von der FPÖ abzeichnete. Es ist nach Selbstbeschreibung eine überparteiliche Initiative, die sich in den politischen Diskurs einmischen will. Die Omas wollen eine gemeinsame starke Stimme für die Zukunft aller Kinder und Enkelkinder sein. »Denn vielleicht werden sie uns eines Tages fragen: Was habt ihr getan?«, heißt es in ihrem Grundsatztext.
Die Idee zu der Initiative hatten vor zwei Jahren Frauen über 60 in Österreichs Hauptstadt Wien.
Carola Witt gründete gemeinsam mit einer Rentnerin aus der Umgebung vor einem Jahr die Frankfurter Gruppe. Gerade vor der Europawahl hatte die Aktivistin viel zu tun. »Jetzt wird es hoffentlich etwas ruhiger«, sagt die 60-Jährige seufzend.
aktion Zugleich kündigt die frühere PR-Beraterin aber schon die nächste Aktion an, diesmal ganz unpolitisch: In wenigen Monaten planen die Omas ein Sommerfest. Durch ihr Engagement seien auch Freundschaften entstanden. Als Nächstes steht dann die »unteilbar«-Demo in Dresden am 24. August auf dem Programm. »Wir haben die Zeit. Wir sind ja Omas«, sagt Witt und lacht.
Am Rand des Demonstrationszuges bleiben immer wieder neugierige Passanten stehen und machen Fotos von der bunten Truppe. Die Omas genießen die Aufmerksamkeit. »Wir sind stolz auf dich, Omi«, spielt Sabine Baur eine Sprachnachricht ihrer Enkelkinder ab. Die 72-Jährige ist seit Dezember vergangenen Jahres Mitglied. Auch sie hat genug von Fremdenhass.
Viele haben Enkel, aber längst nicht alle. Oma-Sein ist keine Voraussetzung, um sich bei der Gruppe zu engagieren. Auch beim Alter gibt es keine Vorgaben. Männer sind übrigens ausdrücklich erwünscht.
gruppe Mit Michael Schertel und Sahin Caglar sind die in der Frankfurter Gruppe allerdings deutlich in der Unterzahl. Schertel – mit Europafahne in der Hand – ist gemeinsam mit seiner Frau hier. Caglar trägt auf seinem schwarzen T-Shirt den weißen Button »Omas gegen rechts«. Den hat Witt an alle Teilnehmer verteilt. Der 48-Jährige wurde in der Türkei geboren. Mit Schrecken und Wut verfolgt er Reden und Social-Media-Beiträge von Politikern wie Jörg Meuthen (AfD). »Ich kann nicht zu Hause sitzen und nichts tun«, sagt er.
Unterwegs sammeln die Frankfurter Omas noch Mitstreiterinnen aus Gießen ein. Vorneweg: Doro Ritter-Röhr. Die 76-Jährige ist braun gebrannt. Sie trägt eine enge Jeans mit Fransen und eine große Sonnenbrille in Europablau. Die Ruheständlerin hat die Gießener »Omas gegen rechts«-Gruppe ins Leben gerufen. Ritter-Röhr war nie politisch aktiv. Das änderte sich erst mit der Geburt ihrer Enkel, wie die agile Rentnerin erzählt. »Ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, dass ich einfach nur zuschaue«, sagt Doro. Ihre Truppe zählt inzwischen 150 Mitglieder.
Oma-Sein ist keine Voraussetzung, um sich bei der Gruppe zu engagieren. Auch beim Alter gibt es keine Vorgaben. Männer sind übrigens ausdrücklich erwünscht.
Viel Zeit zum Quatschen hat sie nicht. Schon rufen die anderen sie für ein Gruppenfoto. Die Gießenerin formiert sich in der Mitte der Clique. »Ai, ai, ai! Wir sind die Omas gegen rechts«, rufen die rebellischen Rentnerinnen und halten ihre Plakate in die Höhe. »Für ein offenes Europa« steht auf Ritter-Röhrs Schild, das sie auf einem Teppichklopfer befestigt hat.
facebook Die meisten Teilnehmerinnen kannten sich bisher sich nur über Facebook. Das gemeinsame Ziel verbindet: »Ich finde es einfach wichtig, das politische Feld nicht zu räumen«, sagt Yvonne Ford und ergänzt: »Ich will ein Zeichen setzen, dass auch Alte politisch teilnehmen.«
Etwas abseits des Trubels sitzt Glenda Mühler auf ihrem Rollator. Die 72-jährige gebürtige Chilenin ist heute zum ersten Mal dabei. »Wir Omas müssen Farbe bekennen«, findet die Informatikerin.
Besonders Pegida und der Brexit machten ihr Angst. In den 70er-Jahren floh Mühler nach Deutschland. Als politisch Aktive drohten ihr in der Heimat Verfolgung und Folter, es war die Zeit der Pinochet-Diktatur. Die ältere Dame zeigt auf das Europa-Fähnchen, das links am Lenker ihres Rollators klemmt: »Europa bedeutet für mich Frieden.«