Pessach

Wertschätzen, was uns stärkt

Wer über eine Sedertafel hinweg in vertraute Gesichter blicken kann, der weiß: Ich bin am richtigen Ort. Foto: Marina Maisel

Nicht allein Kälte und Dunkelheit haben den zu Ende gehenden Winter in diesem Jahr besonders schwierig gestaltet; die Erschöpfung ist allenthalben groß. Umso größer ist in den Tagen vor Pessach unsere Vorfreude auf den Frühling, der mit den länger werdenden Tagen und der erwachenden Natur auch wieder die Erzählung vom Ende der Knechtschaft in Ägypten mit sich bringt.

Seit Jahrtausenden schon lesen wir zu Pessach in der Haggada von der Versklavung unserer Vorfahren, und ebenso lange schon berichten wir einander von den Wundern, die ihre Befreiung brachte. Gerade heute benötigen wir solche seelischen Stärkungen mehr denn je. Der Auszug aus Ägypten ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Geschichte und unserer jüdischen Identität.

Allein die Tatsache, dass wir nach vielen Tausend Jahren noch immer Jahr für Jahr gemeinsam den Seder feiern, beweist bereits, dass »Am Israel Chai« mehr ist als ein schöner Sinnspruch. Zugleich ist es Pessach selbst, das uns die nötige Sicherheit vermittelt: in unserem jüdischen Selbstverständnis, in unserem Vertrauen auf g’ttlichen Beistand, aber auch als Gefühl von Sicherheit in unserem Alltag. Wer über eine lange Sedertafel hinweg in viele vertraute Gesichter blicken kann, der weiß: Ich bin am richtigen Ort.

zusammenhalt Leider müssen auch in diesem Jahr die meisten Sedertafeln wieder sparsam besetzt werden. Die erhoffte Normalität ist noch nicht wieder erreicht, Geduld und Vorsicht sind noch immer Gebot der Stunde. Trotzdem bleibt Pessach gerade in so schwieriger Zeit eine Stütze des jüdischen Lebens, dessen Zusammenhalt im vergangenen Jahr so wichtig war – und so gut funktioniert hat – wie selten zuvor.

»Am Israel Chai« ist mehr als ein schöner Sinnspruch.

In den Familien, unter Freunden und auch in unserer Gemeinde haben die ständigen Herausforderungen nicht nur Belastungen verursacht, sondern auch das Beste in uns zum Vorschein gebracht. Wir können nur stehen, wo wir stehen, weil wir füreinander da sind: Auch das ist eine Konstante der jüdischen Geschichte mindestens seit der Zeit des Auszugs aus Ägypten.

Den aktuellen Problemen infolge der Pandemie will ich hier gar nicht allzu viel Platz einräumen. Sie sind bekannt, sie werden vorübergehen. Was bleiben wird, sind ein weiteres Mal unsere Tradition und unsere Gemeinschaft. Bereits der leider im Herbst 2020 verstorbene ehemalige Oberrabbiner von Großbritannien, Lord Jonathan Sacks sel. A., wies darauf hin, dass, wer Freiheit erhalten will, seinen Kindern ihre Geschichte beibringen muss. So hoffe ich, dass wir auch im Jahr 5781 zu Pessach, allen Widrigkeiten zum Trotz, das Positive sehen: Wir können die Geschichte der Freiheit erzählen.

Leider bleibt das nötig, auch über die jüdische Gemeinschaft hinaus. In der Gesamtgesellschaft wird die Sicherheit – oder vielmehr Unsicherheit – jüdischen Lebens seit Längerem energisch diskutiert, und die Fakten machen wenig Mut. Selbst in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Synagoge und des Gemeindezentrums haben wir bereits Übergriffe erleben müssen.

Die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, die dafür verantwortlich sind, finden längst ihre Fortsetzung in der Politik: Bei den Demonstrationen des vergangenen Jahres haben wir gesehen, wie schnell eine Bewegung vom Rand des politischen Spektrums die Straßen und Plätze für sich beansprucht, und bei den jüngsten Landtagswahlen im Südwesten konnten die politischen Brandstifter, die mit diesen Gruppen verbunden sind, trotz erfreulich großer Verluste wieder in die Parlamente einziehen.

verantwortung Umso wichtiger wird daher der Wahlkampf für die bevorstehende Bundestagswahl werden, bei der jeder von uns mit seiner Stimme demokratische Verantwortung trägt. Der Einsatz für die freiheitliche Demokratie wird bis zum 26. September und auch darüber hinaus nötig bleiben.

Angesichts solcher Herausforderungen sollten wir besonders wertschätzen, was uns stärkt. Das jüdische Leben in Deutschland feiert in diesem Jahr sein 1700. Jubiläum, und auch die IKG wird sich daran beteiligen. Selbst diese enorme Zeitspanne verblasst aber vor der Geschichte des Auszugs aus Ägypten und dessen historischer Bedeutung. Diese Geschichte wird uns auch weiterhin tragen. Wie seit Jahrtausenden werden wir in diesem Jahr wieder Schehechejanu sagen und dafür danken, dass wir diese Zeit erleben dürfen.

Die Geschichte lebt in uns – und mit jedem weiteren Pessachfest, das wir feiern, schreiben wir jüdische Geschichte fort. Darauf können, darauf sollten wir stolz sein, und darauf freue ich mich in diesem wie in jedem anderen Jahr. Mit Kraft, mit Durchsetzungsvermögen und eben mit Zusammenhalt werden wir jedes Hindernis überwinden.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Chag Pessach kascher we-sameach – und: Bleiben Sie gesund!

Weimar

Erlebtes Wissen

Eine Fortbildung für Leiter jüdischer Jugendzentren befasste sich mit der Frage des zeitgemäßen Erinnerns. Unsere Autorin war vor Ort dabei

von Alicia Rust  18.02.2025

Bundestagswahl

Scharfe Wort

Über junge politische Perspektiven diskutierten Vertreter der Jugendorganisation der demokratischen Parteien in der Reihe »Tachles Pur«

von Pascal Beck  18.02.2025

Justiz

Vorbild und Zionist

Eine neue Gedenktafel erinnert an den Richter Joseph Schäler, der bis 1943 stellvertretender IKG-Vorsitzender war

von Luis Gruhler  18.02.2025

Emanzipation

»Die neu erlangte Freiheit währte nur kurz«

Im Münchner Wirtschaftsreferat ist eine Ausstellung über »Jüdische Juristinnen« zu sehen

von Luis Gruhler  18.02.2025

Portät der Woche

Magische Momente

German Nemirovski lehrt Informatik und erforscht den Einsatz Künstlicher Intelligenz

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.02.2025

Berlinale

»Wie zehn Städte in einer«

Die Komponistin Dascha Dauenhauer über ihre Heimatstadt, die Arbeit an »Golda« und das Filmfestival

von Katrin Richter  15.02.2025

Gemeinden

Musik, Theater, Lesungen

Für jeden etwas dabei: Der Zentralrat der Juden stellt sein Kulturprogramm vor

von Christine Schmitt  13.02.2025

Tu Bischwat

Von der Krone bis zur Wurzel

Das Neujahrsfest der Bäume ist eine Umarmung der Natur. Was verbinden Jüdinnen und Juden mit diesem Tag? Eine Umfrage

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Heike Linde-Lembke, Katrin Richter  13.02.2025

Berlin

Gedenkort für früheres jüdisches Altenheim gefordert

Die Einrichtung stand dort, wo sich heute das Haus der Statistik befindet

 11.02.2025