Ortstermin

Warum ein syrischer Kurde in Freiburg ein israelisches Restaurant eröffnet hat - trotz allem

Alle wollen mit ihm reden. Mehr als 60 Medien haben sich in den vergangenen Wochen bei Bilal Aloge gemeldet – weit über die Region hinaus berichten Zeitungen, Fernseh- und Radiosender über das israelische Restaurant »Jaffa«, das der syrische Kurde Mitte Januar in Freiburg eröffnet hat. Mit diesem Restaurant setzt der 49-Jährige ein Zeichen – nicht nur für die israelische Küche. Er zeigt, dass er sich nicht einschüchtern lässt. Im vergangenen Jahr wurde er wegen eines israelischen Gerichts auf der Speisekarte eines seiner beiden in Freiburg seit Jahren bestehenden arabischen Restaurants massiv bedroht und sah sich von Hass verfolgt.

An einem Januartag unter der Woche zur Mittagszeit: Im Jaffa ist es gerade eher ruhig. An den ersten Abenden war der Andrang so groß, dass er die Online-Anmeldung auf seiner Website abschalten musste, erzählt Aloge. An diesem Mittag sitzen ein älteres Paar, Geschäftsleute und ein paar einzelne Menschen verstreut vor ihren Tellern und Gläsern. Mit den über den Raum verteilten Tischen, Pflanzen und Sitzwürfeln wirkt alles modern und luftig, durch die Glaswände dringt trotz des verregneten Wetters viel Licht. Wenn es in ein paar Wochen wärmer wird, kommen noch 80 Plätze auf der Terrasse dazu.

Die Scheiben wurden beschmiert, Speisekarten zerrissen, seine Frau beschimpft und bedroht.

An einem Tisch an der Wand wartet ein Mann auf seinen Schakschuka-Mixteller. Er wurde über einen Bericht des Südwest­rundfunks auf das Restaurant aufmerksam. Weil er in der Nähe arbeitet und früher einmal in Israel war, wurde er neugierig. Das Jaffa liegt ein wenig versteckt auf dem großen Neubau-Areal, das in den vergangenen Jahren in der Nähe eines stillgelegten Güterbahnhofs entstand. Dort gibt es nun hochpreisige Geschäfts- und Wohngebäude.

Gut sichtbar an der Straße ist ein asiatisches Restaurant. Eigentlich hätte Bilal Aloge dort einziehen können. Doch er hat sich bewusst für die Räume um die Ecke im Innenhof entschieden. Der Hauptgrund dafür, erzählt er, sei seine Überlegung gewesen, dass die Menschen in den Hotels und dem Fitness-Loft im Innenhof durch ihre Fenster genau auf sein jetziges Restaurant schauen. Sie blicken viel länger darauf als alle, die auf der großen Straße vorbeifahren.

Dann kam noch ein anderer Aspekt dazu, der nichts mit den üblichen Einschätzungen eines Geschäftsmannes zu tun hat, sondern mit der politischen Dimension, wegen der das Jaffa so viel Aufmerksamkeit erregt: Bilal Aloge hat mit einem seiner beiden anderen Restaurants erlebt, welche Folgen die Lage an einer großen Straße haben kann.

Bei Demos geht es um Hass – um den Hass auf Israel und um Antisemitismus

Seit dem vergangenen Jahr hätten direkt vor seinem Res­tau­rant in der Freiburger Innenstadt mehrmals Demonstrationszüge bewusst einen Zwischenhalt eingelegt, berichtet er. Einige Teilnehmer pöbelten dann gezielt seine Gäste an. Statt um vermeintliche Solidarität mit Palästina gehe es bei solchen Demos um Hass, sagt er – um den Hass auf Israel und um Antisemitismus.

Um diese Riesenwelle an Wut zu wecken, hat in diesen angespannten Zeiten ein harmloses Auberginengericht ausgereicht: Nachdem Bilal Aloge im Frühling 2024 auf Instagram die israelische Spezialität Baba Ganoush als neues Angebot in seinem syrischen Restaurant »Damaskoʼs« in der Innenstadt angekündigt hatte, wurde er innerhalb einer halben Stunde mit Unmengen an Posts bombardiert, gleichzeitig stand das Telefon nicht mehr still.

Er selbst war damals nicht vor Ort, seine Frau rief ihn an und weinte. Sie wurde beschimpft und bedroht. Die Scheiben des Restaurants wurden beschmiert, Speisekarten zerrissen. Die Polizei rückte an, um das Restaurant zu schützen. Seit diesem Tag blieb abrupt der Großteil seiner einstigen Kundschaft weg.

Wichtiger Treffpunkt für syrische Geflüchtete

Bis dahin war das Damaskoʼs ein wichtiger Treffpunkt für syrische Geflüchtete. Und nicht nur für sie: Auch viele Muslime aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern hätten früher nach dem Freitagsgebet auf dem Rückweg von der nahe gelegenen Moschee kurz vorbeigeschaut und etwas zu essen mitgenommen, erzählt Aloge.

Von einem Tag auf den anderen war das vorbei. Fast alle seiner arabischen Gäste habe er damals verloren, sagt er, auch Menschen, von denen er niemals vermutet hätte, dass sie so reagieren würden – »gebildete Leute, Ärzte von der Uniklinik«. Zudem kündigten drei langjährige Mitarbeiter, die Bilal Aloge bis dahin für seine Freunde gehalten hatte.

Auch wenn er nicht mit solchen Reaktionen gerechnet hatte: Den Hass auf Juden hat Bilal Aloge früh kennengelernt. Er wurde 1975 in der kurdischen Region Syriens geboren. Sein Vater, der versucht hatte, sich als Tierarzt eine Existenz aufzubauen, sei wegen seines Engagements für die Rechte der Kurden verfolgt worden, die Familie musste fliehen. Nur ein Jahr lang ging Bilal Aloge in Syrien zur Schule, dann flohen sie 1982 nach Deutschland. Zuerst ließen sie sich in Berlin nieder, ein Jahr später zog die Familie nach Freiburg.

Was seine Lehrer erzählt hatten, waren widerwärtige Lügen

An sein einziges Schuljahr in Syrien denkt Bilal Aloge oft zurück: Er und die anderen Kinder hätten Schauermärchen über Juden zu hören bekommen, erzählt er – zum Beispiel, dass jüdische Soldaten Kinder erschießen oder mit Bonbons vergiften würden.

Einige Jahre habe er das im Hinterkopf behalten, obwohl sein Vater immer versucht habe gegenzusteuern und sich als diskriminierter Kurde mit den ebenfalls verfolgten Juden solidarisiert habe. Nach einiger Zeit begriff Bilal Aloge: Was seine Lehrer erzählt hatten, waren widerwärtige Lügen. Er begann, sich für Israel, dessen Geschichte und die jüdische Kultur zu interessieren. Seitdem hat er viel darüber gelesen.

Viel später in seinem Leben kam er dann auch mit Juden in Kontakt: Denn ins Damaskoʼs kamen nicht nur arabischstämmige Gäste, sondern auch jüdische Touristen aus dem Hotel nebenan und die Mitglieder der Israelitischen Gemeinde, deren Synagoge nur wenige Minuten zu Fuß entfernt ist. So entstand die Idee, ein israelisches Gericht auf die Karte zu setzen, umso mehr, weil Bilal Aloge die israelische Küche sehr schätzt.

Damaskoʼs ist eine Erfolgsstory

Das Damaskoʼs ist eine Erfolgsstory: Ursprünglich hatte Aloge nach dem Fachabitur Servicetechnik studiert. Doch als Student jobbte er in der Gastronomie, und diese Arbeit überzeugte ihn. Er wollte sich selbstständig machen und eröffnete im Jahr 2000 im damals neuen Freiburger Stadtteil Rieselfeld einen Döner-Imbiss. Nach zehn Jahren verkaufte er ihn und hatte genügend Startkapital, um in einer ehemaligen Drogerie-Filiale ein paar Straßen weiter sein erstes Damaskoʼs-Restaurant aufzubauen. Es boomte schnell, ebenso wie das zweite Damaskoʼs in der Innenstadt, dessen zunächst auf 150 Quadrat­meter begrenzte Fläche er nach dem Auszug der benachbarten Shisha-Bar 2021 mehr als verdreifachen konnte.

Eigentlich wollte Bilal Aloge am Güter­bahnhofsgelände noch ein drittes Damas-koʼs eröffnen. Doch was er seit einem Jahr erlebt hat, ließ ihn umdenken: Als in der Innenstadt seine arabischen Stammgäste wegblieben und er angesichts der wegbrechenden Einnahmen und einer Monatsmiete von rund 19.000 Euro schnell in den Bankrott gerutscht wäre, kamen zahlreiche neue Gäste, die ihn gezielt unterstützten.

Ganz besonders viel habe er der Israelitischen Gemeinde zu verdanken, sagt Bilal Aloge. Mittlerweile sind enge Verbindungen und Freundschaften entstanden. Auch die Mitglieder der liberalen Gemeinde, der Egalitären Jüdischen Chawurah Gescher, und andere Gruppen unterstützen ihn. Immer wenn in den vergangenen Monaten die Demonstrationszüge direkt vor dem Damaskoʼs anhielten, schickten die Deutsch-Israelische Gesellschaft und das Freiburger Bündnis gegen Antisemitismus Leute vorbei, die sich schützend vor das Restaurant stellten, erzählt Gabriela Schlesiger. Sie ist in beiden Initiativen aktiv. Dass Bilal Aloge dem Druck, den er erleben musste, nicht nachgab, sondern sich klar widersetzt, findet sie bewundernswert.

Entscheidungshilfe durch Michel Friedman

Bilal Aloge hat sich diese Entscheidung gründlich überlegt, zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern, von denen inzwischen zwei erwachsen sind. Beigetragen habe zu seiner Entscheidung auch eine Aussage des Frankfurter Publizisten Michel Friedman, den er sehr schätze. Der habe gesagt, dass man sich nicht von der eigenen Angst steuern lassen dürfe, sagt Bilal Aloge. Doch natürlich ist er wachsam: Die interne Eröffnung des neuen Res­taurants mit geladenen Gästen Ende Dezember fand unter Polizeischutz statt, und es gibt ein Überwachungssystem. Obwohl sich Bilal Aloge als »kleiner Gastronom« sieht und nicht als politischer Mensch, will er mit seinem Restaurant ein Zeichen setzen – gegen Antisemitismus und für Menschlichkeit.

Das Team im Jaffa ist bunt gemischt: Der Koch stammt aus Israel, und zu den je fünf Vollzeit- und Teilzeitkräften, die zusammen mit Bilal Aloge und seiner Frau im Einsatz sind, gehören unter anderem eine Jesidin und eine jüdische Ukrainerin. Das koschere Fleisch wird in Straßburg eingekauft, weitere koschere Ernährungsregeln und der Schabbat aber können, weil das zu kompliziert wäre, nicht eingehalten werden.

»Das Jaffa ist kein jüdisches Restaurant, sondern ein israelisches«, sagt Bilal Aloge. Für Freiburg ist das eine klare Bereicherung: Bis auf einen Hummus-Imbiss, den es bis vor ein paar Jahren eine Zeit lang gab, fehlten bisher israelische Essensangebote, sagt Nikita Nikischin von der Israelitischen Gemeinde. Die Gemeinde habe sich seit Jahrzehnten ein israelisches Restaurant gewünscht, jetzt gebe es eine enge Kooperation mit Bilal Aloge.

Die Eröffnung fand unter Polizeischutz statt, und es gibt ein Überwachungssystem.

Auch die Mitglieder der liberalen Gemeinde sind von dem neuen Restaurant und der Idee dahinter begeistert: »Die Atmosphäre und das Essen – alles ist wie in Israel«, findet Tamara Gerner, die ursprünglich aus Chile stammt und früher einmal vier Monate in Israel gelebt hat.

»Es ist unglaublich schön und mutig, dass Bilal Aloge das als kurdischer Syrer macht, trotz der Anfeindungen, die er hinter sich hat«, sagt Heide Fischer vom Vorstand der Gemeinde. »Wir als Juden kennen solche Bedrohungen.« Sie wünscht sich, dass das Restaurant idealerweise zeigen kann, wie ähnlich alles in der nahöstlichen Küche sei, unabhängig von Nationalitäten oder Religionen: »Wir müssen miteinander klarkommen – und vielleicht entsteht hier ein Ort des Dialogs.«

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