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»Wichtiger Tag«

Was junge Juden in Deutschland vom Gedenken am 27. Januar halten

von Evgenij Krasovskij, Fabian Wolff  22.01.2013 10:12 Uhr

Gedenken am Gleis 17 in Berlin Foto: Rolf Walter

Was junge Juden in Deutschland vom Gedenken am 27. Januar halten

von Evgenij Krasovskij, Fabian Wolff  22.01.2013 10:12 Uhr

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Am 27. Januar wehen die Fahnen an Ministerien und öffentlichen Einrichtungen auf Halbmast. Kränze werden an Mahnmalen niedergelegt und Namen von Toten werden verlesen. Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus halten Politiker Reden, Zeitzeugen erinnern sich. In Lesungen, Gottesdiensten oder Theateraufführungen wird bundesweit versucht, die Erinnerung an die Schrecken der NS-Herrschaft wachzuhalten.

Doch welchen Stellenwert hat dieser Gedenktag für junge Juden in Deutschland? Bedeuten ihnen die Zeremonien etwas oder beschäftigen sie sich mit ganz anderen Themen? Ist ihnen vielleicht der Jom Haschoa wichtiger? Und brauchen sie überhaupt einen besonderen Tag, um sich an die größte Katastrophe in der jüdischen Geschichte zu erinnern?

erinnerung Für Alexander Smolianitski könnten die Antworten darauf klarer nicht sein. Der 19-jährige Student aus Duisburg ist davon überzeugt, dass der Gedenktag für die deutsche Mehrheitsbevölkerung wichtiger ist als für Juden. Vor einem Jahr hat er erlebt, wie jüdische Jugendliche von nichtjüdischen Schülern zu einer Projektvorstellung eingeladen wurden. »Als ein jüdischer Schüler fragte, warum alle Projekte mit der Schoa zu tun hätten, sagte man uns: Heute ist doch Holocaust-Gedenktag.«

Die jüdische Jugend, so Smolianitskis Eindruck, beschäftigt sich stärker mit der Gegenwart als mit der Vergangenheit. Er selbst findet es zwar selbstverständlich und eine Pflicht, der Opfer des Holocausts zu gedenken. Darüber möchte er jedoch die Gegenwart und die eigene jüdische Identität nicht vergessen.

Auch die Studentin Alissa hat eine ganz klare Meinung: Sie steht dem »institutionalisierten Erinnerungsapparat«, zu dem sie den Gedenktag zählt, ambivalent gegenüber. Für sie ist die private Beschäftigung mit dem Thema Schoa ungleich wichtiger als der offizielle Gedenktag. »Ich habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeit das oft verleugnet.« Für sie gehört die Erinnerung an die Schoa zu einem bewussten jüdischen Leben.

Alissa glaubt zwar nicht, »dass wir alle, unabhängig von der individuellen Geschichte, direkte Überlebende sind. Das käme mir obszön vor«. Trotzdem würde sie nie sagen, dass ihr das alles egal sei oder sie nichts angehe. »Froh werde ich am 27. Januar sicher nicht sein.«

unterschiede Der Gedenktag sei wichtiger denn je, ist hingegen Slava Satanovskyy überzeugt. »Es sollte ein Tag sein, an dem man sich an die Vergangenheit erinnert, um für die Zukunft zu lernen.« Satanovskyy kam mit seiner Familie 1997 aus der ukrainischen Stadt Uman nach Deutschland und ist seit Jahren Mitglied in der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. »Je fester und selbstverständlicher das Judentum in Deutschland aufgebaut wird, desto schwerer werden sich antisemitische und israelfeindliche Tendenzen durchsetzen«, ist er überzeugt.

Leider gebe es heute immer noch viele, die eine Abneigung gegenüber Juden haben, die behaupten, die Schoa sei eine Lüge, sagt der 23-Jährige, der in Ulm Wirtschaftswissenschaften studiert. »Deswegen sollte das historische Bewusstsein täglich von klein auf gestärkt werden.« Slava hofft, dass die meisten Menschen, Juden und Nichtjuden, sich nicht nur am 27. Januar an die schrecklichen Ereignisse erinnern. »Die Menschen dürfen die Schoa nie vergessen.«

Dass eben diese Erinnerungsarbeit nicht ganz einfach sein kann, weiß die Berliner Studentin Lili zu berichten. Sie engagiert sich in ihrer Heimatstadt in Norddeutschland bei einem Erinnerungsprojekt. Manche Jugendliche mit Migrationshintergrund fragten zum Beispiel, was diese Geschichte mit ihnen zu tun hat, weil sie ja nicht deutsch und deswegen nicht verantwortlich sind. »Deswegen ist es dann wichtig, zu erklären, dass die Schoa ein Verbrechen am jüdischen Volk und an der Menschheit war.«

Das Projekt findet jährlich um den 9. November herum statt. Das Datum ist kein Zufall, aber Lili, deren Großvater das Konzentrationslager überlebt hat, misst Gedenktagen kaum Bedeutung bei. »Für andere sind die vielleicht wichtig. Mit mir hat das aber wenig zu tun.« Ganz gleich, an welchem Datum den Opfern der Schoa gedacht werde, wichtig sei, »dass es sich um sechs Millionen Menschen handelte und nicht um Zahlen«.

bedrohung Elazar Abitbol wurde in Jerusalem geboren, ist in Schwäbisch Hall aufgewachsen und studiert Medizin in Köln. Das Judentum spielt für den 24-Jährigen eine große Rolle. Leider wüssten viele Menschen gar nicht, dass es diesen Jahrestag der Auschwitz-Befreiung gebe, sagt Abitbol. Und auch er selbst hat erst vor ein paar Jahren erfahren, dass der Gedenktag am 27. Januar statfindet.

Mit seiner Familie hat Elazar davor immer am Jom Haschoa der Ermordeten gedacht. »Es wäre wichtig, in Deutschland einen öffentlichkeitswirksameren Gedenktag mit Schweigeminute einzuführen.« Nicht vergessen dürfe man dabei aber die gegenwärtigen Gefahren für Juden: »Ich verfolge mit großer Sorge, wie Europa vor einer nuklearen Bedrohung durch den Iran die Augen verschließt.«

»Man soll und darf die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst auferstehen und zu neuer Gegenwart werden könnte«, zitiert Dima Komarov den Schriftsteller Jean Améry. Der 27. Januar sei ein Mahnmal für die Tragödie des Holocaust, sagt der 23-Jährige Stuttgarter – und erinnert sich an seinen kürzlichen Besuch im Jerusalemer Holocaustmuseum Yad Vashem.

»Ich empfand unermessliche Trauer, vor allem, als ich durch das unterirdische Denkmal für die 1,5 Millionen ermordeten Kinder ging und dabei im Hintergrund ihre Namen und das Alter vorgelesen wurden.« Jeder Jude sei direkt oder indirekt von der Schoa betroffen, erklärt er. Dimas Großeltern wurden aus Kiew deportiert. So entkamen sie dem Massenmord bei Babi Jar, wo die Nazis am 29. und 30. September 1941 über 33.000 Juden erschossen.

Im Jahr 2000 kam er mit seinen Eltern von Kiew nach Deutschland. Er studierte an der Uni Stuttgart und arbeitet heute als Ingenieur bei Dekra. »Am 27. Januar sollte sich jeder fragen, wie dieses Grauen passieren konnte – und hoffen, dass keinem Menschen dieser Welt so etwas jemals widerfährt.« Philipp Engel

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