Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat die jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland als Geschenk bezeichnet und zugleich zum entschlossenen Eintreten gegen Judenhass aufgefordert. Die vor 30 Jahren begonnene Zuwanderung sei ein Grund zum Feiern, »aber unbeschwert feiern lässt sich diese Erfolgsgeschichte nicht«, sagte Schäuble am Montag bei einer Festveranstaltung in Berlin.
Dies gelte nicht nur wegen der mörderischen deutschen Vergangenheit, »sondern vor allem wegen der deutschen Gegenwart«, sagte er mit Blick auf die Zahl antisemitischer Straftaten. »Antisemitismus ist und bleibt unerträglich«, betonte er. Schäuble forderte, mit allen Mitteln des Rechtsstaats, mit öffentlicher Ächtung und mit Bildung gegen Antisemitismus vorzugehen.
KONTINGENTREGELUNG Mit der Festveranstaltung erinnerte der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, an den Start der jüdischen Zuwanderung aus der früheren Sowjetunion vor rund 30 Jahren. Schäuble war damals in der Regierung von Kanzler Helmut Kohl (CDU) als Bundesinnenminister mit zuständig für die sogenannte Kontingentregelung, die von der letzten, frei gewählten DDR-Regierung mit auf den Weg gebracht wurde.
Er sei schon damals überzeugt davon gewesen, »dass wir den Wunsch von Juden, in Deutschland leben zu wollen, dankbar annehmen sollten«, sagte Schäuble. Dies sei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein Geschenk.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte, durch die Zuwanderungsregelung hätten diejenigen, die die Sowjetunion unbedingt verlassen wollten, die Möglichkeit dazu bei »weit offener Tür« gehabt. Heute sei der Zugang viel schmaler, beklagte Schuster zugleich.
HERAUSFORDERUNG Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, begründete das seit 2005 geltende Punktesystem für die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion damit, dass die Zuwanderung eine Herausforderung, teilweise auch Überforderung für die jüdischen Gemeinden gewesen sei.
Schuster sagte, dass von den rund 250.000 Zuwanderern bis 2005 rund die Hälfte nicht Mitglieder der Gemeinden wurden, weil sie im religionsrechtlichen Sinne nicht jüdisch gewesen seien, etwa keine jüdische Mutter hatten. Auch sie seien in vielen Gemeinden aber über soziokulturelle Kreise integriert worden.
Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky mahnte schnelles Handeln in der Frage der Renten für jüdische Zuwanderer an.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, betonte, dass mit der Zuwanderung nach der Wiedervereinigung wieder neues Leben in die jüdischen Gemeinden gekommen sei. Zugleich betonte er die Herausforderung für die Einwanderer in ein Land, das mit der Schoa sowohl die eigenen jüdischen Landleute als auch Juden in ganz Europa verfolgt, verbannt und ermordet habe.
Viele hätten sich in der alten Heimat nicht getraut, ihre jüdische Identität überhaupt zu zeigen. So hätten viele von ihnen erstmals die Synagoge am Schabbat besucht oder Pessach gefeiert. Er zollte »Respekt und Anerkennung« für die »gewaltigen Leistungen« der Integration. Die Zuwanderer seien inzwischen angekommen, so Kleins Fazit.
INTEGRATIONSVERSPRECHEN Bei der Veranstaltung kamen auch Kinder jüdischer Zuwanderer zu Wort, die die Umsiedlung in jungen Jahren erlebten, darunter der bekannte Pianist Igor Levit. Er erinnerte sich an seine ersten Jahre in Deutschland: »Den ersten Großteil meines jungen Lebens habe ich meine Stärke daraus gewonnen, mich so viel wie möglich diesem Land anzunähern.«
Zentralratspräsident Josef Schuster sagte, diejenigen, die die Sowjetunion unbedingt verlassen wollten, hätten die Möglichkeit dazu bei »weit offener Tür« gehabt.
»Ohne diese Zuwanderung gäbe es kein so lebendiges und diverses jüdisches Leben in diesem Land«, unterstrich die Journalistin und Schriftstellerin Lena Gorelik. Sowohl die Bundesrepublik als auch die jüdischen Gemeinden seien aber sehr wenig vorbereitet waren, kritisierte sie. Die Schriftstellerin Lana Lux umschrieb ihre anfänglichen Bemühungen, sich vollständig anzupassen, metaphorisch als »Löschen des Dokuments und ein komplettes Neuschreiben«.
Die Soziologin Darja Klingenberg plädierte gegen das »Erfolgsgeschichtennarrativ«. Es diene dazu, zu sagen, dass das deutsche Integrationsversprechen funktioniere. Das stimme aber nicht. Die jüdischen Zuwanderer hätten sich nicht wegen, sondern trotz der Integrationsmaßnahmen gut positionieren können, sagte Klingenberg.
»Wir haben das jüdische Leben ein bisschen aufgemischt«, sagte der Grünen-Europaparlamentsabgeordnete, Rechtsanwalt und Publizist Sergey Lagodinsky. Er erinnerte aber auch an die oft schwierige Situation der älteren Zuwanderer: »Für die ältere Generation gerade war es eine Geschichte des Scheiterns.« Lagodinsky mahnte schnelles Handeln in der Frage der Altersarmut und der Renten für jüdische Zuwanderer an: »Das Ziel ist, dass wir hier eine dauerhafte, würdevolle Lösung erreichen.« ja (mit epd/kna)
Lesen Sie mehr über die Veranstaltung in unserer nächsten Print-Ausgabe am Donnerstag.