Im NPD-Verbotsverfahren wollen die Länder dem Bundesverfassungsgericht neue Beweise vorlegen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hält die Erfolgsaussichten nach wie vor für »gut« und signalisiert damit ungebrochene Entschlossenheit. Gut so! Stünde doch ein erneutes Herumlavieren um das NPD-Verbotsverfahren im massiven Widerspruch zu den demokratischen Grundwerten der Bundesrepublik Deutschland, an die ich glaube und in die ich noch immer meine Hoffnung setze.
Schon die Tatsache, dass sich nicht alle Verfassungsorgane geschlossen hinter den Verbotsantrag stellen konnten, empfinde ich als ein Armutszeugnis. Nach den jüngsten Forderungen der Karlsruher Richter stand kurzzeitig zu befürchten, dass sich das jahrzehntelange Trauerspiel fortsetzen und ernsthaft ein Rückzug vom Verbotsverfahren erwogen werden könnte.
Desaster Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts vom Antragsteller, dem Bundesrat, weitere Aufklärung über die geforderte Abschaltung der V-Leute fordern. Niemand will erneut das Desaster von 2003 erleben, als der Verbotsantrag scheiterte. Die prompte Reaktion darauf war ein lautes und wildes Spekulieren über ein Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens, gepaart mit der Forderung, sich aus dem angeblich nicht zu gewinnenden Prozess zurückzuziehen.
Das ist – völlig unabhängig von den tatsächlichen Aussichten auf Erfolg – in meinen Augen ein Hohn. Keine Frage: Die Rolle von V-Leuten und ihre Einsatznotwendigkeit zu hinterfragen, das System zu reformieren und neu auszurichten, ist lange überfällig. Doch Neonazis für zweifelhafte Dienste zu bezahlen, so wie das bisher praktiziert wurde, ist mehr als nur fragwürdig.
Alle demokratisch denkenden Menschen in Deutschland würden ein Scheitern des Verbotsantrags in Karlsruhe als eine tragische Niederlage empfinden, als Triumph des braunen Packs mit verheerender Wirkung. Daran sollten auch jene denken, die gedankliche Verrenkungen vollführen, um ein NPD-Verbot als nicht notwendige Petitesse herunterzuspielen.
raffiniert Die Partei sei finanziell am Ende, ist oft zu hören. Ist sie das wirklich, oder finden sich nicht doch immer wieder potente Förderer, die sich nur vielleicht geschickt im Dunkeln halten? Die NPD könne nur auf dem Wege der politischen Debatte demaskiert werden, wird auch oft vorgebracht – eine Methode, die leider oft daran scheitert, dass man die raffinierten Ideologen der Naziszene unterschätzt. Die Partei marginalisiere sich selbst auf demokratischem Wege – dies ist ebenfalls eine Theorie, die ins Leere läuft, wenn ich mir ansehe, wie die Partei etwa Pegida zu nutzen wusste und immer wieder in kommunale Parlamente und Landtage einziehen kann.
Die Suche nach Entschuldigungen für das unentschuldbare Tolerieren einer nationalsozialistischen Partei ist angesichts der Geschichte Deutschlands und der Lehren, die daraus gezogen werden müssen, nicht nur absurd. Sie ist brandgefährlich. Es ist es unsere Pflicht, die Feinde der Verfassung zu bekämpfen und uns dabei aller rechtsstaatlichen Mittel zu bedienen, die möglich sind. Der Gesichtsverlust, der entstehen könnte, droht nicht bei einem Scheitern des Antrags. Wir verlieren unser Gesicht, national wie international, wenn wir weiterhin billigend in Kauf nehmen, dass sich die Erben des unsäglichen Nazi-Gedankengutes in Deutschland einen legitimen Anspruch geben.
Im längst entstandenen Netzwerk rechter Extremisten, für die Rassismus, Antisemitismus, Menschenverachtung und der Hass auf »Andere« der Wesenskern ihrer Ideologie ist, reiht sich die NPD nahtlos ein. Sie ist keine Partei, die sich Menschenrechten und demokratischen Prinzipien unterordnet, sie nutzt sie nur für ihr infames Spiel aus, sich als verfassungstreu darzustellen.
nsu Führen wir uns vor Augen: Im Münchner Landgericht müssen sich im NSU-Prozess junge Neonazis für die furchtbarste Mordserie mit politischem Hintergrund in der deutschen Nachkriegsgeschichte verantworten. Zehn Menschen starben, viele wurden verletzt. Ralf Wohlleben ist einer der Angeklagten, der laut Staatsanwaltschaft bei den Morden geholfen hat. Bevor er in der Thüringer Nazi-Szene zu einer führenden Figur wurde, bei dem die Fäden zusammenliefen, war er Vize-Vorsitzender und Pressesprecher der NPD in Thüringen sowie NPD-Vorsitzender in Jena.
Wohllebens Spagat zwischen gewaltbereiten Neonazis und der angeblich verfassungskonformen NPD ist kein Einzelfall, er hat in dieser Partei System. Es gibt viele »Wohllebens«, die zuerst ihr braunes Gedankengut in der NPD aufsaugten. Jetzt rächt es sich, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus über Jahrzehnte hinweg nicht entschlossen und konsequent genug geführt worden ist. Nicht einmal die Aufdeckung des NSU konnte die verheerende, bisweilen systematisch scheinende Blindheit auf dem rechten Auge heilen. Das ist unserer Demokratie unwürdig.
Noch ist die NPD nicht verboten. 1,4 Millionen Euro staatlicher Zuwendungen hat sie deswegen auch im vergangenen Jahr erhalten. Vielleicht spielt das nur eine Nebenrolle. In meinen Augen ist staatlich finanzierter brauner Bodensatz jedoch eine Schande für unser Land. Wer dieses prinzipielle Problem verkennt, sollte wenigstens nicht auch noch taub und blind gegenüber der Tatsache sein, dass sich der Rechtsextremismus seit Jahrzehnten verbreitet.
Ressentiments Beinahe täglich werden wir in den Medien mit Menschenverachtung der allerschlimmsten Art konfrontiert, wir erleben die Auswüchse von Hass überall. Auch hier in Deutschland sind Ausländerfeindlichkeit und Ressentiments gegen Juden virulent – allerdings: nicht nur an den schmutzigen Rändern der Gesellschaft, sondern auch und gerade in der bürgerlichen Mitte. Dort ist speziell der Antisemitismus längst wieder salonfähig. Juden bekommen ihn im Alltag immer öfter zu spüren. Eine Gewissheit, die ich eigentlich in meiner Heimat nie mehr wahrhaben wollte.
Dagegen hilft freilich auch ein NPD-Verbot nicht. Ein solches ist jedoch unerlässlich für eine effektive Strategie gegen Rechtsextremismus. Dann wäre es etwa auch kaum möglich, dass für Deutschland mit Udo Voigt ein verurteilter Neonazi im EU-Parlament sitzt. Er steht gerade vor dem Verlust seiner parlamentarischen Immunität. Unter anderem soll er erneut den Massenmord an den Juden bestritten haben. Ein Schoaleugner als deutscher Abgeordneter im EU-Parlament? Das darf nicht sein!