Unesco

Weltkultur am Rhein

Die Urkunde ist ganz schlicht: creme-weißes Papier, das UNESCO-Logo und in geschwungener Schrift »The World Heritage Committee has inscribed SchUM Sites of Speyer, Worms and Mainz on the World Heritage List«.

Was sich allerdings so schlicht liest, ist das Ergebnis eines langen Wartens. Seit 2004, seitdem die damalige Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen, Stella Schindler-Siegreich, und der damalige Oberbürgermeister von Worms, Michael Kissel (SPD), der Landesregierung vorschlugen, die Bewerbung für das mittelalterliche jüdische Erbe für die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste anzugehen, sind fast zwei Dekaden vergangen. 2021 war es dann so weit: Ende Juli wurden Shpira, Warmaisa und Magenza – so die mittelalterlichen hebräischen Namen der drei Städte – aufgenommen.

Der offizielle Festakt fand pandemiebedingt verspätet am Mittwoch vergangener Woche statt. Mit hochrangigen Gästen wie der UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Zentralratspräsident Josef Schuster.

Moderne Der Ort des Festakts war die architektonisch spektakuläre Neue Synagoge in Mainz, die für modernes jüdisches Leben steht. Zuvor hatte der Bundespräsident das Raschi-Haus in Worms besucht. Die SchUM-Städte bilden das 50. Weltkulturerbe in Deutschland, darunter sind römische Baudenkmäler in Trier, die Wieskirche in Bayern, die großen Dome in Köln, Aachen und Speyer, das Gartenreich Dessau-Wörlitz, die Völklinger Hütte – aber unter den ersten 49 befand sich keinerlei jüdisches Kulturerbe.

Nun ist es also offiziell beurkundet, und das Warten, die Strapazen der langen Prozedur haben ein Ende. Fast vergessen scheint das Einreichen der Nominierungsunterlagen, das schließlich 2012 durch das Land Rheinland-Pfalz, die drei Städte und die jüdischen Gemeinden erfolgte: zunächst in eine »Tentativliste«, die dann nach wissenschaftlicher Prüfung endgültig im Jahr 2020 bei der UNESCO eingereicht wurde. Es folgte ein mehrstufiges, etwa 15 Monate dauerndes Evaluierungsverfahren, bis schließlich am 27. Juli 2021 die Entscheidung erfolgte.

Seitdem künden in Mainz riesige Transparente von großer Freude über die Aufnahme in diese exklusive Liste. Auch in den beiden anderen Städten steigt inzwischen das Interesse von Bewohnern, aber auch Touristen, an den Weltkulturerbe-Stätten. Konkret sind dies der »Judenhof Speyer« im Zentrum der mittelalterlichen Kernstadt und in Worms der Synagogenbezirk im Kern des ehemaligen jüdischen Viertels. In beiden Städten befinden sich Synagoge, Frauenschul, Jeschiwa und Mikwe aus dem 12. und den folgenden Jahrhunderten.

friedhöfe Zu den Ensembles und Monumenten kommen die beiden jüdischen Friedhöfe hinzu: In Worms ist dies der »Heilige Sand«, in Mainz ist es der Friedhof »Auf dem Judensand«. Alle Orte sollen künftig mithilfe neuer Informationszentren der Vermittlung dienen. Dadurch soll auch darüber aufgeklärt werden, dass sich hier quasi die Wiege des Judentums in Europa befindet, denn dort wirkten Schriftgelehrte, deren Lehren noch heute von Bedeutung sind.

Touristen können neben Fotos auch »etwas Jüdisches in ihre Herzen mitnehmen«.

Die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen, Anna Kischner, erinnerte in ihrer Rede am 1. Februar an die Tradition von »Magenza«: »Hierhin kamen Männer aus ganz Europa zum Studium.« Auch Frauen seien bereits in vergangenen Jahrhunderten Teil der Entwicklung gewesen.

Glück Sie erinnere sich gut an den Sommertag 2021, als »um genau 15.47 Uhr« die UNESCO-Entscheidung bekannt wurde. Das habe sie mit Freude und Glück erfüllt, aber auch an helle und dunkle Momente der Geschichte erinnert. Sie wünsche sich nun, dass die Stätten mit Leben erfüllt würden, dass auch Touristen nicht nur Fotos machten, sondern »etwas Jüdisches in ihre Herzen mitnehmen«. Kischner dankte den vielen Menschen, die dieses Projekt vorbereitet hatten, und versprach: »Wir geben unser Bestes, damit die Ahnen von SchUM mit unserem Werk zufrieden sind.«

UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay, die mit ihrem Besuch aus Paris die große Bedeutung dieses Prädikats unterstrich, sprach von einem »mächtigen Symbol«. Damit erkenne die internationale Gemeinschaft die historische Bedeutung des jüdischen Beitrags zur europäischen Geschichte an. »Hier steht die Wiege eines kulturellen und philosophischen Raumes«, sagte Azoulay.

Doch die Erinnerung an die intellektuelle Kraft dieses »universellen Erbes der Menschheit« müsse mit den dunklen Erinnerungen an Pogrome, Verfolgung bis hin zur Schoa zusammen gedacht werden. Daraus ergebe sich der Auftrag zur Vermittlung von Geschichte, dafür stünde der Bildungsauftrag der UNESCO. Es gelte nicht nur, Respekt füreinander zu zeigen, sondern auch Frieden zu stiften.

Zusammenleben Bundespräsident Steinmeier sprach von »einem großen Moment für Juden und Jüdinnen überall, für die drei Städte, für Rheinland-Pfalz und die Bundesrepublik«. Mit der ersten Auszeichnung für jüdisches Kulturerbe in Deutschland sei eine große Leerstelle gefüllt. Dass die Entscheidung im Jahr 2021 gefallen sei, als man 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert habe, »hat diesem Festjahr den Glanzpunkt aufgesetzt«.

Jüdisches Leben bereichere die Gesellschaft, das Welterbe erinnere an friedliches Zusammenleben und Aufblühen der Kultur, aber auch an Hass, Zerstörung und schließlich den Zivilisationsbruch der Schoa. »Aber auch, allem Leid zum Trotz, an das Wiederaufblühen«, so Steinmeier. »Ich bin dankbar, dass so vieles die Jahrhunderte überdauert hat.« Heute werde jüdischer Alltag wieder gelebt – »schöpferisch und kraftvoll wie lange nicht. Das erfüllt mich mit Freude«.

Er mahnte jedoch auch, dass man wachsam bleiben müsse, denn der Antisemitismus zeige sich heute wieder »auf Schulhöfen, auf sogenannten Spaziergängen und besonders im Netz«. Das sei nicht hinnehmbar, der Rechtsstaat müsse darauf mit aller Härte reagieren. »Unsere Verantwortung kennt keinen Schlussstrich«, betonte Steinmeier.

Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky sprach ein im historischen Mainz verfasstes Gebet.

Die Kulturerbestätten könnten als lebendige Orte des Gedenkens, der Bildung und Aufklärung dienen, aus denen Toleranz und Respekt wachsen. »Die alten, windschiefen Grabsteine und diese neue Synagoge in Mainz führen uns vor Augen, wie das jüdische Leben blüht. Schützen und bewahren wir dies.« Ministerpräsidentin Malu Dreyer betonte ebenfalls die »tiefe Verwurzelung jüdischen Lebens in unserem Land«.

Rheinland-Pfalz sei stolz darauf, mit den SchUM-Stätten etwas so Einzigartiges vorweisen zu können. »Die drei eng miteinander verbundenen Gemeinden beeinflussten im Mittelalter maßgeblich Kultur, liturgische Dichtung und religiöses Recht des aschkenasischen Judentums.« Auch Dreyer fühlte sich durch den Weltkulturerbestatus verpflichtet, dieses Erbe zu pflegen, attraktiver zu machen und als Thema mit Blick auf die Vergangenheit, aber auch auf die Zukunft, weiterzutragen. »Wir wollen vermitteln, dass jüdisches Leben untrennbar zu unserer Gesellschaft gehört.«

generationen Dies unterstrich auch Stefanie Seiler, Oberbürgermeisterin von Speyer und Vorsitzende von SchUM e.V. »Wir wollen das Kulturerbe sichtbar und verstehbar für viele Generationen machen. Unsere drei Städte wären ohne ihr jüdisches Erbe nicht das, was sie heute sind.« Antisemitischen Bedrohungen gelte es, entschieden entgegenzutreten. Der Mainzer Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky sprach ein im historischen Magenza verfasstes Gebet.

So schlicht die Urkunde äußerlich ist, so groß ist ihre Bedeutung für das Judentum in Deutschland.

www.schum­staedte.de

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