Hannover

Widerstand in der Südheide

Pastor Wilfried Manneke ist ein mutiger Mann. »Jeder von uns hat sicherlich schon einmal an einer Kundgebung teilgenommen«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in seiner Begrüßungsrede zum Paul-Spiegel-Preis im Expowal in Hannover. Doch dies sei im Regelfall ungefährlich. »Auch unser heutiger Preisträger Pastor Manneke nimmt an Demonstrationen teil. Er organisiert sie sogar.« Es sind Proteste gegen Rechtsextremismus. »Und das ist etwas ganz anderes, als gegen den Klimawandel oder Hartz IV auf die Straße zu gehen. Die Proteste gegen rechts sind gefährlich«, betonte Schuster.

Für diesen Mut, sich seit Jahrzehnten Rechten entgegenzustellen, wurde der niedersächsische Pastor am Montag in Hannover mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ehrt damit das herausragende Engagement des 64-Jährigen gegen rechte Umtriebe in der Südheide. Zum Festakt waren rund 350 Gäste geladen, die Pastor Manneke mit lang anhaltendem Applaus ehrten.

In seiner Rede betonte Schuster: »Das Engagement von Pastor Manneke ist uns Ansporn und Vorbild. Wir dürfen den rechtsextremistischen Umtrieben nicht tatenlos zusehen. Denn wir alle sind für den Zustand unserer Demokratie verantwortlich.«

Hetendorf Wilfried Manneke engagiert sich seit 1995 gegen Rechtsextremismus. Damals schloss er sich einem Arbeitskreis gegen ein lokales Neonazi-Zentrum im niedersächsischen Hetendorf an. Viele der beim Festakt in Hannover anwesenden Gäste kenne er schon seit Jahren »von der Straße«, sagte Manneke in seiner Dankesrede.

Netzwerk Mit der Gründung des »Netzwerks Südheide gegen Rechtsextremismus« 2009 und der »Initiative Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus« (IKDR) in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers sei es ihm und seinen Mitstreitern gelungen, eine breit aufgestellte demokratische Allianz von Einzelpersonen, Organisationen und Ini­tiativen aus Kirche und Gesellschaft zu schmieden, die sich den lokalen Umtrieben von Neonazis entgegenstellt.

Das Netzwerk »Südheide gegen Rechtsextremismus« wurde nach der Besetzung des Landhotels Gerhus in Faßberg durch Neonazis um den Anwalt Jürgen Rieger gegründet. Es besteht aktuell aus 15 aktiven, ehrenamtlichen Mitgliedern und mehreren Hundert Unterstützern.

Schulungszentren Nachdem verhindert werden konnte, dass das Landhotel Gerhus zu einem Neonazi-Schulungszentrum ausgebaut wurde, engagiert sich das Netzwerk heute vor allem gegen die Neonazi-Treffen auf dem Hof des NPD-Aktivisten Joachim Nahtz bei Eschede. Dort versammelt sich seit über zwei Jahrzehnten die norddeutsche Neonazi-Elite zu Planungs- und Netzwerktreffen und organisiert Rechtsrockkonzerte und nazistische »Brauchtumsveranstaltungen«.

Die IKDR tritt unter ihrem Motto »Unser Kreuz hat keine Haken« rechtsextremen und menschenfeindlichen Haltungen innerhalb und außerhalb der Kirche entgegen und unterstützt demokratische Beteiligung und Bildung für ein Leben in einer offenen Gesellschaft. Seit 2017 ist Pastor Manneke Vorsitzender der IKDR.

»Es ist das erste Mal, dass ich für mein Engagement gegen Rechtsextremismus ausgezeichnet werde«, sagte Manneke in seiner Dankesrede. Dass dieser Preis vom Zentralrat der Juden kommt, sei für ihn eine »besondere Ehre«. Rechtsextremismus und christlicher Glaube sind für Pastor Manneke »unvereinbar«. Rechtsextremismus widerspreche »unseren ethischen Grundsätzen und Maßstäben fundamental«.

demokratie Der Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage wird seit 2009 vom Zentralrat der Juden vergeben. Damit soll an das unermüdliche Engagement des früheren Zentralratspräsidenten gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus erinnert werden. Gleichzeitig wird mit dem Preis an eine starke Bürgergesellschaft appelliert, ohne die eine stabile und lebendige Demokratie nicht denkbar wäre. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert. Das Preisgeld wird Pastor Manneke in gleichen Teilen an das Netzwerk Südheide, die IKDR und den Verein Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen stiften.

In ihrer Laudatio hob die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, ebenfalls hervor, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus mit dem christlichen Glauben unvereinbar seien. Vor dieser Erkenntnis stünde allerdings eine lange Lerngeschichte voller Schuld und Versagen, sagte Käßmann mit Verweis auf den Antisemitismus Martin Luthers und dessen jahrhundertelange mangelhafte Aufarbeitung in der evangelischen Kirche.

Zwar sei es richtig, dass die Kirchen den Gläubigen nicht vorgeben, welche Partei sie zu wählen haben. Dennoch, so sagte Käßmann mit explizitem Verweis auf die AfD, dürften die Kirchen »sehr wohl fragen, wie jemand eine Partei wählen kann, die die Gebote der Barmherzigkeit und Nächstenliebe, die Grundüberzeugung von Gottesebenbildlichkeit und Würde eines jeden Menschen ständig infrage stellt«.

Grenzverschiebung Die gezielten Provokationen der Rechtspopulisten und ihr Bestreben, die Grenzen des Sagbaren systematisch zu verschieben, seien hochgefährliche Versuche, die Solidarität in der Gesellschaft zu zerstören. Es werde eine inakzeptable Sprache salonfähig gemacht. »Erst werden Menschen abgewertet, dann werden Menschen angegriffen, erst gibt es gewalthaltige Worte, dann Gewalt in Taten«, sagte Käßmann.

Auch Josef Schuster thematisierte in seiner Rede die Bedrohung der demokratischen Kultur durch die AfD. Er zitierte den Politologen Dolf Sternberger: »Die Barbarei der Sprache ist die Barbarei des Geistes.«

Schuster begrüßte die Ankündigung des TV-Moderators Frank Plasberg, den AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland nicht mehr in seine Talkshow einzuladen. Daneben betonte der Zentralratspräsident die »sehr großen Überschneidungen« zwischen AfD und verschiedenen rechtsextremen Gruppierungen und Denkschulen. Mit Verweis auf Untersuchungen des Verfassungsschutzes stellte Schuster fest, dass diese Szene »steten Zulauf« habe und die rechte Gewalt stark zugenommen hat.

drohungen Pastor Manneke hat selbst Drohungen und Gewalt erfahren. Gegen das Pfarrhaus und auf das Haus zweier weiterer Mitstreiter war 2011 ein Brandanschlag verübt worden. Drohungen per Post und über das Internet erhält er immer noch. Seine Söhne wurden wegen des Engagements ihres Vaters gemobbt und bedroht. Schuster sagte, es sei besonders hervorzuheben, dass Pastor Manneke sich trotz der jahrzehntelangen Schmähungen und handfesten Bedrohungen nach wie vor unermüdlich gegen Rechtsextremismus engagiert. Sein bevorstehender Renteneintritt werde wohl zu noch mehr Aktivität führen, scherzte Schuster.

Unter den Gästen des Festaktes in Hannover waren auch Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, sowie frühere Preisträger. Neben Bürgermeister Thomas Herrmann und dem niedersächsischen Kultusminister Grant Hendrik Tonne (beide SPD) sprach auch Gisèle Spiegel, die Witwe des 2006 verstorbenen Zentralratspräsidenten, ein Grußwort.

Ihr Mann sei stets Optimist gewesen, doch ob er mit Blick auf die aktuelle politische Lage noch immer so zuversichtlich in die Zukunft geblickt hätte, zweifelte Gisèle Spiegel an und endete mit den Worten, die den Geist Paul Spiegels spüren ließen: »Machen Sie weiter! Aber passen Sie auf sich auf.«

www.zentralratderjuden.de

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert