Mike Samuel Delberg kommt gerade vom Wahlkampf in Berlin-Mitte. Eigentlich kein traditioneller CDU-Bezirk. Seit 2013 ist Delberg CDU-Mitglied, mittlerweile ist er im Ortsvorstand des Bezirks Moabit. Warum er sich für die CDU entschieden hat, sei schnell erklärt, sagt er. »Ich mag das Bauen von Luftschlössern nicht, ich bin pragmatisch und möchte eher an Lösungen arbeiten als an Visionen.« Das C im Parteinamen habe ihn nie gestört, sagt der 28-Jährige. »Im Gegenteil, ich finde es sehr inklusiv, denn es steht ja für gewisse konservative und eben auch für gemeinsame religiöse Werte.«
Christliche und jüdische CDU-Mitglieder hätten viele Gemeinsamkeiten, »und nicht nur das. Ich glaube, das gilt auch für bürgerlich-konservative Muslime«. Als Jude sei er jedenfalls bei den Christdemokraten nie auf antisemitische Vorurteile gestoßen, sondern »auf sehr offene Arme und Türen getroffen«, betont Delberg.
SPD Daniel Dejcman berichtet Ähnliches von den Sozialdemokraten. »Auch wenn das jetzt wie Werbung klingen mag: Die SPD ist in meinen Augen die Partei, die Juden am meisten ernst nimmt. Wir sind die einzige Partei, die mit dem ›AK jüdischer Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen‹ einen eigenen Arbeitskreis für jüdische Mitglieder hat.« Dadurch sei es möglich, »unsere Themen in den Diskurs der Mehrheitsgesellschaft einzubringen«, konstatiert der 22-Jährige und nennt als Beispiel die Gleichstellung bei der Rentenanrechnung von Kontingentflüchtlingen.
Dejcman studiert Medizin. Und weil der Wahltermin in die Semesterferien fällt, hat er Zeit, sich zu engagieren. »Ich mag es, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen und Anregungen, aber auch Beschwerden zu hören. Davon lebt die Demokratie«, ist er überzeugt. Gesundheitspolitik ist für den angehenden Mediziner ein wichtiges Thema. Gemeinsam mit Kommilitonen engagierte er sich schon 2015 für die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge. »Beamte ohne medizinische Kenntnisse können oder müssen dann nicht länger darüber entscheiden, ob jemandem der Arztbesuch gestattet wird.« Dejcmans Eltern kennen das Problem nur zu gut. »Als Kleinkind hatte ich plötzlich 41 Grad Fieber, aber meine Mutter konnte nicht sofort mit mir zum Arzt gehen, weil es damals sehr lange dauerte, bis die jüdischen Kontingentflüchtlinge bei den Krankenkassen registriert waren.«
Vorwürfe an die SPD wegen angeblichem Antisemitismus oder wegen Israelfeindlichkeit hält Dejcman für »inhaltlich nicht begründet«. Die Linie der Außenpolitik werde ja von Koalition und Kanzlerin mitbestimmt, und Martin Schulz habe »ganz klar den Antisemitismus palästinensischer Flüchtlinge thematisiert«.
Den Wahlabend wird Dejcman wohl bei der SPD Bonn verfolgen. Interessant werde nicht nur das große Ganze, sondern auch das Live-Streaming der Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen, sagt er. »Der SPD-Kandidat unseres Wahlkreises ist nämlich nicht über die Landesliste abgesichert.«
Linke Mit acht Jahren kamen Nikita Karavaev und seine Familie aus der Ostukraine nach Deutschland. Die Eltern und Großeltern hätten schon immer gern über Politik diskutiert, erinnert er sich. »Mein Opa und meine Oma waren gegen die kommunistische Partei und gleichzeitig von ihrer Grundeinstellung her für sowjetische Verhältnisse progressiv – und für hiesige konservativ.«
Alles, wofür er sich heute engagiere, also »Arbeitnehmerrechte, Mitbestimmung, Wirtschaftsdemokratie«, habe es in der UdSSR nicht gegeben, sagt Karavaev, der in Freiburg Jura studiert und sich auf sein erstes Staatsexamen vorbereitet. Dabei schätzt er die Gespräche an Infoständen sehr: »Besonders junge Menschen kommen oft und stellen sehr intelligente Fragen, die man von Älteren nur selten hört.«
Nun gibt es allerdings auch immer wieder Linke-Mitglieder, die mit antisemitischen oder israelfeindlichen Bemerkungen auffallen. »Es gibt in der Partei definitiv seltsame Positionen und auch einige Antisemiten, also Leute, die direkt und vorsätzlich Juden hassen«, gibt Karavaev zu. Er fügt hinzu: »... wie in jeder Partei«. Gleichwohl, betont er, »haben diese Leute in der Linken keine Mehrheit. Im Grundsatzprogramm ist das Existenzrecht Israels festgeschrieben«.
»Zehn Prozent wären toll«, wünscht er sich als Wahlergebnis. »Aber insgeheim hoffe ich schon auf eine rot-rot-grüne Mehrheit, ich schaue mittlerweile bei Umfragen auch nicht mehr auf die einzelnen Parteien, sondern auf mögliche Koalitionen.«
FDP Julian Deterding ist 2010 in die FDP eingetreten. »Ich habe mich informiert, und mir gefiel sie von allen Parteien am besten.« Richtig eingebracht hat er sich erst ab 2013, »damals war die Stimmung nicht gut, wir hatten viele Mitglieder verloren«. Seine Wahlkampfarbeit bezeichnet Deterding als kleinteilig. »Ich klebe Plakate, verteile Prospekte und mache viel über Social Media für die Jungen Liberalen.«
Der Wahlkampf fällt ausgerechnet in die Prüfungsphase, »das ist schon hart. Ich bin froh, wenn der 24. September vorbei ist«. Den Wahlabend wird Deterding wohl in Berlin erleben. »Ich habe eine der begehrten Karten für die Wahlparty im Genscher-Haus ergattert«, berichtet der 24-Jährige stolz. »300 wurden verlost, und nun werde ich live dabei sein. Das ist etwas Besonderes, ich bin schon aufgeregt.«
Wäre er denn auch in die FDP eingetreten, wenn Jürgen Möllemann dort noch das Sagen hätte? »Ich bin zuallererst Mensch, dann Jude und dann Liberaler«, schickt Deterding seiner Antwort voraus, und sagt dann: »In dem Fall wäre ich jetzt nicht FDP-Mitglied.« Gleichzeitig betont er, dass er noch niemanden in der Partei getroffen habe, der heute noch die Position des einstigen Parteivorsitzenden vertritt. »Im Gegenteil, ich bin immer wieder überrascht, wie projüdisch und proisraelisch die FDP ist.«
Dafür habe auch Guido Westerwelle gesorgt, den er 2012 persönlich kennenlernte. »Damals war er noch gesund und hat den jungen Christian Lindner sehr unterstützt. Ich habe Westerwelle als sympathischen, netten Menschen erlebt, mit dem man über alles reden konnte.«
Deterding studiert Zahnmedizin. »In drei Jahren bin ich fertig, aber eine eigene Praxis werde ich mir nicht leisten können, ich bin schließlich Arbeiterkind.« Eine politische Karriere könne er sich ebenfalls nicht vorstellen. »Dazu braucht man ein Standbein und eine gute Ausbildung. Das ist ja immer so ein Klischee, dass Bundestagsabgeordnete, die nicht wiedergewählt wurden, alle bei Lobbyorganisationen unterkommen. Einige müssen sogar Hartz IV beantragen und etwaiges Vermögen aufbrauchen. Mit 65 eine schöne Pension zu haben, verhindert nicht, dass man in den Jahren bis dahin tief fallen kann.«
Grüne Der Potsdamer Rechtsanwalt Peter Schüler möchte eigentlich keine Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl abgeben. »Ich rechne mir aus, dass die Bündnisgrünen eine Fraktion stellen werden«, sagt er. Und er hoffe, dass die Brandenburger Spitzenkandidatin Annalena Baerbock im neuen Bundestag einen Sitz bekommt, »sie ist sehr kompetent«.
Warum es junge Juden nicht zu seiner Partei zieht, sei schwer zu beantworten, sagt der studierte Physiker und Jurist. »Ich kann ja nur für Brandenburg sprechen, hier gibt es einfach nicht so viele Juden. Vor der Wende kannte ich beispielsweise in Potsdam exakt zwei.« Für politisch engagierte Zuwanderer aus der ehemaligen UdSSR seien die großen Parteien vielleicht interessanter. »Es liegt ja auch in der Natur der Sache, dass man, wenn man relativ spezielle Neuerungen anstrebt, keine Volkspartei wird.«
Antisemitismus habe er in seiner Partei nicht erlebt, sagt Schüler. Ihn beschäftigt vielmehr, dass »wir alle insgesamt über Motivation und Information neu nachdenken müssen. Wir sehen ja, dass man auf herkömmliche Art und Weise nicht mehr Wähler gewinnt. Gefragt scheinen derzeit eher charismatische Führungspersönlichkeiten wie Emmanuel Macron zu sein. Oder Personen, die wie Donald Trump extrem polarisieren.« Diese Polarisierung und der damit einhergehende Hass machen ihm Sorgen: »Wir müssen uns damit auseinandersetzen und ein Instrument dagegen finden. Es genauso zu machen, kommt nicht infrage.«